Zitat Dezember 2009

Zitat Dezember 2009

Zitat Dezember 2009

»Noch nicht genug! – Es ist noch nicht genug, eine Sache zu beweisen, man muss die Menschen zu ihr auch noch verführen oder zu ihr erheben. Deshalb soll der Wissende lernen, seine Weisheit zu sagen: und oft so, dass sie wie Torheit klingt!«
Friedrich Wilhelm Nietzsche

Jeden Morgen, beim Aufwachen, fällt mein Blick auf ein Bild: Es zeigt den ein wenig zerzausten Arno Schmidt, im dicken Wintermantel, wahrscheinlich auf seinem Abendspaziergang über die Felder bei Bargteheide. Auf den dunklen Wolken über ihm steht in leuchtendroter Antiqua-Schrift: Das Verläßlichste sind Naturschönheiten. Dann Bücher; dann Braten mit Sauerkraut. Das hilft mir beim Aufstehen. Später, wenn ich den Rechner hochfahre, sind in der Nacht zwei Newsletter mit Zitaten eingetroffen: das eine die Tageslosung von der Herrnhuter Brüdergemeine, das andere ein Woody-Allen-Quote. Ich meine, sie passen gut zusammen – der depressive jüdische New Yorker und die gottesfürchtigen Protestanten aus meiner heimatlichen Nachbargemeinde.

 

Die Mischung, das Konträre, das Himmlische und das Irdische – sie bringen das Leben in ein gutes Gleichgewicht. Die Comenius-Buchhandlung der Herrnhuter Brüdergemeine versorgte mich übrigens schon zu DDR-Zeiten mit Literatur, die es nicht überall gab und aus der ich nicht wenige Zitate bezog: von Albrecht Goes beispielsweise oder Dietrich Bonhoeffer. Später, beim Studium an der Leipziger Universität, konnte man in den ML-Seminaren mit einem klugen Marx-Zitat manche Wirklichkeit aushebeln und so lernen, was Dialektik ist. Mit einem Wort: Zitate haben in meinem Leben schon immer eine große Rolle gespielt, als Autoritätsbeweise, als Stolpersteine, als Schmuckstücke. Selbst wenn Walter Benjamin meinen gelegentlichen Zitiereifer bremste mit seinem Diktum: Zitate seien Räuber am Wegesrand, die nichts anderes im Sinn hätten, als dem Müßiggänger die Überzeugungen abzunehmen, so konnte ich dem Verführerischem sowohl am Gedankenraub als auch am Müßiggang nie widerstehen. Den Überzeugungen hat es nicht geschadet.


Lieblingszitat, das ist wohl schon deutlich geworden, habe ich bei der Fülle des Angebots keins. Wohl aber wechselnde Favoriten, so auch das Zitat dieses Monats. Es ist von Friedrich Wilhelm Nietzsche und passt nach meinem Dafürhalten wunderbar zu einer Kooperation von LISUM und FILMERNST: Noch nicht genug! – Es ist noch nicht genug, eine Sache zu beweisen, man muss die Menschen zu ihr auch noch verführen oder zu ihr erheben. Deshalb soll der Wissende lernen, seine Weisheit zu sagen: und oft so, dass sie wie Torheit klingt! Nietzsche schrieb das 1886, im vierten Buch seiner »Morgenröthe« – und vielleicht hätten wir das als kluge Sentenz in unser Programmheft zum Projekt »Vergangenheit verstehen – Demokratiebewusstsein stärken. Die DDR im (DEFA-)Film« aufnehmen können. Die zunächst mit fünf Filmen bestückte Veranstaltungs- und Publikationsreihe (www.ddr-im-film.de) will die geschichtskulturellen, medien- bzw. filmpädagogischen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler fördern und  über die Auseinandersetzung mit den Filmen zugleich das Demokratieverständnis entwickeln. Es steckt viel Zukunft in der Vergangenheit, auch in der filmischen, aber es ist nicht so leicht, die Zielgruppen ins Kino zu genau diesen Filmen zu »verführen« und möglichst noch zu »erheben«. Noch viel schwieriger ist es, die Weisheiten der Filme so zu vermitteln, dass sie so einleuchtend wie Torheiten klingen. Manche Filme offenbaren aber auch Torheiten, aus denen sich Weisheiten für heute gewinnen lassen. Kein ganz leichtes Unterfangen, aber ein Anfang ist gemacht. Der Bildungsminister des Landes, Holger Rupprecht, hat uns zum Auftakt der Reihe am 9. November ausdrücklich ermutigt. Die ersten Veranstaltungen in Berlin und Brandenburg liegen mittlerweile hinter uns – und es ist noch nicht genug: Im nächsten Jahr wird es weitergehen, wollen wir weiter mit Filmen verführen und erheben – zu filmischen und demokratischen Weisheiten führen.

 

 

Dr. Jürgen Bretschneider

Dr. Jürgen Bretschneider

  • Journalistikstudium in Leipzig, Promotion (Linguistik).
  • Redakteur der Monatszeitschrift "Film und Fernsehen", anschließend zehn Jahre Lektor im Henschel Verlag Berlin (Film, Theater, Musik, Zeitgeschichte)
  • Seit 1998 freiberuflich als Journalist und Lektor (u.a. Leni-Riefenstahl-Katalog Filmmuseum Potsdam, Preußen-Katalog des Deutschen Historischen Museums, Katalog zur Dauerausstellung des Filmmuseums Potsdam 2005)
  • Lehraufträge (Journalismus und Medienmanagement), PR und Pressearbeit, Ghostwriting (u.a. für Wolfgang Stumph)
  • Seit 2003 Programm- und Projektarbeit im Bereich der Filmvermittlung und Medienpädagogik (Filmernst Brandenburg),
  • Presse- und PR-Arbeit für Kinderfilm GmbH, FSF-Prüfer, Vorstand Filmverband Brandenburg

Hinweis

Die dargestellten Meinungsäußerungen in den Kommentaren zu den Zitaten des Monats widerspiegeln die Meinung des jeweiligen Autors und werden nicht vom Bildungsserver Berlin-Brandenburg inhaltlich verantwortet.

Redaktionell verantwortlich: Ralf Dietrich, LISUM