Kompetenzentwicklung

Im Fach Deutsche Gebärdensprache (DGS) können Schülerinnen und Schüler Handlungskompetenz in der Deutschen Gebärdensprache erwerben bzw. ausbauen. Der Unterricht zielt auf den Erwerb der Sprache und Kultur der Gebärdensprachgemeinschaft ab. Dies ist die Voraussetzung für das Verstehen und die Verständigung in der Gebärdensprachgemeinschaft Deutschlands. Somit kann die Anschlussfähigkeit in gebärdensprachlichen
Kommunikationssituationen inner­halb und außerhalb der Schule sowie nach dem Ende der Schulzeit gesichert werden. Darüber hinaus kann DGS auch als Bildungssprache in anderen Fächern benutzt werden.

Durch den Erwerb von Kenntnissen zu sprachlich-kulturellen und sozialen Besonderheiten der Gebärdensprachgemeinschaft und dem Vergleich mit der eigenen Lebenswirklichkeit lernen die Schülerinnen und Schüler außerdem, in sprachlich-kulturellen Begegnungssituationen zu bestehen und können diese als Bereicherung für ihre Persönlichkeit empfinden.

Weiterhin entwickeln sie in zunehmendem Maße die Fähigkeit, die notwendige Sprachmittlung zwischen geschriebenem oder gesprochenem Deutsch und DGS zu leisten. Gebärdensprachunterricht bietet durch die Rezeption und Produktion von erzählenden und poetischen Texten in DGS verschiedene Möglichkeiten zur ästhetischen Bildung von Schülerinnen und Schülern.

Der systematische Aufbau und die situative Nutzung sprachlichen Wissens und Könnens bilden eine wichtige Grundlage des Unterrichts. Die Lernenden erhalten im Gebärdensprachunterricht die Gelegenheit, über Sprache zu reflektieren sowie Gemeinsamkeiten, Besonderheiten und Unterschiede zwischen der Deutschen Gebärdensprache und geschriebenem oder gesprochenem Deutsch sowie anderen Gebärdensprachen zu erkennen. Kompetenzen auf der metasprachlichen Ebene werden somit ebenfalls gezielt gefördert.

Unterschiedliche Lernvoraussetzungen werden im DGS-Unterricht aufgegriffen und sind Ausgangpunkt des pädagogischen Handelns. Für Schülerinnen und Schüler mit keiner oder einer geringen Sprachkompetenz in DGS hat der Gebärdensprach­unterricht den Auftrag, eine grundlegende gebärdensprachige Handlungskompetenz auf der Basis funktional-kommunikativer, methodischer und kultureller Kompetenzen auszubilden. Schülerinnen und Schüler mit einer altersangemessenen bzw. weiter entwickelten Sprachkompetenz werden auf höherem Niveau gefördert. Da DGS in der Regel in einem mehrsprachigen Kontext erworben bzw. erlernt wird, wird abhängig von den individuellen Lernvoraussetzungen DGS als Mutter- bzw. Erstsprache, Zweit- oder Fremdsprache unterrichtet.

Die Entwicklung der gebärdensprachigen Handlungskompetenz im Unterricht ist als gleichzeitige Entwicklung von funktional-kommunikativer Kompetenz, kultureller Kompetenz und methodischer Kompetenz beschreibbar.

Kommunikative Kompetenz in der DGS ist die Fähigkeit und Bereitschaft, in dieser Sprache bewusst, verständlich und konstruktiv mit Partnerinnen und Partnern zu kommunizieren.

Kommunikative Kompetenz umfasst

  • ­Funktionale kommunikative Kompetenz (Sehverstehen und Gebärden),
  • ­Sprachwissen,
  • ­Sprachmittlung,
  • ­Sprachlernen.

Die Entwicklung der kommunikativen Fertigkeiten ist eng mit dem Erwerb und der sicheren Verfügbarkeit von grundlegenden sprachlichen Mitteln (Phonologie, Morphologie und Syntax sowie textlinguistische und pragmatische Aspekte der DGS) verbunden. Die gebärden­sprachige Handlungskompetenz steht dabei im Vordergrund. Sprachliche Mittel haben in diesem Sinne dienenden Charakter. Sie werden aufgebaut, geübt und gefestigt mit dem Ziel ihrer zunehmend sicheren und korrekten Anwendung in kommunikativen Kontexten. In Abhängigkeit von den individuellen Lernvoraussetzungen kann dabei auch eine funktionale, d. h. zielsprachlich nicht korrekte, aber kommunikativ erfolgreiche Nutzung sprachlicher Mittel das Ziel des Unterrichts sein.

