Mentale Gesundheit

Unterrichtsmaterial für die Sekundarstufe
Autor:innen

Anna Longin

Amelie Grashof

Elisabeth Zimmermann

Emilia Schrader

Konstantin Vagt

Linda Naddaf

Veröffentlichungsdatum

6. September 2023

Zusammenfassung
Mit den vorliegenden Unterrichtsmodulen möchten wir die Lehrpersonen der Sekundarstufe II darin unterstützen, das Thema Gesundheitsgerechtigkeit im Unterricht aufzugreifen und sich dabei speziell mit psychischen Erkrankungen auseinanderzusetzen. Im Mittelpunkt steht dabei der Einfluss des sozialen Status in Wechselwirkung mit „Stadtstress“ auf die mentale Gesundheit, den Zugang zu Behandlungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen und die Stigmatisierung von psychischen Krankheiten in Deutschland. Die Unterrichtsmodule orientieren sich an den Berliner Lehrplänen der Sekundarstufe II.

Profil Unterrichtseinheit

Thema

Das vorliegende Unterrichtskonzept soll Lehrkräfte in Schulen und in der Bildungsarbeit dazu anregen und dabei unterstützen, das Thema „Gesundheitsgerechtigkeit” zu bearbeiten. Dazu werden die Bereiche mentale Gesundheit und soziale Ungleichheit mit einem Fokus auf das Leben in der Stadt zusammengeführt. Durch die Auseinandersetzung mit den Dimensionen Wohnort und Migrantisierung, welche am deutlichsten auf die Re-produktion sozialer Ungleichheiten in Wechselwirkung mit mentaler Gesundheit hinweisen, sollen die Zugangsbarrieren aufgrund von sozialen Ungleichheiten bei der gesundheitlichen Versorgung beleuchtet werden. Den Schüler*innen soll die Möglichkeit gegeben werden, eigenständig Texte aufzubereiten, diese zu bearbeiten und ihr neu erworbenes Wissen anhand von interaktiven Aufgabenstellungen zu vertiefen. Zusätzlich soll bei den Schüler*innen eine Sensibilisierung für die Wahrnehmung und den reflektierten Umgang mit Depressionen erreicht werden.

Das Material enthält selbstverfasste Texte und Aufgabenstellungen, die den Zusammenhang von sozialem Status und sozialer Ungleichheit im Gesundheitswesen darstellen. Anhand von Gruppenarbeiten und anschließender Präsentationen der Ergebnisse sollen sich die Schüler*innen gegenseitig das Thema näherbringen, das Gelernte anwenden und verinnerlichen. Die Auseinandersetzung mit diesem Thema soll das Bewusstsein für den Umgang mit mentaler Gesundheit stärken und die soziale und gesellschaftliche Relevanz für Jugendliche betonen. Wichtig ist dabei eine sensible Herangehensweise im Unterricht, um der Stigmatisierung von mentalen Krankheiten entgegenzuwirken. Somit soll schließlich auch dazu beigetragen werden, dass die Schüler*innen ihre eigenen Vorstellungen von mentalen Erkrankungen reflektieren, Vorurteile erkennen, abbauen und sich im Fall der eigenen Betroffenheit frühzeitig Hilfe holen.

Zielgruppe

  • Oberstufe (EF, Q1, Q2)
  • Alter: 15 – 18 Jahre
  • Gruppengröße: optimal 10 bis 30 Schüler*innen
  • von mental-gesundheitlichen Problemen selbst- und nichtbetroffenen Jugendlichen, welche über dieses Thema mehr erfahren und sensibilisiert werden möchten

Umfang

Das vorliegende Materialpaket für die Q2 kann entweder für die Gestaltung einer Projektwoche genutzt werden oder als Grundlage für einzelne Unterrichtseinheiten dienen (Wahl eines Projektbausteins). Es handelt sich um sozialwissenschaftliches Bildungsmaterial, durch das die Schüler*innen dazu befähigt werden sollen, komplexe, gegenwärtige und zukünftige Lebenssituationen zu bewältigen. Sie sollen die sozialen, ökonomischen und politischen Bedingungen ihres Berliner Alltags kritisch reflektieren und hinterfragen. Die Unterrichtskonzeption kann so genutzt werden, dass die Schüler*innen pro Tag einen Schwerpunkt bearbeiten. Zu Beginn eines Projekttages wird empfohlen, sich mit der gesamten Gruppe in einem Plenum einzufinden, um Fragen gemeinsam zu klären und die Inhalte und Diskussionen vom Vortag noch einmal zusammenzufassen, sowie um einen Ausblick auf das tagesaktuelle Thema zu geben. Zudem ist es empfehlenswert, sich am Ende jedes Projekttages ebenfalls im Plenum einzufinden, um Unklarheiten zu klären, sowie einen Übergang zum nächsten Thema zu schaffen. Der letzte Schwerpunkt „Charta der Neurourbanistik” kann als Auftakt einer Abschlusssitzung genutzt werden.

Übersicht Aufgaben, Kompetenzen, Methode

Baustein Kompetenzen Material und Methoden

Baustein 1: Stress

  1. Stresstagebuch
  2. Basistext „Sozialer Status und Mental Health”
  • Reflexion der eigenen Wahrnehmung

  • Kommunikationsperspektiven anderer wahrnehmen und mit ihnen kommunizieren

  • Schüler*innen entwickeln und reflektieren die eigene Position

  • Wahrnehmen von Differenzen in der Lebensumwelt (Urteils- und Orientierungskompetenz)

  • Informationen aus unterschiedlichen Quellen (Text und Video) erfassen und analysieren und verstehen

Baustein 2: Dimension Sozialstruktur

  1. Basistext SeS Einflussfaktoren und Dimension Migrantisierung
  2. Liedtextanalyse
  3. Recherche nach weiteren Liedtexten
  • Kommunikationsperspektiven anderer wahrnehmen und mit ihnen kommunizieren

  • Wahrnehmen von Differenzen in der Lebensumwelt (Urteils- und Orientierungskompetenz)

  • Informationen aus unterschiedlichen Quellen (Text und Liedtext) erfassen und analysieren und verstehen

  • selbstständig recherchieren können

  • erprobte Methoden auf neue Sachverhalte und Fragestellungen anwenden

  • Basistext

  • Grafik

  • Songtext: „Haftbefehl: Depressionen im Ghetto” Kapitel 1.3.3.1.1

  • evtl. mobile Endgeräte für weitere Recherchen (Handy, etc.)

Baustein 3: Wohnort

  1. Dimension Wohnort und Kartenanalyse
  • Informationen aus einer Quelle erfassen, analysieren und verstehen

  • sozialwissenschaftliche Sachverhalte hinsichtlich ihrer gegenwärtigen und zukünftigen Bedeutsamkeit bewerten

  • Wahrnehmen von Differenzen in der Lebensumwelt (Urteils-und Orientierungskompetenz)

  • sich selbst in den (urbanen) Lebensbereichen verorten

  • Begreifen der Probleme in der globalisierten Welt und Bevölkerungsentwicklung

  • Basistext „Wie hängen Stress, Stadt, sozialer Status und mentale Gesundheit zusammen?” Kapitel 1.3.4.1

  • Karte (Mehrfachdiskriminierung)

  • Fragen

Baustein 4: Therapieplatzmangel

  1. Böhmermann-Video
  2. weiterführende Impulsfragen
  • Schüler*innen entwickeln und reflektieren die eigene Position

  • Informationen aus unterschiedlichen Quellen (Text und Video) erfassen und analysieren und verstehen

  • Wahrnehmen von Differenzen in der Lebensumwelt (Urteils-und Orientierungskompetenz)

  • sozialwissenschaftliche Sachverhalte hinsichtlich ihrer gegenwärtigen und zukünftigen Bedeutsamkeit bewerten

  • Basistext „Wie ist der Mangel an Therapieplätzen in Deutschland zu erklären?” Kapitel 1.3.5.1

  • Video “ZDF Magazin Royal, 4. Februar 2022” (9:18- 30:21)

  • Impulsfragen

Baustein 5 – Krankheitsbild & Reflexion

  1. Text und Fragen zum Krankheitsbild Depression
  2. Charta der Neu-rourbanistik
  3. Reflexion
  • Informationen aus unterschiedlichen Quellen erfassen und analysieren und verstehen

  • Arbeitsergebnisse darstellen und präsentieren

  • eigenständig recherchieren

  • Gestalten von eigenständigen Gruppenarbeitsphasen

  • Fähigkeit zur verständlichen und anschaulichen Präsentation der Ergebnisse

Hintergrund: Relevanz Mentale Gesundheit

Wie sich unser sozialer Status – also z.B. unser Bildungsabschluss, unser Beruf und unser Einkommen - auf unser Verhalten und unsere Einstellungen zu Gesundheitsfragen auswirkt, ist eine zentrale Frage in den Sozialwissenschaften. Die vorliegenden, von uns konzipierten Unterrichtsmaterialien legen ihren Schwerpunkt vor allem auf die Verknüpfung zwischen dem sozioökonomischen Status (sozialer Status) und der mentalen/psychischen Gesundheit. Hierbei wird immer wieder der Bezug zum urbanen Raum hergestellt, um auf den komplexen Zusammenhang zwischen Stadt/Stadtplanung (vor allem in Berlin), sozialem Status, Stressempfinden und mentaler Gesundheit aufmerksam zu machen.

Des Weiteren setzt sich das Material mit Einstellungen gegenüber und dem Zugang zu Psychotherapien auseinander. Es klärt über Zugangsbarrieren und Missstände in Bezug auf die Behandlung psychischer Leiden im deutschen Gesundheitssystem auf. Dabei behandelt das folgende Material vor allem die Dimensionen Wohnort und Migrantisierung. Denn hier besteht ein deutlicher Zusammenhang zu Fragen sozialer Ungleichheit und mentaler Gesundheit. Zusätzlich wird mittels der Fokussierung auf Depressionen, die am häufigsten diagnostizierte, psychische Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland, die soziale Gesundheitskompetenz bei den Schüler*innen gestärkt.

Dadurch soll eine Sensibilisierung für die Wahrnehmung und den reflektierten Umgang mit Depressionen erreicht werden. Auch wenn im Bildungswesen vermehrt Kenntnisse über psychische Erkrankungen vermittelt werden, nimmt deren Stigmatisierung kaum ab (vgl. Stickney, 2012). Aus diesem Grund geht es im Folgenden immer wieder um dieses Krankheitsbild (Depressionen) – und zwar mit Bezug auf die Auswirkungen sozialer Ungleichheit auf die mentale Gesundheit. Vor dem Hintergrund, dass die Schüler*innen, für die dieses Material gedacht ist, vor allem im Stadtraum Berlin leben, geht es zudem um den Einfluss von bzw. die Folgen urbaner Stressoren für die Gesundheit.

Obwohl das deutsche Gesundheitssystem zunehmend präventiv über psychische Gesundheit informiert (vgl. Steel et al., 2014), herrscht dennoch eine zu niedrige Behandlungsquote bei denen, die einer Behandlung bedürfen (vgl. Saraceno, 2004). Dieser Missstand wird wesentlich vom niedrigen Niveau der psychischen Gesundheitskompetenz in der deutschen Gesellschaft beeinflusst (vgl. Brijnath et al., 2016). Die psychische Gesundheitskompetenz lässt sich als „[…] das Wissen und die Überzeugung über psychische Störungen, die ihre Anerkennung, ihr Management und ihre Prävention unterstützen[…]” (Jorm, Christensen & Griffiths, 2005) definieren. Zu den Hauptkomponenten zählen das Erkennen psychischer Krankheiten, das Wissen über Ursachen und Hilfsmaßnahmen sowie die Einstellung und das Verhalten gegenüber Betroffenen und Behandlungen (ebd.). Obwohl diese Komponenten der psychischen Gesundheitskompetenz und deren signifikanter Einfluss auf Zugang und Behandlung psychischer Krankheiten belegt ist (ebd.), sind die bestehenden Interventionen und die Bildung in diesem Bereich noch unzureichend. Mithilfe des vorliegenden Unterrichtspakets streben wir unter anderem eine Förderung der psychischen Gesundheitskompetenz bei Schüler*innen an. Es soll zu einer intensiveren, selbstständigen Recherche der Schüler*innen nach Informationen über die Gesundheit beitragen, zu einer Verringerung der Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen, sowie zu verbesserten gesundheitsbezogenen Ergebnissen bei Menschen in therapeutischer Behandlung führen.

