Kompetenzentwicklung

Die Philosophie ist ein Nachdenken, bei dem sich Menschen mit grundlegenden Vorstellungen über sich und ihre Welt auseinandersetzen. Sie beginnt damit, dass Menschen zweifeln, staunen oder nach Orientierung suchen und dabei Fragen entwickeln: Kann ich behaupten, von dieser bestimmten Sache etwas zu verstehen, ein Wissen von ihr zu besitzen? Wie beurteile ich, ob diese Handlung richtig ist? Wer bin ich? Hat meine Existenz, mein Leben einen Sinn, ein Ziel? Für diese existenziellen Fragen des Menschen, die sich auch schon Kinder und Jugendliche stellen, hat die Philosophie seit ihren Anfängen Lösungsstrategien entwickelt, in denen sie grundlegende Begriffe wie Wahrheit, Wissen, Moralität, Sinn oder auch Schönheit zu klären versucht.

In der Geschichte der Philosophie haben sich um diese Fragen und Probleme Teildisziplinen gebildet, wie etwa die Erkenntnistheorie und die Wissenschaftstheorie, die Ethik und die Anthropologie, die politische Philosophie und die Sozialphilosophie, die Metaphysik und die Ästhetik. In ihnen sind Theorien und Konzepte entstanden, mit denen die aufgeworfenen Probleme zu lösen versucht worden sind. Für die Philosophie kann es dabei aber keine endgültigen Lösungen geben. Dies liegt daran, dass im Zentrum ihrer Lösungsstrategien die Tätigkeit des Philosophierens steht, d.h. das selbständige Nachdenken über die philosophischen Probleme, dessen Maßstab für die Beurteilung eines Gedankens seine Überzeugungskraft und logische Schlüssigkeit ist – das, was die griechische Philosophie den Logos nannte. Zum Philosophieren gehört somit eine kritische Grundhaltung, die in dem Anspruch besteht, nichts als wahr oder richtig gelten zu lassen, das nicht durch den eigenen Verstand geprüft und für plausibel erklärt wurde.

Gerade deshalb weil Philosophierende selbst nachdenken und dabei von den Fragen ausgehen, die sich ihnen stellen und die sie zur Beschäftigung mit philosophischen Problemen geführt haben, müssen sie sowohl die gängigen Sichtweisen, die sie bei den Menschen in ihrer eignen Umgebung vorfinden, als auch die Konzepte der philosophischen Tradition kritisch prüfen. Sie müssen sich fragen, ob diese logisch konsistent sind und eine überzeugende Lösung für das Problem, mit dem sie sich beschäftigen, bieten.

Im Fach Philosophie lernen die Schülerinnen und Schüler in diesem Sinne zu philosophieren. Im Rahmen ihres lebensweltlichen Horizonts und ihres Bewusstseins von der Welt, ausgehend von den Problemen und Fragen, die sie darin vorfinden, entwickeln sie eigene philosophische Fragestellungen und entdecken die philosophische Dimension in alltäglichen Fragen. Zum Beispiel können sie, von der Frage ausgehend, ob man seiner Mitschülerin oder seinem Mitschüler unter allen Umständen helfen muss, wenn er oder sie etwas nicht verstanden hat, zu der Frage gelangen, was eigentlich das Kriterium dafür ist, eine Handlung als richtig und geboten zu beurteilen. Von der Frage ausgehend, ob der Inhalt eines Wikipedia-Artikels wahr ist, können sie zu der Frage gelangen, was Wahrheit überhaupt ausmacht. Von der Frage nach ihrer sexuellen Identität ausgehend können sie überlegen, was Sexualität überhaupt ist. Von der Frage ausgehend, warum sie zur Schule gehen, kann sich die Frage ergeben, welchen Sinn die menschliche Existenz haben kann.

Auf diese Weise werden die Schülerinnen und Schüler zu einer allgemeinen Nachdenklichkeit ermuntert sowie dazu, die Vorstellungen und Wertsetzungen zu hinterfragen, die sie in ihrer sozialen Umgebung vorgefunden haben. Sie üben sich selbst und ihrer Lebenswelt gegenüber eine kritische Haltung ein, bei der sie nicht dem ersten Anschein trauen, den ein Sachverhalt für sie erweckt, und bei dem sie in Bezug auf das, was andere schreiben oder sagen, nicht nur deshalb zustimmen, weil es gesellschaftlich akzeptiert ist oder eine Autorität dies fordert. Das gilt auch für die Theorien der Philosophiegeschichte selbst. Die Schülerinnen und Schüler ziehen diese heran, um ihre Perspektive zu erweitern, mögliche Argumente und Positionen kennenzulernen und ein Verständnis für argumentative Schlüssigkeit zu entwickeln, unterziehen sie aber dann ebenfalls einer kritischen Prüfung.

Diese kritische Haltung besteht vor allem darin, sich von selbst gebildeten, gut begründeten Urteilen leiten zu lassen. In der Auseinandersetzung mit philosophischen Problemen im Unterricht lernen die Schülerinnen und Schüler, dass sie am Ende selbst entscheiden müssen, welche Argumente sie überzeugend finden und welche Position sie einnehmen wollen und begründet vertreten können. Sie lernen dadurch, dass sie sowohl ihre Urteile und ihre Sichtweisen als auch ihr Handeln, das sich daran orientiert, selbst verantworten müssen. Auf diese Weise leistet der Philosophieunterricht einen Beitrag dazu, dass die Schülerinnen und Schüler eigenständig denkende und handelnde Menschen werden, die sich ihrer Autonomie bewusst sind.

