Kompetenzentwicklung

Der Altgriechischunterricht leistet einen Beitrag zur sprachlichen, kulturellen und ästhetischen Bildung der Schülerinnen und Schüler, indem er die griechisch-römische Antike als das „nächste Fremde“ (U. Hölscher) zum Gegenstand und Ausgangspunkt der Reflexion macht: Das Eigene wird in der Auseinandersetzung mit dem Fremden erkennbar.  

Unsere Lebenswelt ist maßgeblich mitgeprägt durch Traditionen, die aus der griechisch-römischen Antike stammen. In einer Zeit zunehmender textbasierter Kommunikation über elektronische Medien und sich immer weiter ausdifferenzierender gesellschaftlicher Teilbereiche beschäftigen sich die Schülerinnen und Schüler im Altgriechischunterricht mit den gemeinsamen Traditionen dieser zunehmend komplexen Lebenswirklichkeit. Frühe, schriftliche Zeugnisse dieser Traditionen liegen uns in griechischsprachigen Texten vor. Der Altgriechisch-unterricht stellt den Spracherwerb sowie die inhaltliche und sprachliche Erschließung dieser Texte in seinen Mittelpunkt.

Der Spracherwerb zielt auf rezeptive Sprachkompetenz und macht die differenzierte altgriechische Sprache zum Gegenstand der Sprachreflexion. Der Altgriechischunterricht ermöglicht das Sprechen über Sprache in besonderer Weise. Er fördert im Sinne der Sprachbildung die Entwicklung der deutschen Sprachkompetenz, insbesondere im schriftlichen Ausdruck; denn er lässt die Schülerinnen und Schüler lernen, genau hinzusehen, geeignete Wörter und Ausdrücke zu suchen, sie kritisch zu prüfen, auszuwählen und kreativ anzuwenden. Über das Erlernen eines neuen Alphabets führt er in einen Kulturwortschatz ein, aus dem die Fachbegriffe vieler Fachwissenschaften abgeleitet sind, und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur systematischen Entwicklung bildungssprachlicher Fähigkeiten, die eine Grundvoraussetzung für erfolgreiches Lernen und für eine aktive Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben bilden.

Das Altgriechische als Weltsprache der Antike eröffnet den historischen Blick auf das klassische Griechenland, aber auch auf das römische Reich, Ägypten und den Vorderen Orient. Die sprachliche Kontinuität des Griechischen ermöglicht eine Erweiterung des Blickfeldes von der Archaik über die klassische Antike bis hin zum Christentum, zur Spätantike und zur byzantinischen Zeit sowie den Ausblick auf das Neugriechische.

Der Altgriechischunterricht fördert die interkulturelle Handlungsfähigkeit und eine für ihn spezifische Form der historischen Kommunikation, indem er die Schülerinnen und Schüler zur Auseinandersetzung mit der Antike anhält. Sie setzen sich selbst und ihre moderne Lebenswelt in Beziehung zu altgriechischen Texten und deren Inhalten. Denn formal wie inhaltlich gehen viele der seit der Antike bis heute gebräuchlichen Textsorten auf griechische Ursprünge zurück, z. B. Epos, Drama, philosophische und historische Texte, Texte zur politischen Theorie, Reden und Lyrik. Indem der Altgriechischunterricht die Ursprünge und Charakteristika dieser Textsorten zu seinem Gegenstand macht, ermöglicht er deren vertieftes Verständnis. Die Schülerinnen und Schüler nutzen dabei Medien in vielfältiger Weise.

Mit seiner insgesamt auf Reflexion gerichteten Grundhaltung bereitet der Altgriechisch­unterricht auf den wissenschaftspropädeutischen Unterricht in der gymnasialen Oberstufe vor. Er fördert die Fähigkeit, sich im Umgang mit Literatur und manchmal fremd wirkenden Aussagen antiker Texte eigener Auffassungen bewusst zu werden und eigene ästhetische, historisch-politische und ethische Positionen auszubilden.

Aufgrund der thematischen Vielfalt der überlieferten philosophischen, religiösen, naturwissenschaftlichen, historisch-politischen und mythologischen Texte lädt der Altgriechischunterricht zu abwechslungsreichem und fächerübergreifendem Arbeiten ein, indem er die Fächer des schulischen Kanons in besonderer Weise vernetzt.