Durch die wachsenden soziodemografischen Unterschiede in der deutschen Bevölkerung (vgl. Burzan, 2005), stellt die Verknüpfung von sozialen Ungleichheiten und der Gesundheitskompetenz eine spezielle Herausforderung dar. Eine eingeschränkte Gesundheitskompetenz und Defizite beim angemessenen Umgang mit gesundheitsrelevanten Informationen können bestehende gesundheitliche Ungleichheiten verstärken. Um die Gesellschaft dafür zu sensibilisieren, verstärkt darüber aufzuklären und dem Trend entgegenzuwirken, ist es äußerst wichtig, sich bereits im Kinder- und Jugendalter mit dieser Problematik auseinanderzusetzen und die Gesundheitskompetenz früh zu fördern.

Des Weiteren betrachten wir es als notwendig, auf strukturelle Barrieren und Einstellungs-barrieren hinzuweisen, Kinder und Jugendliche für diese zu sensibilisieren und auf die Notwendigkeit ihrer Überwindung aufmerksam zu machen. Strukturelle Barrieren sind externe Hindernisse wie finanzielle, zeitliche oder räumliche Barrieren, die die Wahrscheinlichkeit des Aufsuchens einer Behandlung verringern. Obwohl in Ländern mit universellen Gesundheitssystemen wie Deutschland finanzielle Barrieren deutlich weniger auftreten (vgl. Tomczyk 2020), kann die lange Wartezeit auf eine psychotherapeutische Behandlung bei gesetzlich Versicherten ebenfalls einschränkend wirken. Somit beeinflussen externe strukturelle Barrieren die individuelle Haltung gegenüber mentaler Gesundheit. Das wiederum führt zu sogenannten internen Einstellungsbarrieren, die auf die Haltung zu und Stigmatisierung von mentaler Gesundheit und Psychotherapie Einfluss nehmen.

Betrachtet man mentale Gesundheit aus sozialwissenschaftlicher oder geografischer Perspektive, lässt es sich nicht vermeiden, soziale Ungleichheiten in den Blick zu nehmen, denn der sozioökonomische Status hat einen enormen Einfluss auf die gesundheitliche Verfassung. Der soziale Status, verbunden mit sozialer Ungleichheit, bringt einen systematischen Unterschied mit sich. Dieser äußert sich sowohl im psychischen Gesundheitszu-stand bestimmter Bevölkerungsgruppen als auch in deren Gesundheitsverhalten und Gesundheitsversorgung (vgl. Hoell & Salize, 2019). Soziale Ungleichheiten reproduzieren sich in der Sphäre der Allgemeinbildung über und im Umgang mit psychischen Krankheiten. Entscheidend für den Zugang zu Wissen und Bildung über psychisch-gesundheitliche Zustände und Krankheiten sind die Ressourcen, mit welchen Personen ausgestattet werden. Außerdem sind in sozial benachteiligten Milieus oft fehlleitende Stigmata verbreitet. Sie beeinflussen die Einstellung gegenüber psychischen Krankheiten negativ (vgl. Mojtabai, 2010). Dies hindert Personen am Erkennen psychischer Leiden bei sich selbst oder in ihrem Umfeld, wodurch Prävention und Behandlung meist zu spät oder gar nicht einsetzen. So verstärken sich psychische Probleme, was wiederum zu extremen und falschen Wahrnehmungen der Krankheitsbilder führt. Wodurch sich schlussendlich wieder Stigmatisierungen bilden.

In den Sozialwissenschaften wird immer wieder darauf hingewiesen, dass höhere Einkommen, Macht und Bildung mit größerem Wissen über Erkrankungen, Gesundheitsförderung und Prävention verbunden sind. Daraus resultieren unterschiedliche Inanspruchnahmen von Leistungen der Gesundheitsförderung und Prävention. Je mehr Einkommen, Bildung und soziale Prestige eine Person genießt, desto ausgeprägter ist auch ihr Wissen und ihr potenzieller Zugang zur Behandlung psychischer Krankheiten. So kann selbst die Weiterentwicklung von Gesundheitstechnologien und Therapien für die Allgemeinbevölkerung zumindest in der Anfangszeit mit einer Verstärkung gesundheitlicher Ungleichheit einhergehen (vgl. Phelan et al., 2010).

Zudem führen soziale Privilegien, die durch einen höheren sozialen Status bedingt werden, oft zu einer Verringerung von Gesundheitsrisiken. Das betrifft z.B. Privilegien mit Blick auf die (gesunde) Freizeitgestaltung, flexiblere schulische Situationen bzw. Beschäftigungsverhältnisse, größere finanzielle Absicherung und ein höheres Maß an Aufklärung und Akzeptanz gegenüber gesundheitlichen Einschränkungen im sozialen Umfeld. Menschen mit niedrigem sozialen Status werden aufgrund von geringen sozialen Privilegien und den damit einhergehenden gesellschaftlichen Barrieren häufig in ihrem Zugang zu Behandlungsmöglichkeiten eingeschränkt. Vor diesem Hintergrund liegt dem vorliegende Bildungsmaterial eine relationale Fragestellung zu Grunde:

Inwiefern beeinflusst der soziale Status, also soziale Ungleichheit, in Wechselwirkung mit “Stadtstress” die mentale Gesundheit, den Zugang zu Behandlungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen und die Stigmatisierung von psychischen Krankheiten in Deutschland?

Bitte beachten: Im vorliegenden Unterrichtspaket werden die sozialwissenschaftlichen Begriffe „sozialstrukturell hoch” versus “sozialstrukturell niedrig” verwendet. Dies ist nicht im Sinne eines”besser” oder “schlechter” zu verstehen! Gemeint ist gerade nicht die soziale Auf- oder Abwertung von Menschen oder Gruppen, sondern eine vergleichende Darstellung von Privilegien versus Benachteiligungen. Bei der Unterrichtsgestaltung mit dem vorliegenden Material und der Moderation von Diskussionen gilt es, diese wichtige Klarstellung zu betonen, um Missverständnissen vorzubeugen und eine klassistisch-diskriminierende Sprache zu vermeiden.

Sensibler Umgang mit dem Thema

Die Beschäftigung mit den Themen mentale Gesundheit, psychische Belastungen und soziale Ungleichheiten berührt einen sensiblen Bereich. Es erfordert von der Lehrperson Fingerspitzengefühl und eine feinfühlige Wahrnehmung der Reaktionen und der Situation der einzelnen Schüler*innen sowie der Dynamik und des Klassenklimas. Es ist davon auszugehen, dass in jeder Klasse Schüler*innen sind, welche psychische Belastungen aufweisen oder als Angehörige davon betroffen sind. Auch bei psychisch gesunden Jugendlichen kann die Auseinandersetzung mit den Themen mentale Gesundheit und soziale Ungleichheiten bestehende Ängste oder negative Erfahrungen verstärken. Die Lehrperson sollte deshalb für folgende Rahmenbedingungen sorgen:

  • dafür sorgen, dass Schüler*innen nicht ungewollt persönliche Details preisgeben müssen
  • Freiheit zu entscheiden, was Schüler*innen von sich selbst preisgeben wollen
  • Vertraulichkeit in Bezug auf die im Unterricht offenbarten Erfahrungen
  • Schutz vor Bloßstellung und Mobbing in der Klasse
  • Klima von Respekt und Vertrauen
  • Vermittlung von Beratungsangeboten für Schüler*innen, die Unterstützung benötigen (siehe Sammlung zu Beratungsangeboten)
  • Diskussion und gemeinsame Vereinbarung von Regeln für die Arbeit am Thema
  • Einbezug der Bedürfnisse und Wünsche der Schüler*innen
  • Intervention der Lehrperson, wenn Regeln verletzt werden oder der Schutz gefährdet ist
  • Gestaltung des Unterrichts und der Aufgaben, welche Freiraum lassen, sich einzubringen oder zurückzunehmen

Wirkungsvoll ist die Beschäftigung mit der Thematik vor allem dann, wenn im Schulalltag generell ein Klima von Respekt, Vertrauen und Unterstützung herrscht und jegliche Art von Diskriminierung, Rassismus und Sexismus nicht toleriert wird.

Inhaltliche Ausarbeitung / Unterrichtskonzept

Konzeption eines kleinen Projekts mit mehreren Unterrichtseinheiten und einer Materialsammlung mit Vorschlägen für Zugänge, Arbeitsweisen, Unterrichtsmethoden und Kompetenzentwicklung.

Wir haben den folgenden Inhalt des Unterrichtspaketes als Projekt mit mehreren Unterrichtseinheiten konzipiert, welche wir „Projektbausteine” genannt haben. Die einzelnen Projektbausteine können als Grundlage eines Projekttages oder einer Projektwoche dienen, aber auch unabhängig voneinander für eine einzelne Unterrichtseinheit genutzt werden. Zudem können einzelne Teile der Projektbausteine extrahiert und in anderen Projektbausteinen integriert werden.

Projektbaustein 1: Einführung in das Thema und Stresstagebuch

Bevor die Schüler*innen einen ersten Einstiegstext lesen, sollen sie ein sogenanntes Stresstagebuch anfertigen, beispielsweise auf dem Weg zur Schule.

Ziel

Förderung personaler Kompetenz

Den Schüler*innen sollen Faktoren für das Entstehen von Stress deutlich werden und sie sollen eigene Bewältigungsstrategien entwickeln, beziehungsweise vertiefen. Mögliche Stressoren im Alltag der Schüler*innen sollen sichtbar gemacht werden und so zu einem bewussteren Umgang mit der mentalen Gesundheit der Schüler*innen führen. Zusätzlich bezieht die Aufgabe die persönliche Lebenswelt der Schüler*innen mit ein.

Aufgabe a)

Fertigt ein sogenanntes ‚Stresstagebuch’ an und beobachtet euch selbst. Macht euch beispielsweise auf dem Weg zur Schule Notizen. Dabei können folgende Fragen als Anstoß für eure Notizen dienen:

  • Was bedeutet Stress für dich? Wie wird Stress ausgelöst? Welche Situationen lösen bei mir Stress aus? Wie macht sich Stress bemerkbar? Wie fühle ich mich, wenn ich gestresst bin? Inwieweit geht es mir dadurch besser? Was stresst dich? Was nimmst du wahr? Sind es Straßengeräusche, Gerüche, Lichter etc.?
  • In Berlin: Wo fühlst du dich wohl? Wo entkommst du ein wenig dem Stress? Hast du einen Ort, der dich besonders stresst? Wenn ja, welche Methoden hast du, um dem zu entgehen? Was tue ich, um Stress entgegenzuwirken?
  • Jetzt wo du dich nochmal aktiv damit auseinandergesetzt hast - Hast du bisher bewusst oder eher unterbewusst Stress erlebt? Was nimmst du vielleicht jetzt bewusster als vorher wahr? Wie kannst du selbst Einfluss auf dein Stressempfinden nehmen?

Aufgabe b)

Schaut euch gemeinsam in der Unterrichtsstunde das Video “Was beim Stress im Körper passiert?” an. (3:42)
Anschließend soll sich über das Video und die festgehaltenen Erfahrungen im Stresstagebuch in Kleingruppen kurz ausgetauscht und später dann im Plenum diskutiert werden. Zusätzlich soll eine Gruppendiskussion zu Bewältigungsstrategien und möglichen Stressoren im Alltag der Schüler*innen entstehen.

Wichtig für die Lehrkraft: Die Schüler*innen sollten nicht zum Preisgeben persönlicher Informationen gedrängt werden. Mentale Ge-sundheit ist ein sensibles Thema und besonders Jugendliche sollten dahingehend von so-zialer Ausgrenzung oder ähnlichem geschützt werden. Anschließend sollen die Schüler*innen den folgenden Einstiegstext: „Wie wird unsere mentale Gesundheit beeinflusst? - Ein Überblick” in Einzelarbeit lesen. Danach soll Zeit für die Klärung von Verständnisfragen und Unklarheiten sein.