Durch den Umgang mit verschiedenen Denkperspektiven, Theorien und Begründungsmöglichkeiten lernen die Schülerinnen und Schüler außerdem einen grundlegenden Pluralismus kennen, eine Vielfalt der Meinungen und Gedanken. Sie erwerben die Fähigkeit, eine generelle Offenheit in grundsätzlichen Fragen auszuhalten und mit ihr konstruktiv umzugehen. Gleichzeitig werden sie an eine Wertschätzung der Pluralität und Diversität unserer Gesellschaft herangeführt. Sie lernen, sich in ihr zurechtzufinden und ihre Mitverantwortung für die Erhaltung der Grundlagen eines solchen Zusammenlebens zu erkennen und anzunehmen. Der Philosophieunterricht leistet so einen wesentlichen Beitrag zu den generellen Bildungs- und Erziehungszielen der Schule.

 

Die zentrale Kompetenz des Faches Philosophie ist das Philosophieren. Philosophieren ist eine Reflexionskompetenz. Wenn die Schülerinnen und Schüler philosophieren lernen, so lernen sie Phänomene und Fragen oder Problemstellungen in philosophischer Weise zu reflektieren. Das heißt, sie arbeiten zunächst die philosophische Dimension, also die grundlegenden Vorstellungen, Wertsetzungen und Begriffe heraus, um die es bei der Auseinandersetzung mit diesen Problemen geht und die sie so zum Gegenstand ihres Nachdenkens machen. Dann entwickeln sie Positionen zu diesen Fragen oder Problemstellungen, indem sie sich mögliche Lösungsansätze aus der Philosophiegeschichte und deren Vorstellungen, Begriffe und Argumentationen aneignen und eigene Ansätze hierzu entwickeln. Schließlich beurteilen sie, inwieweit diese Vorstellungen das Problem lösen können, und versuchen eine eigene Beantwortung der aufgeworfenen Fragen.

Philosophieren heißt für die Schülerinnen und Schüler somit, von der Auseinandersetzung mit konkreten Problematiken ausgehend eine reflektierte Orientierung bezüglich bestimmter Grundvorstellungen, Wertsetzungen und Begriffe zu gewinnen. Insofern eine solche reflektierende Auseinandersetzung auch ihr Handeln und Sichorientieren im Alltag leiten kann, hat das Philosophieren auch eine praktische, handlungsleitende oder zumindest handlungsorientierende Dimension.

Im Einzelnen betrachtet lässt sich die Kompetenz des Philosophierens in die folgenden Kompetenzbereiche untergliedern:

Wahrnehmen und deuten

Die Schülerinnen und Schüler nehmen in ihrer Lebenswelt wie in unterschiedlichen medialen Darstellungen (gedruckte und vorgetragene Texte, Bilder, Filme) Phänomene und Probleme wahr, in denen sie philosophische Fragestellungen entdecken, und deuten sie, d. h., sie beschreiben das, was sie wahrnehmen. Im Einzelnen analysieren sie, welche Fragen darin aufgeworfen werden und welche Grundvorstellungen, Wertsetzungen und Begriffe für ein Verständnis dieser Phänomene und Problematiken wichtig sind. Dazu ziehen sie philosophische Theorien heran, deren Auffassungen sie sich aneignen, um so ein erweitertes Verständnis und verschiedene Perspektiven bezüglich der betrachteten Problematik zu gewinnen.

Kulturelle Perspektiven analysieren

Die Schülerinnen und Schüler entwickeln ein Bewusstsein für die kulturellen Kontexte philosophischer Positionen und anderer Theorien und Vorstellungen von der Wirklichkeit sowie ein Bewusstsein für kulturelle Vielfalt und Transkulturalität an sich. Dazu analysieren sie in Texten und anderen medialen Darstellungen, wie unterschiedliche kulturgeschichtliche Kontexte in Handlungen, in der Sprache und deren Begrifflichkeit, in Bildern und Vorstellungen vom Menschen und von der Welt zum Ausdruck kommen.

Sie vergleichen verschiedene kulturelle Perspektiven im Hinblick auf bestimmte Aspekte der Wirklichkeit des menschlichen Lebens und machen sich so ihre Verschiedenheit bewusst. Von diesen Einsichten und Erfahrungen ausgehend entwickeln sie eine kritisch reflektierte Wertschätzung für kulturelle Vielfalt und Denkansätze für ein von Transkulturalität geprägtes Zusammenleben.

Argumentieren und urteilen

In ihrer Auseinandersetzung mit philosophischen Problemstellungen argumentieren und urteilen die Schülerinnen und Schüler mit dem Ziel, zu einem eigenen, begründeten Urteil zu gelangen. Zum einen beschäftigen sie sich dabei mit philosophischen Theorien zur jeweiligen Problematik, indem sie deren Begriffe, Gedankengänge und Argumentationen rekonstruieren sowie deren Voraussetzungen und Konsequenzen erschließen und diese anschließend mit eigenen Gedankengängen und Argumenten bewerten. Zum anderen entwickeln sie sowohl in Auseinandersetzung mit philosophischen Theorien als auch unabhängig von solchen eine eigene Beurteilung der Problematik, die sie in einer überzeugenden Weise argumentativ zu untermauern suchen.

Einen Diskurs gestalten

Die Schülerinnen und Schüler gestalten einen Diskurs, indem sie eigene Positionen und Argumentationen überzeugend und in vielfältiger Weise darstellen, auf Positionen und Argumentationen anderer angemessen und kritisch eingehen und in konstruktiver Weise sowohl nach einem möglichen Konsens suchen als auch mit einem Dissens umzugehen lernen.

Fachbezogene Kompetenzen

Redaktionell verantwortlich: Boris Angerer, LISUM