Zitat November 2006

Zitat November 2006

Zitat November 2006

"Für Deutschland reicht es nicht, an Details eines Bildungssystems herumzuschrauben, das aus dem 19. Jahrhundert stammt."   (Andreas Schleicher, OECD-Bildungskoordinator*)

 


Prinzipiell sind Modifikationen an bestehenden Systemen ja als positiv zu betrachten. Doch irgendwann reicht es halt nicht mehr aus, nur einfache Parameter zu ändern. Diese Erkenntnis ist allerdings, was unser brandenburgisches Bildungssystem angeht, anscheinend noch nicht wirklich realisiert worden.


Schon allein der Gedanke, dass man ein Bildungssystem modernisieren und für unsere Gegenwart konkurrenzfähig halten will, indem man wahllos Elemente aus dem nun doch schon etwas weiter zurückliegenden Schulsystem der DDR hinzufügt, klingt doch erst mal widersprüchlich. Zumal dies meist unter dem Motto "Uns hat es ja auch nicht geschadet." passiert. Die aktuelle Kopfnotenproblematik ist da ein gutes Beispiel.
Nun möchte ich aber auch nicht sagen, dass das Zurückgreifen auf frühere Erfahrungen grundlegend falsch ist. Doch greifen wir dabei auf die falschen Sachen zurück. Denn Kopfnoten werden nicht dafür sorgen, dass unsere Kinder wieder richtig rechnen und schreiben. Ein höheres Kontingent an Mathe- und Deutschstunden würde da vielleicht eher helfen. Zur Zeit hat ein Abiturient im Grundkurs 3 und im Leistungskurs 5 Wochenstunden Mathe oder Deutsch. Zu DDR-Zeiten hatte jeder Schüler mehr als 3 Wochenstunden in jedem der beiden Fächer.


Eine weitere Frage, die man sich stellen sollte, wäre, wie ein Schulsystem für das 21. Jahrhundert tauglich sein soll, wenn die technischen und wirtschaftlichen Zweige in der Schule immer noch verkümmern. So ist es beispielsweise der Fall, dass wir in einem Zeitalter fortschreitender Technologisierung den Informatikunterricht nicht als gleichwertige Wissenschaft neben den Naturwissenschaften (Physik, Biologie usw.) betrachten. Aber immerhin existiert das Fach an jeder weiterführenden Schule. Dagegen sieht es allerdings bei den Wirtschaftswissenschaften sehr finster aus. Schüler müssten besser auf ein Leben in der heutigen Wirtschaft vorbereitet werden. Sie sollten vermittelt bekommen, was eine GmbH ist, wie der Konjunkturzyklus funktioniert, was Outsourcing bedeutet und wie Organisationen wie die Schufa unser alltägliches Leben beeinflussen.
An dieser Stelle möchte ich auch noch einmal eine kleine Kritik am Mathematikunterricht äußern. Es ist sicher wichtig, ausrechnen zu können, wie lange es dauert, bis mein Pool mit einem Volumen von 64 m³ mit Wasser gefüllt ist, wenn pro Minute 10 Liter hinein gepumpt werden. Interessanter wäre es doch aber, mal auszurechnen, wie hoch mein Nettoeinkommen nach allen Abzügen sein müsste, um mir den Pool überhaupt erst einmal leisten zu können und dabei das Verhältnis zwischen Brutto- und Nettoeinkommen verstehen zu lernen. Prozentrechnungen werden immer noch stark vernachlässigt und sollten daher wieder mehr berücksichtigt werden. Generell sollte das wirtschaftliche Rechnen auch im Mathematikunterricht stärker geübt werden. Interessant wäre es z.B. auch, Schüler einmal Nebenkosten für eine Wohnung ausrechnen zu lassen, damit sie lernen, dieses im Alltagsleben zu nutzen. Derzeit hat man in Klasse 9 eine Einführung in die Prozentrechnung, das war es dann auch schon.


Wie am Anfang schon erwähnt, sind Modifikationen wichtig. Doch das Wissen der Menschheit verdoppelt sich ca. alle 10 Jahre. Es kommt gerade darauf an, die wesentlichen Veränderungen zu erfassen und die Schüler auf die veränderte Zukunft vorzubereiten. Denn das ist es, was ein gutes Bildungssystem ausmacht.


* Leiter des Programms zur Bewertung der internationalen Schülerleistungen (PISA) bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris

- Rede von Andreas Schleicher auf dem 1. Ganztagsschulkongress (2004): http://www.ganztaegig-lernen.org/www/web63.aspx

- weitere Informationen zu PISA und zur bildungspolitischen Diskussion finden Sie auf dieser Seite des BBS

Vita Florian Schmidt

  • geb. 1987 in Brandenburg an der Havel
  • Abiturient am Bertolt Brecht Gymnasiums in seiner Heimatstadt
  • Schülersprecher
  • seit 2005 Vorstandsmitglied des Landesschülerrates (LSR Brandenburg) und Mitglied des Landesschulbeirates Brandenburg

Redaktionell verantwortlich: Ralf Dietrich, LISUM