Lösungsskizzen

Mögliche Lösungsvorschläge zur Aufgabe ‚Stresstagebuch’:

Welche Situationen lösen bei mir Stress aus?

  • viele schulische Aufgaben, Konflikte mit anderen Schüler*innen
  • Druck aus familiärer Umgebung
  • beengte Wohnverhältnisse
  • Lautstärke, Zeitdruck, etc.

Wie macht sich Stress bemerkbar?

  • Schwitzige Hände
  • Kopfschmerzen
  • Unruhe
  • Schlafstörungen etc.

Was tue ich, um Stress entgegenzuwirken?

  • Ausgleich durch Bewegung und sportliche Aktivitäten schaffen
  • Interaktionen mit sozialem Umfeld
  • Kreative Fähigkeiten üben
  • Ausflüge in die Natur etc.

Inwieweit geht es mir dadurch besser?

  • Abstand zur Situation gewinnen
  • Andere positive Bereiche des Lebens verstärkt betrachten
  • Neue Strategien entwickeln, um mit spezifischem Stressor umzugehen etc.

Aufgabe c)

Lest den Text „Wie wird unsere mentale Gesundheit beeinflusst? - Ein Überblick” und macht euch Notizen. Diskutiert anschließend das Gelesene mit euren Mitschüler*innen.


Wie wird unsere mentale Gesundheit beeinflusst? - ein Überblick

Die Tatsache, dass soziale Ungleichheiten sich auch immer in unterschiedlichen gesund-heitlichen Verfassungen der Menschen und im Umgang damit widerspiegeln, ist spätestens seit der Corona-Pandemie ein viel diskutiertes Thema. Doch wie wirken sich soziale Unterschiede auf die mentale Gesundheit aus? Es ist wichtig, sich damit zu beschäftigen, wie der soziale Status den Zugang und die Einstellung zu Psychotherapie beeinflusst.

Psychische Erkrankungen zählen zu den vier häufigsten Krankheiten in Deutschland. Jedes Jahr leiden fast ein Drittel aller Erwachsenen und fast 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen an einer psychischen Erkrankung (vgl. BPtK 2020). Im Vergleich dazu ist die Zahl derer, die eine Psychotherapie in Anspruch nehmen, verhältnismäßig gering (vgl. Petrowski et al. 2014, 82). Ein Problem dabei ist die Dauer der Wartezeit. In Deutschland beträgt die durchschnittliche Wartezeit fünf bis sechs Monate, um an einen Therapieplatz zu gelangen (vgl. Jülich/ Bräuniger 2022). Es stellt sich also die Frage, weshalb die Angbote zur Behandlung der psychischen Leiden nicht wahrgenommen werden (können), wer sie in Anspruch nimmt und wer nicht.

Welche Zugangsbarrieren gibt es? Verschiedene Faktoren nehmen einen Einfluss darauf, ob eine Person die für sie notwendige therapeutische Hilfe in Anspruch nimmt. Diese lassen sich als sogenannte Zugangsbarrieren bezeichnen. Studien belegen, dass räumliche (z.B.: Stadt vs. Land), bürokratische (z.B.: privat oder gesetzliche Versicherung) Faktoren, das soziale Umfeld und Stress ausschlaggebend für die persönliche Einstellung zur Psychotherapie sind. Diese einzelnen Dimensionen sind durch den sozialen Status einer Person geprägt (vgl. Mojtabai, 2010, 710-712)

Soziale Ungleichheit und psychische Erkrankungen

Zudem sind junge, sozial schlechter gestellte Menschen beispielsweise häufiger von psychischen Erkrankungen betroffen als Menschen mit einem höheren sozialen Status. Psychische Erkrankungen können also demnach Auswirkung sozialer Ungleichheit sein. Denn Kinder und Jugendliche erkranken sogar häufiger an psychischen Störungen, wenn die Eltern einen niedrigeren Bildungsabschluss oder ein geringes Einkommen haben (vgl. BPtK, 2020).

Wie hängen Stress, Stadt und mentale Gesundheit zusammen?

Im 19. Jahrhundert wurde die These aufgestellt, dass ‚die Stadt’ angeblich psychisch krank mache, weil die Bewohner*innen mit der Reizüberflutung nicht zurechtkämen. Dieser starken Behauptung folgen einige Wissenschaftler*innen wie der Psychiater und Stressforscher Mazda Adli. Aufgrund eigener Studienergebnisse schlussfolgert er, dass das Stadtleben eine größere Herausforderung für die mentale Gesundheit darstelle als beispielsweise das Leben auf dem Land. Dabei würde Stress eine ausschlaggebende Rolle spielen, da die Stadtbewohner*innen dauerhaft mit mehreren Faktoren konfrontiert seien, die Stress auslösen und Einfluss auf die mentale Gesundheit nehmen würden. Hierzu würden Umweltfaktoren wie Lärm oder Hitze zählen. Und Faktoren, die sozialen Stress auslösen: die soziale Dichte, also die Enge in der Stadt, und die gleichzeitige soziale Isolation von einigen Menschen, die durch Ausgrenzung und Einsamkeit entstehe. Dies habe sich vor allem durch die Corona-Pandemie nochmals verdeutlicht (vgl. Adli & Schöndorf, 2020).

Ob sich die Schlussfolgerungen in dieser Form wirklich so bestätigen, sollte hinterfragt und diskutiert werden. Wichtig festzuhalten ist jedoch, dass die Stadt viele Herausforderungen und Reize mit sich bringt, an sich aber nicht zwangsläufig die mentale Gesundheit beeinträchtigt und ständig Stress verursacht. Ausschlaggebend sind eher die Umstände, Strukturen und die Möglichkeiten, mit Stress umzugehen.

Corona und mentale Gesundheit

Immer mehr Kinder und Jugendliche werden psychotherapeutisch behandelt, das zeigt der BARMER Arztreport 2021 (vgl. Barmer 2021). Diese Situation wird durch die Corona-Pandemie noch weiter verschärft.

Zahlen zu psychischen Erkrankungen während Corona

So nahmen psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen laut einer Hochrechnung in der Pandemie stark zu. Bundesweit stieg 2021 die Anzahl an psychischen Erkrankungen unter den 6- bis 18-Jährigen um 20 Prozent (vgl. Kooroshy, 2021). Die steigende Zahl der Therapien kann jedoch auch ein gutes Zeichen sein. Denn gerade die Corona-Pandemie hat die Aufmerksamkeit für psychisches Leid bei Kindern und Jugendlichen geschärft, was eventuell zu den steigenden Zahlen beigetragen haben könnte (vgl. Barmer, 2021).


Projektbaustein 2: Sozialstrukturelle Einflussfaktoren auf mentale Gesundheit

Einstiegstext: Zusammenhang von mentaler Gesundheit und sozialem Status

Was ist sozialer Status?

Unter sozialem Status1 (wissenschaftlich: sozioökonomischer Status |englisch: socio-economic status |, SES) wird üblicherweise die Position einer Person in der Gesellschaft aus westlicher Perspektive verstanden und wissenschaftlich gemessen. In den meisten wissenschaftlichen Studien wird der soziale Status durch Bildung, Einkommen und Beruf bestimmt. Klassischerweise wird der (sozioökonomische) soziale Status in der westlichen Gesundheitsforschung verwendet, um das kapitalistische Gesundheitssystem zu ana-lysieren (vgl. Elkeles & Mielck, 1997: 137–143). Es geht also beim sozialen Status einer Person um ihre soziale Stellung in der Gesellschaft auf Grund der beruflichen und finanziellen Lage, der Bildung und des sozialen Ansehens.

Die Betrachtung des sozialen Status ist wichtig, um soziale Ungleichheit und systematische Unterschiede zwischen Gruppen zu erklären, sowohl im Gesundheitszustand bestimmter Bevölkerungsgruppen als auch in deren Gesundheitsverhalten. Soziale Ungleichheiten re-produzieren sich nämlich im Gesundheitssystem. Die Frage nach dem sozialen Status ist also wichtig, wenn man sich mit der Diskriminierung in der Behandlung und dem (ungleichen) Zugang zum Gesundheitssystems auseinandersetzen möchte.

Sozialer Status angewendet

Gesundheitliche Ungerechtigkeit lässt sich häufig auf soziale Ungleichheiten zurückführen, wobei auch die psychische Gesundheit dazugehört. Laut einiger soziologischer Theorien (Phelan, Link, Tehranifar 2010) sind höheres Einkommen und bessere Bildung oft mit einem umfangreicheren Wissen über Erkrankungen, Gesundheitsförderung und Prävention verbunden. Das hat Auswirkungen auf die Einstellung zu psychischen Krankheiten und auf das Urteil über betroffene Personen.

Außerdem resultieren daraus Unterschiede in der Inanspruchnahme von präventiven und therapeutischen Angeboten. Menschen mit einem niedrigen sozialen Status haben gleichzeitig weniger soziale Privilegien und sind dadurch in ihrem Zugang zu Behand-lungsmöglichkeiten eingeschränkt.

Festzuhalten ist:

Je niedriger der soziale Status einer Person, je stärker also die soziale Benachteiligung, desto mehr Stress erfährt sie, desto größer sind ihre Zugangsbarrieren zu und desto negativer ist ihre Einstellung gegenüber Psychotherapie (RKI, 2016).

Aufgabe: Einflussfaktoren des sozialen Status auf mentale Gesundheit

Die Schüler*innen sollen sich folgendes Modell zu den Dimensionen, die auf die Einstellung und den Zugang zu Psychotherapie Einfluss nehmen, anschauen und es versuchen zu erklären. Innerhalb kleiner Gruppen sollten die Schüler*innen diskutieren, ob sie dem Modell zustimmen oder nicht, und ihre Meinung argumentativ mit den anderen austauschen.

Erklärungsmodell zu den sozialstrukturellen Einflussfaktoren auf mentale Gesundheit

Ziel

Durch die Analyse des Modells sollen die Schüler*innen ein kontextualisierendes Gesamtbild für den Einfluss des sozialen Status bekommen. Dafür ist es notwendig, das zuvor erworbene Wissen aus dem Text „Der Zusammenhang von mentaler Gesundheit und sozialem Status” anzuwenden. Es soll das Verständnis gesichert und visualisiert werden. Die Grafik soll für die Schüler*innen eine Diskussionsgrundlage darstellen, um Gedanken und Fragen bei Unverständnis zu klären.

Aufgaben

  1. Schaut euch das Modell an und versucht es mit eigenen Worten wiederzugeben.
  2. Besprecht in Gruppen: Stimme ich dem Modell zu?
  • Wenn ja: Versucht Argumente zu finden aus dem bisherigen Erlernten
  • Wenn nein: Was passt nicht? Was fehlt? Wieso fehlt es?

Lösungsskizzen

Zu 1.:

  • Die negativen Wechselwirkungen zwischen dem sozialen Status und dem Zugang zu Therapie erkennen
  • Die Parallelität von geographischem und Bildungszugang verstehen und gleiche Ursprünge finden
  • Hintergrundmechanismen der sozialen Strukturen: Bildung, Einkommen, Beruf benennen

Zu 2.

  • Eigene Betroffenheit als relevantes Pro-/ oder Contra-Argument sehen
  • Fehlende Dimensionen mit großem Einfluss benennen (z.B.: Geschlecht, Sexualität, Alter, Migrantisierung)
  • ein neues Modell vorstellen als Synthese  

Migrantisierung

Bei Kindern aus Familien mit mittlerem Bildungsniveau (zum Beispiel anerkannte Berufs-ausbildung) ist das Risiko, an einer Angststörung oder einer Depression zu erkranken, 20 bis 30 Prozent höher als bei Kindern aus Familien mit höherem Bildungshintergrund (aus Haushalten mit Akademiker*innen) (Bundespsychotherapeutenkammer, 2020).