Das folgende Modell stellt die Kompetenzbereiche dar, in denen die Schülerinnen und Schüler Kompetenzen erwerben, um die übergeordneten Ziele der interkulturellen fremdsprachigen Handlungsfähigkeit und der Fähigkeit zu historischer Kommunikation zu erreichen:

Der Altgriechischunterricht fördert Sprachkompetenz, indem er die Schülerinnen und Schüler befähigt, sprachliche Strukturen zu erfassen und zu analysieren, im Sinne von Reflexion über Sprache als System zu ordnen und metasprachlich korrekt zu beschreiben sowie bei der Texterschließung Bezug auf sie zu nehmen. Die Schülerinnen und Schüler loten beim Übersetzen die Wiedergabemöglichkeiten in der Zielsprache Deutsch aus und erweitern auf diese Weise ihre Ausdrucksfähigkeit nachhaltig. Im Einzelnen wird die Sprachkompetenz im Altgriechischunterricht durch die Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten in den Bereichen Lautlehre/Schrift, Wortschatz, Formenlehre und Satzlehre erworben.

Die Schülerinnen und Schüler lernen Altgriechisch korrekt zu lesen, zu schreiben, auszusprechen und zu betonen.

Sie eignen sich kontinuierlich einen altgriechisch-deutschen Wortschatz an. Sie kennen Wortbildungsregeln und nutzen Strategien zum Vokabellernen effektiv. Sie verwenden Hilfsmittel für die Wortschatzarbeit und Vokabellisten bzw. zweisprachige Wörterbücher sachgerecht. Die erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten im Wortschatzbereich verwenden die Schülerinnen und Schüler bei der Arbeit an altgriechischen Texten. Sie nutzen aus dem Altgriechischen abgeleitete Fremd- und Lehnwörter zur Erschließung und Einprägung von Wortbedeutungen und erweitern so ihre allgemeine Sprachbildung (vgl. Basiscurriculum Sprachbildung).

Die Schülerinnen und Schüler erfassen Struktur und Bildungsregeln des altgriechischen Formensystems, verfügen über Formenkenntnisse und wenden sie an. Sie erschließen neue Phänomene der Formenlehre, indem sie sie mit bereits bekannten Schemata vergleichen und sie in diese einordnen. Sie benutzen eine geeignete Systemgrammatik sachgemäß.

Die Schülerinnen und Schüler lernen, altgriechische Sätze in ihrer Struktur zu verstehen und angemessen zu übersetzen. Sie entwickeln die Fähigkeit, zunehmend komplexe Satz­strukturen zu analysieren. Sie erwerben Kenntnisse zu den satzwertigen Konstruktionen und weiteren typischen altgriechischen Satzelementen und wenden sie bei der Übersetzung von Sätzen an. Sie entwickeln übertragbare Strategien zur Bewältigung komplexer sprachlicher Schwierigkeiten.

Der Altgriechischunterricht fördert Textkompetenz, indem er die Schülerinnen und Schüler befähigt, bewusst unterschiedliche Zugänge zum Text zu wählen, verschiedene Grade des Textverständnisses zu entwickeln und von der Erfassung einfacher Informationen bis hin zur Erfassung komplexer Zusammenhänge zu kommen. Die Schülerinnen und Schüler gewinnen Einsicht in die Interpretationsbedürftigkeit eines jeden Textes und in die Möglichkeiten der Interpretation. Sie reflektieren das eigene Textverständnis und erlernen das zielsprachlich angemessene Übersetzen, das das Resultat des komplexen Verstehens­prozesses darstellt.

Dies leistet der Altgriechischunterricht im Einzelnen, indem er Fähigkeiten in den Bereichen Texterschließung, Übersetzung und Interpretation vermittelt. Die Schülerinnen und Schüler lernen Texterschließungsstrategien sowie Übersetzungs- und Interpretationsmethoden kennen und wenden sie zielgerichtet an. Sie nutzen dabei auch ihre Kompetenzen aus den Bereichen Wortschatz, Formenlehre und Satzlehre und beschreiben Aufbau, Struktur und Gliederung der Texte.