Im Laufe ihrer Schulzeit entwickeln und erweitern die Schülerinnen und Schüler ihre bilingual-bikultuelle gebärdensprachige Handlungsfähigkeit durch die Beschäftigung mit viel­seitigen kulturellen Themen sowohl in realen als auch in unterrichtlichen Kommunikations­situationen. Sie begegnen Neuem und stellen Ähnlichkeiten mit der eigenen Lebenswelt, aber auch Unterschiede zu Bekanntem fest.

Kulturelle Kompetenz umfasst

  • ­Wissen zu Geschichte und Gemeinschaft der Gehörlosen bzw. der Gebärdensprach­gemeinschaft
  • ­Wissen zur Kommunikation innerhalb der Gebärdensprachgemeinschaft und zum Kontakt mit der umgebenden lautsprachlich geprägten Mehrheitsgesellschaft sowiezur Alltagsbewältigung von Gehörlosen
  • ­vorurteilsfreien und respektvollen Umgang mit kultureller Differenz
  • ­Perspektivübernahme und Bewältigung von bilingual-bikulturellen Begegnungssituationen

Kulturelle Kompetenz beinhaltet Einsicht in die Kulturabhängigkeit des eigenen Denkens und Verhaltens sowie die Fähigkeit und Bereitschaft zur Wahrnehmung bikultureller oder fremdkultureller Perspektiven. Die Schülerinnen und Schüler kennen die Normen und Werte der Gehörlosen- bzw. Gebärdensprachgemeinschaft einerseits und die Kultur der umge­ben­den Mehrheitsgesellschaft andererseits und setzen diese in ein individuell ausba­lan­ciertes Verhältnis zueinander. So können sich die Schülerinnen und Schüler neugierig auf Begeg­nungen zwischen hörbehinderten und hörenden Menschen einlassen und diese als Bereicherung empfinden. Damit sind sie in der Lage, in einem bilingual-bikulturellen Kontext erfolgreich zu handeln.

Methodische Kompetenz betrifft fachliche und überfachliche Fähigkeiten, die in zunehmen­dem Maße selbstgesteuertes und kooperatives Sprachlernverhalten ermöglichen. Sie beinhaltet die Fähigkeit, den Prozess des Erwerbs von Wissen und Können zu planen, zu gestalten und zu reflektieren.

Methodische Kompetenz umfasst:

  • ­Strategien, Lern- und Arbeitstechniken,
  • ­Umgang mit Texten und Medien,
  • ­Präsentationstechniken.

Methodische Kompetenz bildet auch eine Grundlage für den Erwerb anderer Sprachen und dient dem lebenslangen, selbstständigen Lernprozess. Ein besonderes Gewicht liegt auf dem Umgang mit gebärdensprachbezogenen visuellen Medien sowie Techniken zur Fixierung, Wiedergabe und Analyse von Gebärdensprache.

Folgende Erläuterungen dienen dem leichteren Verständnis von zentralen Begriffen, die im Fachteil „Deutsche Gebärdensprache“ verwendet werden.

Weitere Hinweise zu verwendeten Fachbegriffen

hörbehindert

Damit sind alle Menschen gemeint, deren Hörvermögen beeinträchtigt ist. 

Mehrsprachigkeit

Mehrsprachigkeit bezeichnet die Fähigkeit eines Menschen, in mehr als einer Sprache zu kommunizieren. Die traditionelle Definition bezieht sich auf das Verstehen und Sprechen mehrerer Lautsprachen, dies gilt aber ebenso für die Nutzung von Gebärdensprachen. 

Sehtext

Ein Text ist eine meist längere sprachliche Äußerung, die in sich zusammenhängt, einen bestimmten Inhalt hat und als mündliche Äußerung, gebärdete Äußerung oder in geschriebener Form vorliegt. Ein meist in Form einer Film- oder Videoaufnahme vorliegender Text in Gebärdensprache wird als Sehtext bezeichnet, denn er muss für die Rezeption des Inhalts zunächst vom Zuschauer angesehen werden.

Mediales Sehverstehen

Analoge und mehr noch digitale Medien wie Film oder Video werden für die Aufnahme von Gebärdensprachtexten genutzt. Die Kompetenz des medialen Sehverstehens beschreibt, ob eine Person in der Lage ist, eine im Raum produzierte Gebärdensprache beim Anschauen von zweidimensionalen Film- und Videoaufnahmen zu verstehen. Mediales Sehverstehen stellt an den Zuschauer höhere Anforderungen als das Verstehen von Gebärdensprache in der direkten (dreidimensionalen) Interaktion.

Redaktionell verantwortlich: Boris Angerer, LISUM