Mehrfach diskriminierte Jugendliche, die aufgrund ihrer Migrantisierung automatisch einen niedrigeren sozialen Status haben, sind bei der Klärung von Zusammenhängen zwischen psychischer Gesundheit und körperlichen Symptomen (z. B. Angst und Herzklopfen) im Nachteil. Zudem sind sie bei Gestaltung und Wirkung von psychosozialen Unterstützungsleistungen, wie der Psychotherapie, beim Effekt und bei möglichen Nebenwirkungen von Medikamenten (sowie bei anderen Aspekten der Medikamenteneinnahme wie Dosis, Dauer, Regelmäßigkeit) benachteiligt.

Viele Studien und Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass mit der Diskriminierungsdimension von Migrantisierung erhöhte psychosoziale Belastungen auftreten können (insbesondere bei sozial/sozial benachteiligten Menschen und solchen mit Fluchterfahrungen). Zusätzlich sind damit oft auch viele Hürden bei der Inanspruchnahme psychosozialer Unterstützung verbunden (vgl. Weigl/Gaiswinkler, 2019, 78 – 80)

Aufgabe: „Depressionen im Ghetto” – Migrantisierung, Armut, Mentale Gesundheit

Der Rap-Künstler „Haftbefehl” thematisiert in seinem 2015 erschienenen Song „Depressionen im Ghetto” das Aufwachsen in benachteiligten Stadtviert und wie sich dies auf die mentale Gesundheit einer migrantisierten Person auswirkt.

Ziel

Beleuchtung der Dimension Migrantisierung und ihren Einfluss auf den Gesamteffekt vom sozialen Status auf die mentale Gesundheit.

Schüler*innen sollen anhand eines Liedtextes die soziale Einflussfaktoren auf mentale Gesundheit herausarbeiten und Beispiele für diese finden. Dazu sollen sie sich mit der unten formulierten Leitfrage beschäftigen. Die Schüler*innen sollen sich kritisch mit ihnen bekannten Liedtexten auseinandersetzen und diese hinsichtlich der erarbeiteten Thematik analysieren.

Aufgabe a) Analysiere den Song in Bezug auf die oben erläuterten sozialen Einflussfaktoren auf mentale Gesundheit. Inwiefern lässt sich der Einfluss sozialer Benachteiligung auf die mentale Gesundheit von Menschen in dem Liedtext wiedererkennen? Welche Rolle spielt dabei der Umstand, dass der Künstler einen Migrationshintergrund hat und das Lied aus dieser Perspektive geschrieben ist?

Aufgabe b) Recherchiere nach einem weiteren Songtext, der Ähnliches thematisiert und etwas in dir auslöst. Stelle diesen dann vor und begründe deine Auswahl.

Aufgabe c) Diskutiert in Gruppen folgende Frage: Inwiefern arbeitet das Lied selbst auch mit Stereotypen über migrantisierte Personen? Was könnte daran evtl. auch problematisch sein?


Haftbefehl: Depressionen im Ghetto

Wer unten bleibt und wer aufsteigt
Das hängt allzu oft von der Herkunft ab
Chancengleichheit gibt es natürlich nicht
Nur wer Geld hat, kann sich die beste Bildung leisten
Ist das fair? Nein
Aber was ist wirklich, im Endeffekt, was ist fair?
Auf der Jagd nach dem Para
Auf der Flucht vor den Bull’n
(…)
Menschen vertrauen, komm schon, bitte
Frag mich nicht nach einem Cent
Der bleibt in mei’m Konto im Kissen
(…)
Ich-ich-ich roll im Bezirk, Mathildenviertel, ich komme von hier
Telecafes, Oddset-Büros, Bauarbeiter auf polnischem Bier
069 (069), Baba Haft ist zurück (Baba Haft ist zurück)
Unterste Schublade, Gangasta Rap, mitten ins Gesicht
Kanaken in Deutschland, ich bin nur Sohn meines Vaters
Von Grund auf enttäuscht, f*** Vater Staat, ich schieß auf den Ad-ler
Depressionen im Ghetto
Depressionen im Ghetto
Depressionen im Ghetto
Vergiss SOS, es kommt eh keine Rettung
Drogenkonsum steigt, während der Mindestlohn sinkt
Kinder am koksen, wohin mit der Jugend
Sie hat den Faden verloren, tragen Pistolen, vollautomatisch
(…)
Kho-Kho-Kho-Khoya, verkehrte Welt, Islamhass, RTL
Menschliche Werte zählen nicht, sondern nur ob er glänzt, der Mercedes Benz
Einfach nur ekelhaft, kein Bock tiefer zu gehen in die Materie
Schnell Themawechsel, sonst wird noch geballert
(…)
Kanaken in Deutschland, ich bin nur Sohn meines Vaters
Von Grund auf enttäuscht, fick Vater Staat, ich schieß auf den Adler
Depressionen im Ghetto
Depressionen im Ghetto
Depressionen im Ghetto
Vergiss SOS, es kommt eh keine Rettung

Lösungsskizzen

Welche Emotionen und Gedankengänge löst das Lied aus?

  • Gefühl der Ohnmacht
  • Systemkritik am kapitalistischen und rassistischen System
  • Stigmatisierung von Depressionen
  • Positiv: Bestimmte Schüler*innen mit vergleichbarem Hintergrund fühlen sich repräsentiert und verstanden; Perspektive der Benachteiligten wird aktiv eingenommen
  • Unbetroffene werden über die Intensität der Auswirkung der Determinanten sozialer Ungleichheit aufgeklärt

Wie machen sich die Dimensionen und Strukturen sozialer Ungleichheit hier bemerkbar?

  • „Ghetto” als örtliche Zuordnung
  • „Wer unten bleibt und wer aufsteigt. Das hängt allzu oft von der Herkunft ab” -> Herkunft mehrfache Interpretation: sozial, ökonomisch, migrantisch und gleichzeitig: Kritik am klassistischen System und Hierarchisierung und fehlende Aufstiegsmöglichkeiten
  • „Ich-ich-ich roll im Bezirk, Mathildenviertel, ich komme von hier. Telecafes, Oddset-Büros, Bauarbeiter auf polnischem Bier” -> Identifizierung mitder Nachbarschaft an-statt mit der Staatsangehörigkeit oder der Stadt: Städte oder gar Gesellschaften sind zu groß und zu heterogen, um als Gruppe gelten zu können -> Je nachdem wo man wohnt, ist die Diskriminierung anders
  • „Kanaken in Deutschland, ich bin nur Sohn meines Vaters” -> Ohnmacht gegenüber Fremdzuschreibung und Migrantisierung
  • „es kommt eh keine Rettung” -> Marginalisierung, Systemausfall, Diskriminierung
  • „Nur wer Geld hat, kann sich die beste Bildung leisten. Ist das fair? Nein” -> Bedeutung von Geld für Bildung -> Stigmatisierung -> Mangel an Therapiemöglichkeit

Inwiefern arbeitet Lied selbst auch mit Stereotypen über migrantisierte Personen?

  • Im HipHop sehen wir oft einen schmalen Grat zwischen dem Reclaiming von Stereotypen zum Empowern und aus einem problematischen Spiel mit Vorurteilen: In beiden Fällen entspricht die Darstellung vermutlich nicht der Lebensrealität vieler migrantisch geprägter Milieus und verweisen daher nicht nur auf gesellschaftliche Probleme

Projektbaustein 3 : Wohnort, Stadtstress und mentale Gesundheit

Einstiegstext: Wie hängen Stress, Stadt, sozialer Status und mentale Gesundheit zusammen?

Das Wissen über, die Stigmatisierung von und das Vertrauen in psychische Behandlungen hängen auch vom Wohnort ab. Dieser hat Einfluss auf die Aufklärung und Stigmatisierung psychischer Krankheiten und deren Behandlung. Was wiederum immer auch in Wechsel-wirkung mit sozialen, kulturellen und politischen Verhältnissen steht (vgl. Hoell, Salize, 2019). Eine europaweite Studie (vgl. Mojtabai, 2010) belegt, dass die Gegend, in der man aufwächst, einen großen Einfluss auf den Zugang zu Psychotherapie und auf die individuelle Einstellung gegenüber psychischen Krankheiten und deren Behandlung hat. Entgegen der weit verbreiteten Annahme haben zwar nicht alle Menschen in Großstädten automatisch einen besseren Zugang zu psychologischen Behandlungsmöglichkeiten. Dennoch zeigt sich, dass in Städten oft mehr Bildungsmöglichkeiten und Anlaufstellen für Informationen bezüglich psychischer Krankheiten vorhanden sind. Nicht zu vergessen ist hierbei aber stets: von Bezirk zu Bezirk – insbesondere in Berlin – kann dies extrem unterschiedlich sein. Denn im Endeffekt gilt auch hier: Je geringer der durchschnittliche soziale Status in einem Bezirk, desto benachteiligter sind die Menschen, was Therapiemöglichkeiten angeht. Studien belegen, dass die Nähe von Therapiemöglichkeiten die größere Inanspruchnahme von Leistungen in einer bestimmten Gegend erklären können (vgl. Fleury et al., 2017).

Zudem gehen Leben und Aufwachsen in der Stadt mit einem höheren psychischen Erkrankungsrisiko einher. Dabei scheint anhaltender sozialer Stress eine wesentliche Rolle zu spielen. Das soll nicht bedeuten, dass das Stadtleben grundsätzlich gefährlich ist. Sondern: Leben und Aufwachsen in einer Stadt kann zu einer erhöhten Stressempfindlichkeit des Gehirns führen, aber erst zusammen mit anderen Risikofaktoren für psychische Erkrankungen, wie zum Beispiel genetischen, sozialen oder persönlichkeitsbedingten Faktoren, ergibt sich ein erhöhtes Krankheitsrisiko. 

Auch soziale Isolation und Ausgrenzung haben einen großen Einfluss auf die mentale Gesundheit. Besonders ältere Menschen sind in Großstädten von sozialer Isolation betroffen, da sie in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Dies hat wiederum Einfluss auf ihre psychische Verfassung (vgl. Adli/Schöndorf 2020, 983). Des Weiteren wirken sich physikalische Umweltfaktoren wie Lärm oder Hitze negativ auf die mentale Gesundheit aus. Sie lösen vor allem Stress aus. Denn aufgrund steigender Mieten, umkämpfter öffentlicher Räume und globalen Umweltveränderungen, die zu städtischen Hitzeinseln führen, verschwinden geeignete Rückzugsräume und der Zugang zu Ressourcen wird durch steigende Preise stark eingeschränkt.

Besonders Menschen mit einem niedrigen sozialen Status leiden unter diesen Folgen und empfinden oft sozialen Stress. Folglich haben öffentliche Räume, wie zum Beispiel Grünflächen, eine große Bedeutung. Sie wirken nicht nur der Entstehung von Hitzeinseln entgegen, sondern spielen ebenfalls für die körperliche und psychische Gesundheit von Stadtbewohner*innen eine wichtige Rolle. Denn sie können zwischenmenschliche Interaktion fördern und zur Erholung beitragen. Voraussetzung dabei ist, dass die Bewohner*innen Anreiz zur Nutzung eines öffentlichen Raums verspüren, etwa einer Grünfläche, und im Zugang zu diesen Räumen nicht beschränkt werden. Hierzu gehört auch die fußläufige Erreichbarkeit von Geschäften oder Parks in den Bezirken (vgl. ebd., 984). Allerdings muss auf eine grundlegende Problematik bei der Planung neuer Grünanlagen zur Förderung der Gesundheit hingewiesen werden. Es lässt sich hier von einem urban green space paradox (Grünflächen-Paradox) (Wolch et al., 2014, 235). Denn mit dem Ausbau von Grünflächen sollen einerseits Stadtteile aufgewertet, neue Strukturen geschaffen und damit den Menschen vor Ort ein leichterer Zugang zu diesen Räumen ermöglicht werden. Andererseits werden dadurch diese Bezirke attraktiver, die Mieten steigen und es kommt oftmals zu Gentrifizierung2. Das hat zur Folge, dass geringverdienende Bewohner*innen verdrängt werden, wenn keine mietenpolitischen Gegenmaßnahmen getroffen werden. Und somit das eigentliche Ziel verfehlt wird, für genau diese Menschen leichter erreichbare Räume für Erholung und Freizeit zu schaffen und dadurch die mentale und körperliche Gesundheit zu fördern (vgl. ebd.). Ein Widerspruch, der unbedingt gelöst werden muss, um soziale Ungleichheiten nicht noch weiter zu verschärfen. 

