Kompetenzentwicklung

Demokratien befinden sich durch nationale und internationale Herausforderungen stets im Wandel. Ihre Gesellschaften zeichnen sich durch ein hohes Maß an Komplexität und Heterogenität aus. Um das Leben in einer Demokratie mitgestalten zu können, benötigen Schülerinnen und Schüler Fähigkeiten, gesellschaftliche Fragen und Probleme zu verstehen und zu beurteilen. Sie in der Entwicklung ihrer politischen Mündigkeit zu unterstützen, ist Aufgabe des Faches Politische Bildung.

 

Politische Mündigkeit zu fördern heißt, dass Politische Bildung den Lernenden Möglichkeiten aufzeigt, auf der Basis einer kritischen Urteilsfähigkeit an politischen und gesellschaftlichen Prozessen teilzuhaben. Das bedeutet auch, die Folgen politischer Entscheidungen für sich und andere aus verschiedenen Perspektiven abzuschätzen: sozial, ökologisch, ökonomisch und global (Nachhaltige Entwicklung/Lernen in globalen Zusammenhängen). Um nach der Schulzeit selbstständig politisch partizipieren zu können, lernen die Schülerinnen und Schüler, differenzierte Informationen aus den Medien zu beziehen sowie diese als Artikulationsmöglichkeit zu nutzen (Medienbildung).

 

Der Unterricht knüpft damit an das Fach Gesellschaftswissenschaften 5/6 an und stellt vor allem politikwissenschaftliche Herangehensweisen und Fragestellungen in den Mittelpunkt.

 

Pluralistische Demokratien ermöglichen eine Vielfalt von Lebensformen, Orientierungen, Weltanschauungen, Meinungen und Interessen. Dazu gehören auch kulturelle, ethnische und religiöse Unterschiede. Diese Vielfalt anzuerkennen, ist ein wesentliches Anliegen des Faches (Bildung zur Akzeptanz von Vielfalt [Diversity]).

 

Die Schülerinnen und Schüler üben bereits in der Grundschule, z. B. im Rahmen des Klassenrates, demokratische Handlungs- und Kommunikationsweisen im Sinne sozialer und interkultureller Kompetenz, um gesellschaftliche und politische Konflikte kompromissorientiert und kooperativ zu lösen (Demokratiebildung, Gewaltprävention).

 

Dafür bilden die Menschen- und Grundrechte den normativen Rahmen. Sie sind wesentlicher Teil der Werteerziehung und Menschenrechtsbildung der politischen Bildung in der Schule. Zentrales Ziel ist es, die Schülerinnen und Schüler zur Loyalität der Demokratie gegenüber zu motivieren und sie zu ermutigen, für eine demokratische Kultur einzutreten.

Der Förderung politisch mündigen Handelns in der Gesellschaft kommt im Politikunterricht eine zentrale Rolle zu. Die politische Handlungskompetenz steht dabei in einem engen Zusammenhang mit den Fachkompetenzen: Analysieren, Urteilen und Methoden anwenden. Die politik- und sozialwissenschaftliche (Problemlösungs-)Analyse ist eine Voraussetzung für ein reflektiertes politisches Urteil. Politisch mündiges Handeln bedingt in der Regel eine Beurteilung von Politik. Die genannten Fähigkeiten Analysieren, Urteilen sowie Handeln erfolgen dann kompetent, wenn sie auf Fachwissen, vor allem Konzeptwissen in Form von Fachkonzepten und politikwissenschaftlichen Kategorien, basieren und notwendige Metho-den, z. B. zur Problemerschließung, berücksichtigen (Methoden anwenden).

Mündig handeln

Politisch mündiges Handeln lässt sich in partizipatives und kommunikatives Handeln unterteilen. Reales partizipatives Handeln zeigt sich z. B. am Engagement in Initiativen, Verbänden, Parteien, bei Demonstrationen sowie der Teilnahme an Wahlen oder auch öffentlichen Debatten. Diese Formen des Handelns können im Schulfach Politische Bildung häufig nur simulativ realisiert werden. Denn in einer Demokratie steht allen frei, ob und in welcher Weise sie politisch aktiv sein wollen. Vorgaben im Unterricht wären ein Verstoß gegen das Indoktrinationsverbot des Beutelsbacher Konsens.

