Zitat Juni 2019

Zitat Juni 2019

Franziska Nagy

  • Studium der Publizistik, Politikwissenschaft und Soziologie in München und Berlin
  • 2010 - 2017 Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Freudenberg Stiftung im Schlüsselprogramm »Service-Learning – Lernen durch Engagement«
  • seit 2017 Leiterin der Bereiche Wissenschaft, Politik und Kooperationen bei der Stiftung Lernen durch Engagement (eine Ausgründung der Freudenberg Stiftung)
  • seit 2019 Sprecherin der Arbeitsgruppe »Bildung und Engagement im gesellschaftlichen Raum « im BBE (Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement)
  • seit ihrer Jugend selbst ehrenamtlich engagiert, unter anderem in der evangelischen Landesjugend Berlin-Brandenburg, als Lernmentorin für Kinder und Jugendliche in schwierigen Lebenslagen und als Vormünderin für unbegleitete minderjährige Geflüchtete
     

"Die entscheidende Frage ist, wie wir junge Menschen auf ihre Zukunft vorbereiten anstatt auf unsere Vergangenheit.“ (Andreas Schleicher, Direktor für Bildung und Kompetenzen, OECD)

Mit meinen Schuljahren in Brandenburg verbinden ich viele schöne Erinnerungen: aufregende Klassenfahrten mit Nachtwanderungen und Lagerfeuer, Sommertage, an denen wir spreeaufwärts zur Schule gepaddelt sind und die große Erleichterung, wenn das Klingeln die Pausen eingeläutet hat. Mit dem Unterricht und der Lern- und Schulkultur ist es allerdings etwas anders: In 13 Jahren habe ich vor allem Strategien gelernt, möglichst detailgetreu Wissen wiederzugeben in Tests und Klausuren, um es danach wieder zu vergessen. Wir haben unendlich viele Fachinhalte behandelt aus Schulbüchern, an Tafeln und vorn am Lehrertisch, an die meisten kann ich nicht mehr erinnern. Was wir wirklich wissen, lernen und verstehen wollten, dafür gab es keinen Raum: Wir wollten eine Philosophie-AG gründen, aber kein*e Lehrer*in hat sich bereit erklärt, mit uns über die großen Fragen des Lebens zu diskutieren. Die Wiedervereinigung, die wir als Kinder und Jugendliche miterlebt haben, haben wir weder im Geschichts- noch im Politikunterricht behandelt. Und wenn wir den wachsenden Rechtsextremismus an unserer Schule thematisiert haben, haben uns die Lehrer*innen belächelt mit dem Kommentar: "Dieses Problem haben wir doch hier nicht", während in den Fluren und auf dem Schulhof die Nazis andere Schüler*innen bespuckt, gedemütigt und angegriffen haben. 

Die Frage, wie die Schule Kinder und Jugendliche auf ihr Leben und ihre Zukunft vorbereiten kann, ist heute nicht weniger aktuell als in meiner Schulzeit in den 90er Jahren. Und es hat sich auch schon viel getan in den vergangenen Jahren, sowohl im bildungspolitischen Diskurs als auch an den Schulen selbst. Aber die große Frage, wie sich Schule und Lernkultur insgesamt und ganzheitlich verändern müssen, um Kinder und Jugendliche handlungsfähig zu machen auf Herausforderungen wie die Digitalisierung, Demokratiegefährdungen oder den Klimawandel, wird nach wie vor nur mit Einzelinitiativen und Puzzlestücken beantwortet, aber noch nicht mit einer zukunftsfähigen Gesamtstrategie.

Ich selbst war mir nach meinem Abitur 2001 eigentlich sicher, nie wieder eine Schule betreten zu wollen. Heute leite ich in der Stiftung Lernen durch Engagement die Bereiche Politik, Wissenschaft und Kooperationen. Unsere Stiftung verbreitet bundesweit die Lehr- und Lernform Lernen durch Engagement (engl. Service-Learning, kurz LdE), die fachliches Lernen von Schüler*innen mit einem gesellschaftlichen Engagement verbindet. Zum Beispiel beschäftigen sich Schüler*innen mit den anstehenden Kommunalwahlen und organisieren eine Wahl-Kampagne, mit der sie auf Instagram für die Bedeutung kommunaler Politik für das eigene Leben aufmerksam machen wollen. Lernen durch Engagement steht für eine veränderte Lehr- und Lernkultur an Schulen, die problemorientiert, projektbezogen, realitätsnah und relevant ist und für die Stärkung von Demokratie und Zivilgesellschaft, indem Kinder und Jugendliche ihre Lernprozesse aktiv mitgestalten, Demokratiekompetenz erwerben und lernen, dass sie mit ihrem Wissen und ihrem Können etwas bewegen können in der Gesellschaft. Durch meinen Beruf besuche ich seit vielen Jahren zahlreiche Schulen bundesweit und lerne viele engagierte Lehrer*innen kennen, die jeden Tag zeigen, was Schule sein kann und die Schüler*innen dabei unterstützen, für sich selbst und andere wirksame Menschen zu werden und ihre Zukunft aktiv zu gestalten. 

Das motiviert mich und treibt mich an. Als Mitgründerin der Stiftung und als Mensch ist es mir wichtig, dass alle Kinder die Chance erhalten, ein wertvoller Teil der Gesellschaft zu sein, die Schlüsselkompetenzen zu erwerben, die sie für das Leben im 21. Jahrhundert und für den Erhalt und die Verteidigung unserer Demokratie brauchen. Andreas Schleicher und sein zugleich wissenschaftlich fundierter und visionärer Blick inspirieren mich und meine Arbeit jeden Tag und ich bin froh, mit vielen engagierten Kolleg*innen und Partnern der Stiftung Lernen durch Engagement diesen Funken immer noch ein Stück weiter tragen zu können. 


Franziska Nagy leitet in der Stiftung Lernen durch Engagement die Bereiche Politik, Wissenschaft und Kooperationen. Seit 2010 arbeitet sie zum Thema Service-Learning – Lernen durch Engagement an Schulen mit dem Ziel, allen Kindern und Jugendlichen gute Bildungserfahrungen und Zugang zu gesellschaftlichem Engagement zu ermöglichen und sie in ihrer Demokratiekompetenz zu stärken. In Brandenburg arbeitet die Stiftung Lernen durch Engagement eng mit der RAA Brandenburg zusammen, Lernen durch Engagement ist Teil des Bildungsangebots der RAA Brandenburg für Schulen und Lehrer*innen.

 

Vortrag von Andreas Schleicher "Future Skills – Zukunftsbildung für das 21. Jahrhundert" bei Forum Bildung und Zivilgesellschaft 2017 in Berlin:

https://www.stifterverband.org/veranstaltungen/2017_11_02_future_skills

 

Redaktionell verantwortlich: Ralf Dietrich, LISUM