Aufgabe: Interaktive Mehrfachbelastungskartierung Berlins

Der „Dreiklang” der Bausteine von Umweltgerechtigkeit: Umwelt - Soziales - Gesundheit. Kaum ein Ort ist hierfür so exemplarisch wie Berlin.

Die ökologische Frage ist und bleibt eine Klassenfrage. Und das sehen wir insbesondere an der „Umweltgerechtigkeit” in Berlin, wo sich sozial stark genutzte Räume fast deckungsgleich mit Belastungen durch Lärm, Luftverschmutzung und Umweltbelastungen überlappen und es relativ gesehen zu wenig Grünflächen gibt.

Es gibt entlastende Umweltressourcen in Berlin, das ist nicht zu negieren. Dazu gehören neben Grünflächen, Parks und Wälder auch Teiche, Seen, Anhöhen und vor Abgasen schützende Baukonstruktionen. Aber da, wo die meist belasteten Berliner*innen diese Umweltressourcen bräuchten, treten stattdessen vermehrt gesundheitsschädigende Faktoren auf. Vor allem in sozial benachteiligten Gegenden der Innenstadt scheint die Dichte an Umweltbelastungen der Bevölkerungsdichte Konkurrenz zu machen. Eine hohe Einwohner*innen-Dichte wiederum ist auch sehr unförderlich für die lokale Umweltsituation.

Ziel Förderung der Reflexion über den Einfluss der sozialstrukturellen Dimension Wohnort

Wichtig für die Lehrkraft: Die Seite zuerst auf dem Beamer öffnen und zeigen, wo die Legende ist und kurz erklären: Berliner Umweltgerechtigkeitskarte

Aufgabe Schaut euch online die Berliner Umweltgerechtigkeitskarte bzw. Mehrfachbelastungskarte an und diskutiert in Gruppen, inwiefern ihr den sogenannten „Dreiklang” in euren Bezirken und Kiezen wiederfindet bzw. nicht erkennt. Findet Beispiele für Orte, wo es eine hohe bzw. niedrige Umweltgerechtigkeit gibt. Wie könnte die Umweltgerechtigkeit in mehrfachdiskriminierten Orten gefördert werden? Stellt einen mehrfach diskriminierten Ort mit eurer Idee zur Förderung der Umweltgerechtigkeit vor.  

Lösungsskizzen

Wichtige Erkenntnisse könnten sein:

  • vor allem im Zentrum mit den Schwerpunkten Gesundbrunnen, MV in Reinickendorf, Wedding um Seestraße herum, Nordneukölln um Hermannplatz sowie in Kreuzberger Kiezen im Norden befinden sich Orte der Reproduktion von Diskriminierungen und Belastungen (eine chronische Umweltbelastung sehen wir als Diskriminierung), also Orte von Mehrfachbelastungen.
  • Im Speckgürtel bieten oft schon die Einfamilienhaus-Straßen mehr Grünflächen durch die Vielzahl an privaten Gärten, z.B. im Vergleich zu Großbausiedlungen wi dem Märkischen Viertel →hier teilen sich z.B. viele Jugendliche einen schlecht ge-pflegten Fußballplatz.
  • Wenn wir uns aber das nicht weit entfernte bebaute, aber begrünte Frohnau anschauen, treffen sich dagegen materieller Wohlstand und eine gut entlastete Umweltsituation.
  • Spandau wiederum liegt zwar auch außerhalb des S-Bahn-Rings, hat aber mehr Beton durch die großen Plattenbauten als Bäume.
  • Es lässt sich daher also vermuten, dass die Konzentration von Umweltbelastungen zwar nicht unabhängig von der Zentrum-/Peripherie-Lokalisierung zu betrachten ist , aber weitaus mehr auf den Effekt des sozialen Status und das materielle Wohl-standsgefälle zurückzuführen sein könnte.

Projektbaustein 4: Therapieplatzmangel

Einstiegstext: Wie ist der Mangel an Therapieplätzen in Deutschland zu erklären?

„Wir reformieren die psychotherapeutische Bedarfsplanung, um Wartezeiten auf einen Behandlungsplatz, insbesondere für Kinder und Jugendliche, aber auch in ländlichen und strukturbenachteiligten Gebieten deutlich zu reduzieren.” (Deutsche Depressions Liga 2022). So steht es im neuen Koalitionsvertrag der Bundesregierung (SPD, Bündnis90/Die Grünen, FDP). Getan hat sich allerdings noch nicht viel. Die Corona-Pandemie hat den Mangel an Therapieplätzen weiter verschärft. Seither haben psychische Erkrankungen wie Angststörungen, Depressionen, Stresssymptome, Einsamkeitsgefühle, Essstörungen und Schlafprobleme deutlich zugenommen. Die Folge davon sind noch längere Wartezeiten, um an einen Therapieplatz zu gelangen. Dies bedeutet ein zusätzliches Risiko für psy-chisch angeschlagene Menschen: In den Wochen und Monaten kann sich eine Erkrankung deutlich verschlimmern, eine Depression sogar lebensbedrohlich werden.

Kinder und Jugendliche mit Psychotherapie 2009 und 2021 In Deutschland warten Patient*innen im Durchschnitt fünf bis sechs Monate auf den Beginn einer Psychotherapie. Das ginge schneller, wenn nach Schweregrad verteilt würde. Oder wenn mehr Psychotherapeut*innen eine Zulassung bekämen (vgl. Jülich/Bräuniger 2022). Denn nicht der Mangel an Psychotherapeut*innen ist das Problem, sondern zu wenig zugelassene ‚Kassensitze’3 so die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK). Also zu wenig Psychotherapeut*innen, die eine Zulassung bekommen, um ihre Leistungen mit den gesetzlichen Krankenkassen abrechnen zu können. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) ist das höchste Gremium im deutschen Gesundheitswesen. Dieser entscheidet, welche Leistungen von den Gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden. 2019 hat der G-BA ein Gut-achten in Auftrag gegeben, um den Bedarf an Psychotherapieplätzen zu überprüfen. Die Gutachter*innen empfahlen die Einrichtung von bis zu 2.400 zusätzlichen Kassensitzen für Psychotherapeut*innen. Ermöglicht hat der G-BA 2019 allerdings nur 800 zusätzliche Sitze (vgl. ebd.).

Die „Bedarfsplanung” des G-BA für Psychotherapeut*innen stammt aus dem Jahr 1999, was dem heutigen Bedarf keineswegs entspricht. Ohne Kassenzulassung kann ein*e Therapeut*in nur Privatpatient*innen und Selbstzahlende behandeln. Für viele Betroffene ist das allerdings viel zu teuer. Hinzu kommt, dass die Versorgungsdichte mit tätigen Psychotherapeut*innen sich zwischen ländlichen Regionen (1000.000 Einwohner*innen auf eine Praxis) und Kernstädten (5300.000 Einwohner*innen auf eine Praxis) stark unterscheidet. Eine besonders geringe Dichte an Therapeut*innen haben somit kleine Bundesländer mit geringer Bevölkerungsdichte wie Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt, das Saarland. Im Gegensatz dazu stehen Länder wie Berlin, Bremen oder Hamburg (vgl. ebd.). Somit haben in der Stadt lebende Menschen deutlich mehr Möglichkeiten, an einen Therapieplatz zu gelangen.

Auch Therapeut*innen fordern die Zulassung weiterer Sitze und formulieren in einer Petition: „1. Beschränkung der Anzahl von Kassensitzen pro Psychotherapeut*in auf einen Sitz und 2. Deckelung der Preise für einen Kassensitz”. Denn die Preise für die Kassensitze sind enorm. Das macht es Berufseinsteiger*innen fast unmöglich, einen solchen zu erhal-ten. Grund dafür ist, dass einzelne Therapeut*innen mehrere der zu wenigen Kassensitze besitzen und das System möglichst gewinnbringend für sich ausnutzen. Gleichzeitig fehlt es an rechtlichen Maßnahmen, die den steigenden Preisen entgegenwirken. Dabei sind Therapeut*innen mit niedrigem sozialen Status am stärksten betroffen. So ist der Mangel an Therapieplätzen einerseits natürlich für die Menschen eine Belastung, die einen Therapieplatz suchen. Aber auf der anderen Seite auch für die, die eigentlich gerne helfen möchten, die Psychotherapeut*innen (vgl. Lottes 2022). Abschließend ist anzumerken, dass die steigende Zahl an Diagnosen für psychische Erkrankungen ebenfalls ein Zeichen dafür sein könnte, dass das gesellschaftliche Stigma „psychisch krank” nachlässt und die deutsche Bevölkerung bereiter ist, auch mit mentalen Problemen zur Psychotherapie zu gehen (vgl. Barmer 2021). Doch das Problem bleibt: Viele Hilfesuchende bekommen keinen Termin für eine Therapie – zumindest nicht schnell genug.

Psychotherapeut*innen in Berlin

Versorgungsgrad von Psychotherapeut*innen in Berlin

Aufgabe: ZDF-Magazin Royale

Nachdem die Schüler*innen den Einführungstext „Wie ist der Mangel an Therapieplätzen in Deutschland zu erklären?” gelesen haben, schauen sie sich alle gemeinsam das Video von Jan Böhmermann an und beantworten dabei in Einzelarbeit Fragen/Aufgaben. Anschließend finden die Schüler*innen sich in Kleingruppen zusammen und besprechen ihre Ergebnisse, um sie dann im Plenum vorzustellen und zu diskutieren. Video: zdf-magazin-royale-vom-4-februar-202 (9:18 - 30:21)

Ziel

Durch die Textarbeit sollen die Schüler*innen einen ersten Überblick über das Thema erhalten. Die Schüler*innen sollen anschließend aus visuellem Material gezielt Informationen herausarbeiten. Das Videomaterial soll das angeeignete Wissen zu der Thematik vertiefen. Durch diesen Aufgabentyp können unterschiedliche Lerntypen angesprochen werden, wie beispielsweise der visuelle und auditive Lerntyp.

Aufgabe a) Lest den Text “Wie ist der Mangel an Therapieplätzen in Deutschland zu erklären?” und macht euch Notizen. Diskutiert anschließend den Text mit euren Mitschüler*innen.

Aufgabe b) Schaut euch das Video von Jan Böhmermann an. Macht euch währenddessen Notizen zu folgenden Fragen:

  1. Nenne Gründe und Ursachen, warum Betroffene so lange auf einen Therapieplatz warten müssen bzw. warum ein Mangel an Therapieplätzen herrscht.
  2. Wie beeinflusst der soziale Status den Zugang zu einem Therapieplatz?
  3. Wie lange müssen sogenannte Kassenpatient*innen im Durchschnitt auf einen Therapieplatz warten? Warum stellt das ein Problem dar?
  4. Was wird als ‚Lösung’ / Strategie vorgeschlagen, um den Mangel auszugleichen? Und welche Kritik gibt es daran? Welche eigenen Kritikpunkte könnt ihr hinzufügen?

Aufgabe c)

Findet euch in Kleingruppen zusammen und besprecht eure Notizen. Stellt anschließend eure Ergebnisse im Plenum vor.  