 

Durch die Förderung kommunikativen Handelns, wie Interessen artikulieren, Argumente vertreten, Konflikte und Kompromisse verhandeln und Entscheidungen treffen, leistet das Fach einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung politischer Mündigkeit. Politisches Handeln ist insbesondere politische Kommunikation, wie sie z. B. durch Debatten, Entscheidungs-, Rollen-, Planspiele oder Talkshows trainiert werden kann (siehe auch Methoden anwenden).

 

Aufgrund der Sprachintensität des kommunikativen Handelns erhält auch die Sprachbildung im Politikunterricht eine zentrale Bedeutung: Fehlende Sprachkompetenz behindert die Ausbildung politischer Mündigkeit und verwehrt gesellschaftliche Teilhabemöglichkeiten.

 

Handlungskompetenz zeichnet sich auch durch demokratische Grundqualifikationen wie Konflikt-, Kompromissfähigkeit, Empathie und Perspektivenübernahme aus. Diese sind in einer pluralistischen und Diversität anerkennenden Gesellschaft zentrale Qualifikationen, um gemeinsam Entscheidungen in einer Demokratie zu treffen, umzusetzen und andere politische Urteile verstehen und tolerieren zu können.

Analysieren

Die Kompetenz des sozial- und politikwissenschaftlichen Analysierens bezeichnet die Fähigkeit der Schülerinnen und Schüler, sich ein politisches Problem, eine Kontroverse oder Entscheidung in seiner Komplexität und unter Berücksichtigung der verschiedenen gesellschaftlichen Perspektiven zu erarbeiten – eine Herausforderung, die den Schülerinnen und Schülern auch in ihrer Rolle als zukünftige Bürgerinnen und Bürger immer wieder begegnen wird.

 

Die Analyse politischer Probleme und Entscheidungen erfolgt dabei anhand von Fragen nach Akteuren, Interessen, Macht, Werten etc. Dies sind politikwissenschaftliche Kategorien, hinter denen zentrale Fachkonzepte stehen und die sich auf das Prinzipielle von Politik beziehen. In Form von Fragen (z. B.: Welche Interessen sind von der Entscheidung betroffen?) helfen sie, Politik immer wieder aufs Neue zu erschließen und in einem nächsten Schritt zu beurteilen.

Urteilen

Das politische Urteilen, die eigene Positionierung zu einem politischen Problem oder einer politischen Entscheidung, charakterisiert besonders die politische Mündigkeit des Individuums. Zentrale Akte politischen Urteilens sind z. B. Wahlentscheidungen, aber auch die alltäglichen Bewertungen von politischen Abläufen.

 

Im Unterricht werden verschiedene und kontroverse Urteile entwickelt und diskutiert, die die gesellschaftliche Interessenvielfalt widerspiegeln. Die Akzeptanz der Schülerinnen und Schüler für die legitime Meinungsvielfalt in einer Demokratie wird durch einen kontroversen, problemorientierten Politikunterricht gefördert.

 

Ein politisches Urteil zeichnet sich dadurch aus, dass für eine differenzierte Urteilsbildung verschiedene Urteilskriterien gegeneinander abgewogen werden, an denen Politik in demokratischen Gesellschaften gemessen wird: z. B. an den Grundwerten Gerechtigkeit, Freiheit, Menschenwürde, Solidarität, Umwelt, aber auch an Kosten, Nutzen, Interessen etc. Diese werden aus verschiedenen Perspektiven (politische Akteure, Betroffene, politisches System) gewichtet. Auch hinter den Urteilskriterien verbergen sich politikwissenschaftliche Kategorien bzw. Fachkonzepte.

