Zitat Mai 2006

Zitat Mai 2006

Zitat Mai 2006

"Die Antwort auf unsere behauptete oder tatsächliche Orientierungslosigkeit ist Bildung - nicht Wissenschaft, nicht Information, nicht die Kommunikationsgesellschaft, nicht moralische Aufrüstung, nicht der Ordnungsstaat."   (Hartmut von Hentig*)

 

Das Zitat entstammt einem Essay, das Hartmut von Hentig zur Ergänzung seines Buches "Schule neu denken" verfasst hat. In beiden Werken versucht von Hentig Antworten darauf zu finden, warum Schule in Deutschland derzeit ihre Ziele und auch ihre Schüler nicht erreicht. Und er versucht zu ergründen, was Bildung sein und leisten soll.


Der von mir sehr verehrte Professor Hartmut von Hentig  (Uni Bielefeld, bis1987 Wissenschaftlicher Leiter der Laborschule Bielefeld) ist für mich als Lehrerin und erst recht als Bildungspolitikerin eine Fundgrube. Bedauerlicherweise habe ich ihn erst nach der Wende kennen gelernt. Beim Besuch der Laborschule Bielefeld habe ich erfahren können, dass seine theoretischen Ansätze praxistauglich sind, dass eine Schule, in der Kinder von Klasse 1 bis 10 sehr selbstbestimmt miteinander lernen, gut funktioniert, wenn sie zugleich Lebens- und Erfahrungsraum ist.
Das Zitat habe ich gewählt, weil es für mich verdeutlicht, dass Schule eben mehr leisten muss, als Schüler auf eine künftige Informations- oder Kommunikations- oder Wissensgesellschaft vorzubereiten. Zugleich aber darf Schule auch nicht auf ihre sozialpädagogischen Aufgaben reduziert werden.


Es geht um Bildung im besten und weitesten Sinne des Wortes, um "sich bilden". Dazu braucht es Lehrkräfte, die in ihrer Ausbildung auf diesen Prozess vorbereitet werden, die also vor allem Pädagogen sind, deren Kompetenzen vor allem in den Professionswissenschaften (Diagnostik, Psychologie usw.) liegen. Hier gibt es noch erhebliche Defizite sowohl in der Lehrerausbildung als auch in der Fortbildung der Lehrkräfte.
Die Bildung, die von Hentig meint, braucht Rahmenbedingungen, unter denen die individuelle Förderung eines jeden Kindes auch gedeihen kann, also kleine Klassen- und Gruppenstärken, Förderangebote für Benachteiligte und Begabte, ein Team von Sozialpädagogen, Psychologen und Lernberatern, die unterstützend arbeiten können, keine frühe Auslese in nur vermeintlich homogene Lerngruppen, sondern langes gemeinsames Lernen. Sie braucht eine Pädagogik, mit der Kinder gestärkt und nicht beschämt werden und sie ist immer und in jedem Falle auch politische Bildung, weil sie die Schüler auf ein Leben in einer Zivilgesellschaft vorbereiten muss.
Bilden impliziert nach von Hentig immer auch erziehen. Es bedarf also keiner "Aufrüstung" z.B. durch Kopfnoten und keiner ordnungsstaatlichen Maßnahmen wie Fußfesseln für Schulverweigerer.


Nach meiner Überzeugung wandelt Brandenburg diesbezüglich auch mit der 16. Novelle des Schulgesetzes noch auf falschen Pfaden.
Ein bisschen mehr von Hentig täte gut.

 


* Prof. Dr. Hartmut von Hentig (geb. 1925) gilt als einer der profiliertesten (Reform-) Pädagogen der Bundesrepublik.

Vita Gerrit Große

  • geboren 1954 in Leipzig
  • verheiratet, 2 Kinder
  • 1972-1976 Studium Diplomlehrer Musik/Deutsch MLU Halle
  • 1976-2001 Lehrerin für Musik und Deutsch, später auch Darstellendes Spiel (34.POS Berlin, Runge-EOS/ Gymnasium, Havelgrundschule, OSZ I Oranienburg, Hedwig-Bollhagen-Gymnasium Velten)
  • seit Januar 2001 Mitglied des Landtages Brandenburg,
    Bildungspolitische Sprecherin der Fraktion Linkspartei.PDS

Redaktionell verantwortlich: Ralf Dietrich, LISUM