Lösungsskizzen

Zu 1.:

  • zu wenig zugelassene Kassensitze → Bedarf wird nicht angepasst, trotz Gutachten
  • Corona hat Problem verschärft
  • G-BA verhindert den Ausbau von mehr Therapieplätzen

Zu 2.:

  • Menschen mit geringem Einkommen müssen auf Therapieplatz warten, der durch die Krankenkassen abgerechnet wird
  • Menschen mit höherem sozialem Status können eventuell selbst zahlen, dadurch Wartezeit verkürzen

Zu 3.:

  • 6 Monate (24 Wochen)
  • Problem (Beispiele):
    • zu lange Wartezeit, kann Gefahr für Patient*innen darstellen→ Zustand ver-schlechtert sic
    • es ist belastend, sich immer wieder damit auseinanderzusetzen, und nach Therapeut*innen zu suchen; es ist anstrengend, Ablehnungen zu verkraften
    • in einigen Fällen sogar lebensbedrohlich
    • Betroffene werden mit ihren Leiden, Sorgen allein gelassen

Zu. 4.:

  • verschiedene Apps, die statt einer Therapie durch einen Psychotherapeutin angeboten werden → Lösungsvorschlag des damaligen Gesundheitsministers Jens Spahn und G-BA
  • Kritik (Beispiele):
  • Mensch nicht durch App ersetzbar
  • spielt ernsthafte psychische Probleme herunter, nimmt es nicht ernst
  • erweckt Eindruck, als wären psychische Krankheiten einfach zu händeln
  • kann nicht das gleiche leisten
  • keine Lösung für den Mangel an Therapieplätzen! → es müssen mehr Kassensitze geschaffen werden
  • Sparmaßnahme
  • Menschen werden mit ihrem Problem allein gelassen

Projektbaustein 5: Krankheitsbild Depressionen & Gesamtreflexion des Themas

Wichtig für die Lehrkraft - Sensibilisierung

Vorab sollte gemeinsam mit den Schüler*innen über das Thema gesprochen und zusammen die Entscheidung getroffen werden, ob das Thema behandelt werden soll. In jeder Klasse können Schüler*innen selbst von Depressionen betroffen oder Angehörige einer betroffenen Person sein. Es sollte den Schüler*innen die Möglichkeit gegeben werden, selbst zu entscheiden, ob sie an der Unterrichtseinheit teilnehmen wollen. Auch bei psychisch stabilen Jugendlichen kann die Auseinandersetzung mit dem Thema mentale Gesundheit und soziale Ungleichheiten bestehende Ängste oder negative Erfahrungen verstärken. Die Lehrperson muss deshalb unter anderem für folgende Rahmenbedingungen sorgen:

  • dafür sorgen, dass Schüler*innen keine persönlichen Details preisgeben, über die sie nicht sprechen wollen
  • Freiheit zu entscheiden, was Schüler*innen von sich selbst preisgeben wollen
  • Vertraulichkeit in Bezug auf die im Unterricht offenbarten Erfahrungen
  • erneuter Hinweis auf die Beratungsstellen

Die Lehrperson sollte während der Unterrichtseinheit immer wieder darauf hinweisen, offen über die momentanen Gefühle sprechen zu können und gegebenenfalls den Unterricht einstellen, falls sich eine Person unwohl fühlen sollte.

Einführungstext: Depressionen

Mentale Krankheiten betreffen einen Großteil der Weltbevölkerung. Ungefähr 280 Millio-nen Menschen weltweit sind von Depressionen betroffen und vor allem Kinder und Jugendliche sind besonders anfällig für diese Krankheit, da sie sich noch in der Entwicklungsphase befinden (vgl. World Health Organization 2021). Während genetische Veranlagungen, Verlusterlebnisse und auch Überlastung durch das soziale Umfeld als häufige Ursachen für Depressionen angesehen werden, haben auch soziale Faktoren und speziell der urbane Raum einen großen Einfluss auf die mentale Gesundheit (vgl. Stiftung Deutsche Depressionshilfe).

Psychische Erkrankungen bei jungen Berliner*innen 2021

Symptome

Lustlosigkeit, Konzentrationsmangel und Schlafstörungen sind nur einige der Anzeichen für eine mögliche Depression. Auch abfallende schulische Leistungen, sowie die eigene Isolation und ein vermindertes Selbstwertgefühl sind vor allem bei Heranwachsenden oft vertreten (vgl. ebd.). Zwar lassen sich diese Merkmale nicht immer auf eine psychische Erkrankung zurückführen, jedoch können sie darauf hinweisen und mögliche Anreize geben, eine professionelle Behandlung in Erwägung zu ziehen. Eine Diagnose kann jedoch nur von Fachärzt*innen gestellt werden (vgl. Dietrich et al., 2016).

Aufgrund von Stigmatisierung bleiben jedoch viele psychische Erkrankungen unentdeckt, weshalb sich Expert*innen sicher sind, dass die Dunkelziffer sehr hoch ist (vgl. Hilbert et al. 2022). Im schlimmsten Fall kann eine schwere Depression zum Suizid führen, was unter 15- bis 29-Jährigen die vierthäufigste Todesursache darstellt. Jährlich sterben über 700.000 Menschen durch Suizid, weshalb es wichtig ist, über Depressionen und mentale Krankheiten im Allgemeinen aufzuklären und dieses Thema zu entstigmatisieren (vgl. World Health Organization 2021). 

Verbreitung

Seit Beginn der Corona-Pandemie im Jahr 2020 ist die Zahl der an Depression erkrankten Kinder in Deutschland stark angestiegen. Speziell in Berlin, beispielhaft für einen urbanen Ballungsraum, sind die Zahlen besonders hoch. Im Jahr 2020 sind verglichen zum Vorjahr 17% mehr Jugendliche zwischen 15 und 17-Jahren mit der Diagnose Depression behandelt worden (vgl. DAK-Gesundheit 2022). In Brandenburg konnte man eine Verdreifachung der Neudiagnose Depression bei zehn- bis 14-Jährigen und Fünf- bis Neunjährigen feststellen. Der Anstieg von psychischen Erkrankungen während der Corona-Pandemie verdeutlicht die enorme Stressbelastung während der Pandemie und die Wirkung sozialer Isolation auf die mentale Gesundheit (vgl. ebd.).

Urbaner Raum

Vor allem in den Großstädten gibt es ein erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen. Dichte- und Isolationsstress sind hierbei häufige Auslöser. Eng bebaute Flächen und viel befahrene Straßen können Stress verursachen und bei manchen Personen zu einer Reizüberflutung führen. Lärmbelastung, aber auch unangenehme Gerüche, sowie fehlende Erholungsorte können sich negativ auf die psychische Gesundheit auswirken (vgl. Adli/Schöndorf 2020). Die Stadt bietet jedoch auch Möglichkeiten, diesen Stressfaktoren entgegenzuwirken. Da es eine Verbindung zwischen physischer und psychischer Gesundheit gibt, kann körperliche Betätigung das mentale Wohlbefinden positiv beeinflussen. Sportvereine oder auch andere außerschulische Aktivitäten können dabei helfen, soziale Kontakte zu knüpfen und somit das Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken (vgl. Mason et al., 2009). Zusätzlich sind in der Stadt Einrichtungen, die professionelle Hilfeleistungen für jegliche Art von psychischer Krankheit anbieten, häufiger aufzufinden als beispielsweise auf dem Land.

Besonders die Erreichbarkeit von Alltagsinfrastrukturen ist hierbei von großer Bedeutung. Eine barrierefreie und auch sichere Umgebung kann Stress reduzieren und somit auch das Risiko für mentale Krankheiten mindern (vgl. Miles et al. 2012). Der urbane Raum kann einen großen Einfluss auf das psychische Wohlbefinden nehmen, jedoch wird die mentale Gesundheit oftmals nicht bei der Stadtplanung berücksichtigt. Daher ist es wichtig, über Faktoren aufzuklären, die das Risiko von mentalen Krankheiten, wie beispielsweise Depressionen, erhöhen können, um in Zukunft etwas zu verändern. 

Soziales Umfeld

Auch das soziale Umfeld kann einen großen Einfluss auf das mentale Wohlbefinden nehmen. Oft ist das Gefühl der sozialen Isolation in der Großstadt weit verbreitet. Zwar gibt es mehr Menschen in der Stadt, jedoch ist auch die Anonymität größer, weshalb es wichtig ist, ein starkes soziales Umfeld zu haben (vgl. Matthews et al., 2016). Möglichkeiten, soziale Interaktionen zu fördern, sind vor allem für vulnerable Gruppen, wie beispielsweise Jugendliche, ältere Menschen und Personen mit Migrationshintergrund von großer Bedeutung. Die soziale Ablehnung aufgrund von Hautfarbe, Geschlecht oder finanziellen Mitteln kann Stress steigern und somit Depressionen zur Folge haben (vgl. Hilbert et al., 2022). Altersgerechte Treffpunkte können sich positiv auf die mentale Gesundheit auswirken, da Personen sich mit Gleichgesinnten austauschen können und das Risiko der sozialen Isolation abgeschwächt werden kann (vgl. McCay et al. 2017).

Sozialer Status

Der soziale Status ist ein wichtiger Faktor, der bei der Betrachtung der mentalen Gesundheit nicht vernachlässigt werden sollte. Dieser bezieht sich beispielsweise auf den Bildungsstand, den Beruf oder das Einkommen. Wie bereits in den anderen Projektbaustei-nen beschrieben, wirkt sich soziale Ungleichheit in vielerlei Hinsicht auf das mentale Wohlergehen aus. Da Jugendliche in den meisten Fällen noch von ihren Eltern abhängig sind, hat die Situation des Elternhaushaltes auch einen großen Einfluss auf die gesund-heitliche Entwicklung der Kinder. Soziale Benachteiligung und ein damit einhergehender niedriger sozialer Status können das Risiko für eine langanhaltende Depression erhöhen und sich auch allgemein negativ auf die Psyche auswirken (vgl. Melchior et al. 2013). Es ist wichtig, über diese Faktoren und Zusammenhänge aufzuklären, um eine Stigmatisierung zu verhindern.

Ungleiche soziale Bedingungen bedeuten auch ungleiche Möglichkeiten bei der gesundheitlichen Versorgung. Wer beispielsweise mehr Geld hat, kann verschiedene Alternativen zur Therapie in Anspruch nehmen, weitere Wege zurücklegen und auch Zusatzkosten für Medikamente bezahlen (vgl. Klein/von dem Knesebeck 2020). Diese Unterschiede haben sich vor allem bei Schüler*innen während der Corona-Pandemie bemerkbar gemacht. Fehlende technische Ausstattung, keine Hilfestellung bei den Schulaufgaben oder zu wenig Platz in der eigenen Wohnung waren nur einige der Schwierigkeiten, welche es für ärmere Familien zu bewältigen galt.

Aufgabe 1: Depressionen – Erste Recherche zur mentalen Krankheit

Ziel

Die Schüler*innen sollen aus visuellem Material gezielt Informationen herausarbeiten. Das Videomaterial soll einen ersten Überblick zu dem bearbeiteten Thema „Depression” bieten und durch anschließende Textarbeit das bereits erarbeitete Wissen vertieft werden. Durch diesen Aufgabentyp können unterschiedliche Lerntypen angesprochen werden, wie beispielsweise der visuelle und auditive Lerntyp.

Aufgabe a)

Schaut euch das Video Nr. 1 „Generation Corona: Sind Schüler die Verlierer der Pandemie?” an. Macht euch währenddessen Notizen zu folgenden Themenbereichen:

  • Welche Ursachen/ verstärkende Faktoren werden bezüglich einer depressiven Erkrankung genannt?
  • Welche Symptomatiken einer Depression werden beschrieben?
  • Welchen Einfluss hatte die Corona-Pandemie auf Schüler*innen
  • Wie hängt die Corona-Pandemie mit psychischen Erkrankungen, speziell Depressionen, zusammen?

Lösungsskizze

Welche Ursachen/ verstärkende Faktoren werden bezüglich einer depressiven Erkrankung genannt?

-Schulstress/Zukunftsängste - fehlende Ansprechpartner*innen - mangelnde Unterstützung bei Schulaufgaben - kein strukturierter Alltag - soziale Isolation

Welche Symptomatiken einer Depression werden beschrieben?

  • Müdigkeit/Schlafstörung
  • Lustlosigkeit
  • Konzentrationsmangel

Welchen Einfluss hatte die Corona-Pandemie auf Schüler*innen?

-Zukunftsängste werden verstärkt - Zunahme von mentalen Krankheiten - Bildungslücken

Wie hängt die Corona-Pandemie mit psychischen Erkrankungen, speziell Depressionen zusammen?