Die Schülerinnen und Schüler erschließen Inhalt, Zusammenhang und Funktion von Texten sowie deren formale und stilistische Gestaltung. Sie verfügen über Methoden und Kenntnisse, um Texte sprachlich und inhaltlich zu interpretieren und sie auf der Grundlage eines detaillierten sprachlichen und inhaltlichen Textverständnisses zu paraphrasieren und/oder ins Deutsche zu übersetzen. Sie reflektieren die Mitteilungs- bzw. Wirkungsabsicht der Texte sowie Unterschiede zwischen dem altgriechischen und deutschen Sprachgebrauch. Dabei entwickeln sie die Fähigkeit, ihre Arbeitsergebnisse kreativ weiterzuentwickeln.

Literaturkompetenz entwickelt sich im Fach Altgriechisch bei der Behandlung altgriechischer literarischer Texte und moderner Lehrbuchtexte.

Die Schülerinnen und Schüler erwerben Wissen über ausgewählte altgriechische Autoren und Werke sowie über literarische Gattungen/Genres und ihre spezifischen Ausdrucksformen. Sie erschließen die ästhetische Gestaltung literarischer Texte und die damit beabsichtigte bzw. erzielte Wirkung auf die Lesenden/Hörenden. Sie entnehmen den Texten Einsichten über die Vorstellungswelt der Antike, indem sie die Perspektive des Autors, der Autorin oder der fiktionalen Figuren untersuchen bzw. nachvollziehen, und finden auf der Grundlage einer aufmerksamen und genauen Wahrnehmung einen persönlichen Zugang zu den Texten.

Sie nutzen das Potenzial literarischer Texte für eigenes kreatives Weiterdenken, indem sie selbst Texte schreiben, umschreiben, illustrieren oder szenisch darstellen.

Der Altgriechischunterricht fördert Kulturkompetenz, indem er den Schülerinnen und Schülern Kenntnisse über kulturelle Phänomene der Antike vermittelt und sie befähigt, diese zu verstehen und so interkulturelle Kompetenz zu entwickeln.

Die Schülerinnen und Schüler erwerben Kenntnisse in den Bereichen der Geschichte im allerweitesten Sinne, der Kunst-, Philosophie- und Literaturgeschichte und der Mythologie. Sie entwickeln und nutzen Strategien zum Erwerb, zur Dokumentation und Präsentation geschichtlichen und kulturgeschichtlichen Wissens über die griechisch-römische Antike und die von ihr beeinflussten späteren Epochen. Sie wenden das erworbene Wissen bei der Übersetzung und Interpretation altgriechischer Texte an und nutzen es auch fächerübergreifend.

Die Schülerinnen und Schüler erkennen die Prägung „der heutigen“ oder „der gegenwärtigen“ Lebenswelt durch die Antike und interpretieren übernommene Gestaltungselemente, z. B. in der bildenden Kunst, und zivilisatorische Errungenschaften, z. B. in der Gestaltung politischer Systeme, vor dem Hintergrund der antiken Vorbilder.

Der Altgriechischunterricht fördert die Sprachbewusstheit bzw. Sprachreflexion sowie die Sprachlernkompetenz der Schülerinnen und Schüler. Er fördert die Bereitschaft, die sprachliche Gestaltung eines Textes im Bereich der Wortwahl, der Stilistik und des Periodenbaus zu beachten, zu würdigen und für die Interpretation zu nutzen. Der Unterricht fördert die Sprachlernkompetenz, indem er durch seine Beschränkung auf den rezeptiven Spracherwerb sprachliche Strukturen in besonderem Maße bewusstmacht, ein Begriffssystem zur Verfügung stellt und übertragbare Modelle sowie Analysefähigkeit vermittelt. Außerdem schult er eine Vielzahl von Lernmethoden. Das versetzt Schülerinnen und Schüler in die Lage, sowohl mit einer gewissen Selbstständigkeit den Spracherwerb im Altgriechischen weiterzuführen als auch diese Form des Spracherwerbs auf andere Sprachen zu übertragen.

Sofern der Erwerb der Kompetenzen in allen genannten Bereichen bereits im Lateinunterricht angebahnt worden ist, kann der Altgriechischunterricht auf ihnen aufbauen, sie vertiefen und wesentlich erweitern; hiervon profitiert auch der Lateinunterricht.

Redaktionell verantwortlich: Boris Angerer, LISUM