Zitat August 2008

Zitat August 2008

Zitat August 2008

"Es gehört zu den großen Modetorheiten unserer Tage, nahezu alles, was unangenehm ist, auf die Schule und auf die Lehrerschaft abzuschieben."

(Dr. Helmut Kohl, Altbundeskanzler)

  

Negativschlagzeilen dieser Tage über fehlende geeignete Bewerber auf dem Ausbildungsstellenmarkt, Jugendliche mit fehlender Ausbildungsreife, fehlender Sozialkompetenz bzw. die allgemeine Verrohung der Kinder und Jugendlichen, Kopfnuss vergebende Lehrer, Gewalt und Verdummung der nächsten Generation konfrontieren uns mit der Frage: Wer trägt die Schuld?

Medien beschreiben vielfältig ein düsteres Bild der Zukunft und nur zum Teil finden sich, meist im Regionalteil, Erfolgsgeschichten über Kinder und Jugendliche, auch ganzer Schulen, die in regionalen und überregionalen Wettstreiten gewannen oder Platzierungen erzielten. Es besteht offensichtlich ein Missverhältnis zwischen Lob und Tadel, wobei der Nadelausschlag eindeutig zur Negativseite tendiert.

Das Schuljahr 2007/08 ist vorüber, es gab Zeugnisse, Versetzungen in die nächsten Schulstufen wurden ausgesprochen und Abschlüsse vergeben. Vielerorts wurde und wird Danke für Geleistetes gesagt, Aufführungen zu den diversen Schulprojekten durchgeführt und vielleicht auch hier und da eine Träne des Abschieds über die nun vergangene gemeinsame Grundschul-, Oberschul-, Gesamtschul-, Berufsschul- oder Gymnasialzeit vergossen.
Diese Bilder sind nicht öffentlich, die Geschichten nicht geschrieben und trotzdem erleben wir, als Beteiligte an Schule, genau diese Momente jetzt. Momente in denen Schule lebt, in denen das gemeinsame Lernen und Leben widergespiegelt wird. Eine Gemeinschaft aus Schülern, Eltern, Lehrkräften, Betrieben, Horten, ?., die den Ort "Schule" zu einem, ihr gebührenden gesellschaftlichen Platz gestalten.

Die große öffentliche Wahrnehmung ist jedoch anders! In diesem Zusammenhang frage ich mich, warum wir diese "Modetorheiten", von denen Helmut Kohl spricht, gesellschaftlich zulassen? Warum erhält die Lehrerin oder der Lehrer nicht die öffentliche Anerkennung für geleistete Arbeit, die ihr/ihm zusteht?
Schuldzuweisungen für schlechte PISA-Ergebnisse, fehlende Fachkräfte, mangelnde Chancengleichheit, unzureichende Förderung des Einzelnen sind das, was stehen bleibt.


Eine Lehrkraft von heute ist nicht mehr nur Wissensvermittler, vielmehr ist sie Partner, Wegbegleiter, Trainer, Moderator, Mediator. Das wird und ist die Lehrkraft, wenn sie ihren Beruf als Profession versteht. Mag es, wie in jeder anderen Berufgruppe auch, die sogenannten "schwarzen Scharfe" in der Lehrerschaft geben. Die Masse ist engagiert und auf das Wohl der Kinder und Jugendlichen bedacht. Sonst wäre das System Schule unter dem Druck von steten haushalterischen Zwängen, den Rahmenbedingungen, welche sich in den letzten Jahren nicht zum Vorteil verändert haben und der gestiegenen Arbeitsbelastung schon längst zusammengebrochen.
Gesellschaftliche Veränderungen haben auch stetig zur Veränderung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten der Schulen geführt, doch auf der Strecke dieser Veränderungen und Bewegungen blieb das Image von Schule, insbesondere der Lehrerschaft.
Beenden wir endlich die vom Altkanzler Kohl zutreffend so genannte "Modetorheit unserer Tage", dass für jede negative gesellschaftliche Entwicklung die Schule und ihre Lehrerschaft verantwortlich gemacht werden. Es liegt in der Verantwortung der Politik, in allen Entscheidungen zur gesellschaftlichen Entwicklung die Rolle der Schulen und der Lehrerschaft eindeutig zu definieren und ihr die gebührende Wertschätzung beizumessen.
Uns Lehrern wünsche ich einen ausgeprägten Stolz auf einen Beruf, der nicht ohne Leidenschaft ausgeübt werden kann.

Dagmar Heinisch-Weiser

  • geboren 1966 in Potsdam
  • 2 Kinder (9 und 12 Jahre)
  • 1985 Abschluss Berufsausbildung mit Abitur in Potsdam
  • 1985-1990 Studium (Wirtschaftspädagogik) an der Humboldt-Universität Berlin (Diplom-Ökonom-Pädagoge)
  • 1990/91 Berufsschullehrerin in Potsdam
  • seit 1991 Lehrkraft im Schuldienst des Landes Brandenburg am Oberstufenzentrum III "Johanna Just" in Potsdam
  • stellvertretende Vorsitzende des Hauptpersonalrates beim MBJS
  • Mitglied des geschäftsführenden Vorstandes der GEW Brandenburg (Bereich Berufliche Bildung)

Redaktionell verantwortlich: Ralf Dietrich, LISUM