  • Zunahme von psychischen Erkrankungen bei Schüler*innen
  • steigende Nachfrage nach (stationärer) Behandlung aufgrund mentaler Krankheiten
  • jüngere Kinder: mehr Angst- und Verhaltensstörungen
  • Jugendliche: mehr Essstörungen und Depressionen

Aufgabe 2: Spezifizierung des erarbeiteten Wissens

Ziel

Nach Bearbeitung des Fokustextes Depression und dem Einstiegsvideo sind die Schüler*innen angehalten ihr neu gewonnenes Wissen zu „kartieren”. Dabei soll ein tieferes Verständnis zur Bearbeitung von Texten generiert werden und zusätzlich gesammeltes Wissen aus vorherigen Aufgabenteilen wiederholt werden. Schüler*innen werden in Gruppen- und Partnerarbeit gestärkt, sowie ihrem Leseverständnis.

Aufgabe

Am Ende der Bearbeitung von Einstiegstexten und Videomaterial soll neu gewonnenes Wissen „kartiert” werden. Am Ende der verschiedenen Arbeitsphasen soll ein Poster entstehen, welches im Plenum präsentiert wird. Mögliche Lösungsvorschläge der einzelnen Arbeitsphasen sind in Klammern hinter den einzelnen Aufgaben vermerkt.

Arbeitsphase 1: Kritikphase

In kleinen Gruppen von 3-4 Schüler*innen sollen folgende Schwerpunkte erarbeitet werden:

  • Symptomatik einer depressiven Erkrankung (Niedergeschlagenheit, Appetitlosigkeit, Lustlosigkeit, Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen, etc.)
  • Welche Maßnahmen sind sinnvoll für Betroffene? (Geregelte Alltagsstrukturen, Bewegung, Zugang zu Natur/Grünflächen, etc.)
  • Welchen Einfluss hat die Corona Pandemie auf psychische Erkrankungen, speziell Depression? (erhöhter Stress aufgrund von sich verändernden Arbeitsbedingungen, Unsicherheiten mit Blick auf die Zukunft, Auflösung alltäglicher Strukturen, Überforderung von Lehrpersonal und Erziehungsberechtigten, räumliche Enge im Wohnumfeld etc.)
  • Besteht ein Zusammenhang zwischen sozialer Ungleichheit und der Entwicklung von depressiven Erkrankungen? (Personen aus benachteiligten sozialen Verhältnissen haben meist weniger Ressourcen (z.B. Zeit, Kapital, Wissen) zur Verfügung, um Betroffene angemessen zu unterstützen, Zugang zu Grünflächen, Therapieplatzangebot, Depression als Stressfolgeerkrankung im Zusammenhang mit erhöhter Stressbelastung im Alltag aufgrund von Herkunft, Geschlecht, Kapital etc.)

Arbeitsphase 2: Kreativphase

Die erarbeiteten Zwischenergebnisse sollen nun in den bereits bestehenden Gruppen auf einem Plakat o.ä. graphisch dargestellt werden. Ziel ist es, die vermeintlich „unsichtbaren” Sachverhalte zu visualisieren und für die Schüler*innen greifbarer zu machen.

Ein möglicher Lösungsvorschlag ist die Darstellung der einzelnen Sachverhalte an einem menschlichen Körper, an dem die Maßnahmen der Betroffenen Person an die Hand gegeben werden können, Symptomatik kann beispielsweise im Kopfbereich eingezeichnet werden. Die Schüler*innen können hierbei ihr kreatives Potenzial entfalten und erarbeite-tes Wissen kompakt zusammenfassen und wiederholen.

Arbeitsphase 3: Darstellungsphase

Die Plakate sollen nun in den Gruppen im Klassenplenum vorgestellt werden. Ziel ist es, eventuelle Wissenslücken zu ergänzen und eine Diskussion zu den Sachverhalten anzuregen. Zusätzlich sollen erarbeitete Inhalte reflektiert und die Kompetenz der mündlichen Präsentation gestärkt werden. Gedankengänge der Schüler*innen, welche zur spezifischen Darstellungsweise geführt haben, können dem Klassenverband erläutert werden.  

Collage Charta der Neurourbanistik

Aufgabe 3: Reflexion

Zum Abschluss der Projektaufgaben sollen die Schüler*innen die Möglichkeit bekommen, eine Gesamtreflexion des Projektthemas gemeinsam im Plenum anzustellen.

Ziel Die Schüler*innen sollen sich in Teilgruppen mit einem ihnen zugewiesenen Schwerpunkt der Charta tiefergehend beschäftigen. Dazu sollen sie zur selbstständigen Recherche animiert werden, ihr neu erworbenes Wissen anwenden und in einer stetigen Diskussion mit den Peers nach Lösungen suchen. Sie sollen Informationen aus unterschiedlichen Quellen erfassen und analysieren und verstehen.

Aufgabe a)

Findet euch in Gruppen zusammen. Jede Gruppe bekommt ein Thema zugeteilt. Reflektiert zusammen: Wie steht ihr zum Inhalt? Könnt ihr jetzt am Ende des Projektes mehr damit anfangen als am Anfang? Denkt an euer Stresstagebuch zurück: Passen eure persönlichen Assoziationen zu Stress mit diesen Texten zusammen? Was haltet ihr von den Aussagen?

Aufgabe b) Präsentiert die Ergebnisse anschaulich im Klassenplenum. Entwerft hierfür ein Plakat.

Lösungsskizzen

  • Jegliche Assoziationen sind richtig
  • Es sollte das neu erlernte und angeeignete Wissen als Argumentationsgrundlage für die Meinungen dienen

Wichtig für Lehrer*innen:

  • mobile Endgeräte zur Recherche erwünscht
  • Übersicht der Charta auf der Website im Impressum –> auf dem Beamer zeigen

Weiterführendes Material

Materialsammlung für Lehrkräfte

Titel und Art des Materials Link Kommentar
Fernsehbeitrag: “Heavy Mental - Generation Depression?” https://www.zdf.de/dokumentation/grauzone/depression-psyche-burnout-psychotherapie-100.html Dies ist ein Fernsehbeitrag, der die Auswirkungen des Therapieplätzemangels beleuchtet.
Fernsehbeitrag: “Das Problem mit den Psychotherapieplätzen” https://www.zdf.de/comedy/zdf-magazin-royale/zdf-magazin-royale-vom-4-februar-2022-100.html Das ist ein Fernsehbeitrag von dem Satiriker Jan Böhmermann aus seiner Sendung „ZDF Magazin Royal” mit dem Fokus auf den Mangel an Therapieplätzen in Deutschland.
Fernsehbeitrag: “Therapieplatz-Mangel: Woran Deutschland bei dringend nötigen Psychotherapien scheitert” https://www.ardmediathek.de/video/team-upward/therapieplatz-mangel-woran-deutschland-bei-dringend-noetigen-psychotherapien-scheitert/rbb-fernsehen/Y3JpZDovL3JiYi1vbmxpbmUuZGUvdGVhbS11cHdhcmQvMjAyMi0wNC0wOVQwNToyMDowMF8yYmY5NDI2NC1lYmI1LTQ2NjctOGM4MS1kM2ZmYzhjMGY2MWUvdGVhbV91cHdhcmRfMjAyMjA0MDlfc2Rn Dies ist eine Dokumentation zum Therapieplätzemangel in Deutschland.
Radiobeitrag: “Lange Wartezeiten - Was tun gegen den Mangel an Psychotherapieplätzen?” https://www.deutschlandfunk.de/lange-wartezeiten-was-tun-gegen-den-mangel-an-100.html Das ist ein Radiobeitrag, der den Mangel an Therapieplätzen thematisiert.
Youtube-Video: “All by myself! Berlin – Stadt der einsamen jungen Erwachsenen?” (Podiumsdiskussion) https://www.youtube.com/watch?v=K98j0Qyd_7k Die Podiumsdiskussion “All by myself! Berlin- Stadt der jungen Erwachsenen?” vom 22.4.2022 fand im Futurium in Berlin statt. Hierbei wurde das Thema Einsamkeit in der Stadt aus den verschiedenen Perspektiven der eigeladenen Gäst*innen beleuchtet. Das Video ist eine Aufzeichnung der Diskussion.
Youtube-Video: “Was beim Stress im Körper passiert” (3:42) https://www.srf.ch/play/tv/puls/video/was-beim-stress-im-koerper-passiert?urn=urn:srf:video:483e8a3a-691a-4d22-b90f-d765026595dd Der Beitrag beschäftigt sich damit, was im Körper bei Stress vorgeht.
Publikation: “Psychische Erkrankungen in Deutschland: Schwerpunkt Versorgung” https://www.dgppn.de/_Resources/Persistent/f80fb3f112b4eda48f6c5f3c68d23632a03ba599/DGPPN_Dossier%20web.pdf Das ist eine Publikation der DGPP (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V.) zum Thema ‘Psychische Erkrankungen in Deutschland’ mit dem Schwerpunkt Versorgung.
Organisation (Projekttag in Schulen): “Verrückt? Na und!”: Prävention für seelische Gesundheit in Schulen. Irrsinnig menschlich e.V. https://www.irrsinnig-menschlich.de/psychisch-fit-schule/ Die OrganisationIrrsinnig Menschlich e.V. ist im Bereich der psychischen Gesundheit tätig. Durch verschiedene Programme und Methoden versuchen sie auf mentale Belastungen einzugehen und diese zum Beispiel mit Schüler*innen offen zu besprechen, Stigmatisierungen entgegenzuwirken. Das Projekt “Verrückt? Na und!”” dient der Aufklärungsarbeit an Schulen. Lehrer*innen können bei ihnen einen Schultag oder eine Fortbildung buchen.
Organisation: Interdisziplinäres Forum für Neurourbanistik https://neurourbanistik.de Das ist die Website des Inter-disziplinären Forums für Neuro-urbanistik e.V.. Gemeinsam erforschen Hochschullehrer-*innen und Wissenschaftler-*innen unter anderem aus Psychiatrie, Stadtplanung, Ethnologie und Soziologie, wie Städte die mentale Gesundheit der Menschen unterstützen können und entwickeln dazu Forschungsmethoden.

Linksammlung - Belastungen durch Corona

Video Titel des Videos Laufzeit Video-URL Kommentar
Nr. 1 „Generation Corona:  Sind Schüler die Verlierer der Pandemie?” (6:49 min) https://www.youtube.com/watch?v=tZJC2t3_p6k Bericht des ZDFheute zu  Herausforderungen der  Corona-Pandemie von  Kindern und Jugendlichen und  Auswirkung auf mentale  Gesundheit
Nr. 2 „Psychische Corona Folgen für Kinder und  Teenager” (1:51 min) https://www.youtube.com/watch?v=sgKq_7u35zA Bericht der Tagesschau  zu einer Umfrage des  UKE zur Corona Pandemie und mentaler  Gesundheit
Nr. 3 „Mehr Depressionen  bei Kindern und Jugendlichen” (6:01 min) https://www.youtube.com/watch?v=y4jiqCtKBe8 Bericht der Tagesschau  zu einer Studie der  Barmer und erhöhter  Anzahl an depressiv Erkrankten von Kindern  und Jugendlichen
Nr. 4 „Depression bei Jugendlichen - Therapie  Schön-Klinik” (5:50 min) https://www.youtube.com/watch?v=ZHbnDn9-jlI Aufklärungsvideo der Schön  Klinik zum Thema Depression bei Kindern und  Jugendlichen
Nr. 5 „Corona-Folgen: Die  Qualen der Jugend im  Lockdown” (6:18 min.) https://www.youtube.com/watch?v=oRrXkud76tI Bericht des BR24 zu einer  Zunahme von  Essstörungen, Ängsten und  Depressionen bei Kindern  und Jugendlichen als Folgen  der Corona-Pandemie
Nr. 6 „Ängste, Panik und ein  Gefühl der Hoffnungslosigkeit - wie  Corona Depressionen  befeuert” (10 min) https://youtu.be/tYiqRiwr8fs Bericht des ZDFheute zu  Auswirkungen der  Corona-Pandemie auf  Depression bei  Erwachsenen

Sammlung von Beratungsangeboten

Wie kann ich an einen Therapieplatz gelangen?