 

Das politische Urteil kann schließlich auch politisches Handeln initiieren, indem eine als für die Gegenwart oder Zukunft bedeutsam beurteilte Situation dazu herausfordert, sich aktiv in einen politischen Entscheidungsprozess einzubringen.

Methoden anwenden

Alle fachspezifischen Kompetenzen werden von der Methodenkompetenz getragen. Im Zentrum sozialwissenschaftlicher Informations- und Erkenntnisgewinnung stehen Methoden zur Auswertung von verschiedenen Medien (z. B. Textquellen, Grafiken, Statistiken, Karikaturen). Sozialwissenschaftliche Perspektiven und Fragestellungen bestimmen hierbei die Auswahl und Anwendung überfachlicher Methoden.

 

Für das politische Urteilen und Handeln sind simulative Methoden der Handlungsorientierung wie Debatten, Hearings, Talkshows, Rollen-, Entscheidungsspiele etc. von besonderer Bedeutung, da sie im Unterricht die Möglichkeit zum politischen Probehandeln bieten: Konflikte austragen, Argumente vorbringen, andere überzeugen, Entscheidungen treffen, Kompromisse schließen. Zugleich fließen die erarbeiteten Erkenntnisse in sichtbare, handlungsorientierte Lernprodukte ein, welche daneben auch im produktiven Gestalten von Plakaten, Blogs, Videos, Folien etc. sichtbar werden können. Reales Handeln kann z. B. in Form von Erkundungen, Interviews und Expertenbefragungen stattfinden und zeigt sich in der Auswahl geeigneter Medien für die Kommunikation politischer Inhalte und Positionen.

Konzeptwissen

Konzeptwissen bezieht sich auf das Fachwissen der Schülerinnen und Schüler, welches in Form von Basis- und Fachkonzepten im Laufe der Schuljahre erworben wird. Konzepte sind inhaltlich umfangreicher als Begriffe und Definitionen (enzyklopädisches Wissen). Sie beziehen sich auch auf Kontroversen und Probleme, die mit dem jeweiligen Konzept im Zusammenhang stehen (z. B. repräsentative versus direkte Demokratie). So ist es nicht zentral, die Anzahl der Sitze im Bundestag zu kennen (enzyklopädisches Wissen), sondern die Bedeutung eines Parlaments in einer repräsentativen Demokratie sowie die Kritik daran.

 

Politikunterricht bleibt nicht bei der Vermittlung von Fachkonzepten stehen, sondern Fachkonzepte werden als Erschließungs- und Bewertungskategorien funktional für die Analyse-, Urteils- und Handlungskompetenz genutzt.

 

Fachkonzepte erfordern das Erlernen und Nutzen einer eigenen Fachsprache im Politikunterricht. Dies ist die Grundlage für eine sprachsensible politische Bildung. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass Begriffe wie Rechtsstaat oder Verfassung zur Alltagssprache aller Schülerinnen und Schüler gehören. Ein sprachsensibler Politikunterricht zeichnet sich deshalb durch die bewusste Einführung von Fachkonzepten und die Kommunikation darüber aus.

 

Unterschieden wird in Basis- und Fachkonzepte. Die Basiskonzepte Ordnung/Systeme/Strukturen, Gemeinwohl/Grundorientierungen, Entscheidung/Akteure sind Kernideen zur Politik und haben eine Nähe zum Politikbegriff der drei Dimensionen des Politischen (Polity, Policy, Politics). Basiskonzepte setzen sich aus einer Vielzahl von Fachkonzepten zusammen. Diese werden im Politikunterricht eingeführt und regelmäßig aufgegriffen. An ihnen lässt sich das prinzipiell Politische erkennen und beschreiben, wie der Ablauf politischer Problemlösungsprozesse, das Handeln politischer Akteure, der Verlauf politischer Konflikte oder Wert- und Grundhaltungen politischer Positionen.

Basis- und Fachkonzepte

Redaktionell verantwortlich: Boris Angerer, LISUM