  • Es hilft, Therapiepraxen in der Umgebung abzutelefonieren, die man nicht über eine Suche im Netz findet, denn nicht alle Psychotherapeuten haben einen Online-Auftritt.
  • Liste der Praxen in der Umgebung findet man bei der Psychotherapeutenvereinigung und bei der Psychotherapiesuche des Psychotherapie-Informationsdienstes.
  • Vermittlung der Kassenärztlichen Vereinigung für ein Erstgespräch bei Psychotherapeut*innen unter der Telefonnummer: 116 117
  • Gruppentherapien können eine Lösung sein:: gruppenplatz.de
  • https://schulpsychologie.de/schuelerinnen: über diese Internetseite finden Kinder und Jugendliche schulpsychologische Hilfe, es werden für jedes Bundesland mehrere Anlaufstellen aufgelistet

Weitere wichtige Telefonnummern/Portale für akute Fälle von psychischen Krisen:

Telefonnummern

  • Info-Telefon Depression: 0800-3344-533
  • Nummer gegen Kummer: 116111
  • Telefon-Seelsorge: 0800-1110111 oder 0800-1110222
  • Kummertelefon: 0800 1110 333
  • In Notfällen: 112

Internetportale

  • krisenchat.de: Kinder und Jugendliche können sich hier anonym per SMS oder WhatsApp von Expert*innen beraten lassen

  • https://jugend.bke-beratung.de/views/home/index.html: bei der bke-Jugendberatung findest du viele andere Jugendliche, mit denen du dich austauschen kannst, und erfahrene Berate-rinnen und Berater, die dich unterstützen.

  • https://www.neuhland.net/startseite.html: Beratungsstelle für Kinder- und Jugendliche in Krisen

  • https://www.youth-life-line.de : Team aus jugendlichen Peer-berater*innen und drei therapeutischen Fachkräften hilft Jugendlichen in Krisen per Email/ Chat

  • www.netz-und-boden.de : Initiative für Kinder psychisch kranker Eltern, Hilfsangebote und Ansprechpartner*innen, Veranstaltungen    

Zusatzmaterial Depressionen  

Die zehn Dimensionen der Depressivitätsskala

  • Belastung von Kindern und Jugendlichen vor und während der COVID-19 Pandemie im Mai/Juni 2020

  • Aufgeführte Symptome können Aufschluss für frühe Anzeichen einer Depression sein

Kriterien einer Depression

  • Kriterien einer Depression aufgeführt nach Haupt- und Nebensymptomen des ICD-10 - Mindestens 5 der aufgeführten Symptome, wovon mindestens eines ein-Hauptsymptom ist, sollte erfüllt sein, um auf eine Depression hinzuweisen

Psychische und körperliche Ursachen einer Depression

  • Darstellung des Robert-Koch-Instituts für mögliche Ursachen einer Depression
  • Die Grafik stellt den Zusammenhang zwischen körperlichen und psychischen Ursachen für den Ausbruch einer Depression dar

Zusatzmaterial: Weitere Krankheitsbilder bei Jugendlichen

Kahoot

Die Online-Quiz-Plattform “kahoot!” soll Wissen auf spielerische Art vermitteln. Besonders geeignet ist ein solches Quiz aufgrund seiner relativ kurzen Dauer (10-15 Min.) für den Einstieg in eine Unterrichtsstunde - so können sich die Schüler*innen schon einmal der kommenden Thematik annähern. In dem verlinkten kahoot! sind alle Themen dieses Lernmaterials vertreten - zu jeder Thematik sind 3-4 Fragen enthalten. Die Fragen sollen dabei ein besseres Gespür für jede Thematik wecken und erste Fakten vermitteln. Sollten in dem geplanten Unterricht nur ein oder zwei ausgewählte Themen der Material-sammlung behandelt werden, so ist es auch möglich, ein individuelles kahoot! zu erstellen und gewünschte Fragen zu übernehmen und gegebenenfalls zu ergänzen.

Link: https://create.kahoot.it/share/adhs/d0f0d559-477c-4d78-b0f1-a16693c6b066 808 303

Krankheitsbild Angststörungen

Wird’s besser? Wird’s schlimmer? fragt man alljährlich. Seien wir ehrlich: das Leben ist immer lebensgefährlich. Erich Kästner

Für Menschen mit Angststörungen fühlt sich die Realität tatsächlich oftmals an, wie in Kästners Aussage. Angststörungen gehören zu den häufigsten psychischen Störungen in Wohlstandsgesellschaften (Wagner 2021, S. 107). In einer sich ständig ändernden Welt ist der Begriff des „Zeitalters der Angst” (Morschitzky 2009, S. 9) entstanden. Daseins- und Zukunftsängste sind für viele Menschen alltäglich (ebd.). Dabei ist Angst erstmal eine normale und notwendige menschliche Emotion, so wie Freude, Trauer und auch Wut (ebd., S. 1). Angst ist eine angemessene Reaktion auf möglicherweise lebensbedrohliche Ereignisse, ohne die der Mensch schutzlos Gefahren ausgesetzt wäre (ebd.).
Angst lässt sich auf drei Komponenten reduzieren: Den körperlichen, subjektiven und den Verhaltensanteil (ebd., S. 13).  

Ebenen der Angst

Problematisch werden diese Verhaltensweisen und Reaktionen der Angst erst, wenn sie krankhaft werden. Bei krankhaften Ängsten ist das Ausmaß der Angst nicht verhältnis-mäßig zur erlebten Bedrohung (ebd., S. 16). Auch wenn dies den Betroffenen klar ist, können sie der Angst jedoch keinen Einhalt gebieten. Zur Entwicklung krankhafter Ängste führen häufig Vermeidungsstrategien, welche durch nicht-krankhafte Ängste ausgelöst werden (ebd.). Ein Beispiel: Eine Person, die eine nicht-krankhafte Angst vor Spinnen hat, entwickelt eine krankhafte Angst vor Dunkelheit. Da die Angst vor Spinnen groß ist, vermeidet die Person Räume, in welchen diese häufiger vorkommen und entwickelt so zum Beispiel eine krankhafte Angst vor dunklen Räumen, denn in diesen könnten Spinnen sein. Die nicht-krankhafte Angst verursacht also durch Vermeidung eine krankhafte Angst.

Merkmale krankhafter Angst:

Als Merkmale krankhafter Angst lassen sich unter a@sec-therapieplatznderem folgende Symptome benennen (ebd., S. 21): Wenn Ängste… ohne reale Bedrohung auftreten, lange andauern, stark und häufig auftreten, mit körperlichen Symptomen verbunden sind, Kontrollverlust beinhalten, Ängste vor erneuter Angst verursachen, unrealistisch sind, zu Vermeidungsstrategien führen und/oder eine starke Einschränkung der Lebensqualität beinhalten ist von einer krankhaften Angst auszugehen. Hierfür müssen nicht alle Merkmale gleich stark oder überhaupt auftreten (ebd.).

Arten von Angststörungen

Es wird zwischen primären und sekundären Angststörungen unterschieden. Sekundäre Angststörungen treten als Begleitung einer anderen Erkrankung wie Depressionen auf. Des Weiteren existieren verschiedene Symptomatiken von Angststörungen, wie beispiels-weise die Panikstörung, Agoraphobie, generalisierte Angststörungen, Phobien, Zwangsstörungen, Posttraumatische Belastungsstörungen und einige weitere (ebd., 22f.). (Genauere Erläuterungen zu den Arten findet ihr unten im Glossar.)

Verbreitung von Angststörungen

Angststörungen sind bei Frauen die häufigste und bei Männern die zweithäufigste psychiatrische Störung. Jede*r Vierte in der Allgemeinbevölkerung leidet im Laufe des Lebens unter einer Angststörung in unterschiedlich starker Ausprägung. In klinischen Studien sind die häufigsten Ausprägungen Panikstörungen und Agoraphobien, während in der Allgemeinbevölkerung soziale und spezifische Phobien am weitesten verbreitet sind (ebd., 185f.). In Ostdeutschland sind insbesondere in Ausbildung stehende Personen von Angststörungen betroffen. Also Schüler*innen, Studierende und Auszubildende mit 26,3 Prozent (ebd., S. 382). Die Ursachen hierfür findet ihr weiter unten im Text. Behandlung von Angststörungen: Bei fast 90 Prozent aller behandelten Personen werden Medikamente zur Bekämpfung der Angststörung eingesetzt. Nur insgesamt 25 Prozent der klinischen Fälle erhalten eine psychotherapeutische Beratung (ebd., S. 187). Dies hängt auch mit der Tatsache zusammen, dass es sich häufig schwierig gestaltet einen Therapieplatz zu bekommen. (Mehr Informationen zum Therapieplatzmangel findet ihr im Text „Mangel an Therapieplätzen” Kapitel 1.3.5.1 .)

Ursachen von Angststörungen

Anfälligkeiten für Angststörungen können erblich bedingt sein (ebd., S. 199). Die Auslöser sind allerdings in der Umwelt zu finden. Dies können Umweltfaktoren, Lebenserfahrungen und (erlernte) Denkmuster sein. Hierzu zählen traumatische Erlebnisse, falsch erlernte Verhaltensmuster, neurobiologische Instabilitäten und besonders ausgeprägter Stress beispielsweise im Zusammenleben mit anderen Menschen (ebd.). Personen, die soziale Benachteiligung erfahren, sind häufiger von Angststörungen betroffen. Die sich verändernden Lebensbedingungen der letzten Jahrzehnte, sowie wachsende Stressoren im Alltag treffen bereits vorher Benachteiligte stärker. Risikofaktoren sind unter anderem Arbeitsplatzunsicherheit, Instabilität vieler Lebensbereiche (zum Beispiel Preisunsicherheit, Stichwort Inflation) und die wachsende soziale Isolation. Dieser immer stärker werdende Trend betrifft vor allem sozial weniger privilegierte Gruppen, besonders Personen mit einem niedrigen Bildungsabschluss. Studien zeigen, dass Personen in statusniedrigeren Schichten höhere Anfälligkeiten für psychische Krankheiten und auch Angststörungen aufzeigen (Mauz, Mütters, Jacobi). Das Risiko an einer Angststörung zu leiden, ist außerdem bei Jugendlichen deutlich höher als in anderen Altersgruppen. In Kombination mit der bereits höheren Anfälligkeit durch den sozialen Status, sind viele Jugendliche besonders bedroht. Kinder und Jugendliche sind unter anderem auf Grund ihrer Lebensphase grundsätzlich schon vulnerabler als andere Personengruppen (viele Veränderungen, keine vollständige Kontrolle über das eigene Leben, kurz: das Erwachsen werden), hinzu kommt für viele die Angst vor einer unsicheren Zukunft (Corona, Krieg, Klimawandel), aber auch die gestiegenen Anforderungen in einer von Leistung geprägten Gesellschaft. Außerdem hat sich das Bewusstsein für psychische Erkrankungen in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt, weswegen es zusätzlich so scheint, als würde die Zahl der Erkrankten steigen.

Menschen, die sozial benachteiligt werden, haben infolgedessen nicht nur ein höheres Risiko von sowohl psychischen als auch physischen Erkrankungen betroffen zu sein, sondern erhalten oftmals auch weniger Möglichkeiten, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dies hängt teilweise auch mit dem Bildungsstand, dem damit verbundenen Wissen über Erkrankungen und der sozial geprägten Einstellung gegenüber Psychotherapie zusammen.

Glossar

Quellen

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Fußnoten

  1. In diesem Materialpaket wird sozialer Status als unkomplizierteres Synonym zum korrekt ausgedrückten sozioökonomischen Status verwendet.↩︎

  2. Gentrifizierung: “„Gentrifizierung” bezeichnet zumeist die Verdrängung einkommensschwächerer Haushalte durch wohl-habendere Haushalte in innerstädtischen Quartieren, somit einen wichtigen Aspekt der Auswirkung sozialer Ungleichheit auf den Wohnungsmärkten.” Quelle: BPB↩︎

  3. „Wenn ein*e Psychotherapeut*in einen ‚Kassensitz’ hat, dann heißt das, dass diese*r Arzt*Ärztin gesetzlich krankenversicherte Patient*innen behandelt. Sie bekommen ihr Geld von der „Kassenärztlichen Vereinigung” (KV) oder von den Krankenkassen direkt. Natürlich können diese Therapeut*innen auch Privatpatient*innen behandeln.” (Voos 2019).↩︎