Kompetenzentwicklung

Die Beschäftigung mit der Vergangenheit dient der Orientierung in der Gegenwart. In der Auseinandersetzung mit vergangenen Begebenheiten und Zuständen entwickeln Schülerinnen und Schüler Maßstäbe für das Handeln in ihrer Lebenswelt sowie werthaltige Vorstellungen vom gesellschaftlichen Zusammenleben und der eigenen Zukunft. Die Lernenden zu befähigen, diesen bewusstseinsbildenden wie handlungsleitenden Bedeutungszusammenhang zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft herzustellen, ist das zentrale Ziel des Geschichtsunterrichts und sein Beitrag zur schulischen Bildung und Erziehung.

Im Unterricht des Faches Geschichte erwerben Schülerinnen und Schüler Kenntnisse über historische Ereignisse, Prozesse sowie Strukturen. Sie verstehen und erklären das Handeln von Menschen in der Vergangenheit. Darüber hinaus eignen sie sich methodische Fertigkeiten insbesondere im Umgang mit Quellen und Darstellungen an. Mit steigendem Alter erweitern sie ihre Fähigkeit, historisch zu denken, d. h. im Rückblick auf Vergangenheit sinnvolle Aussagen über ihre Vorzeit zu treffen. Sie können zunehmend vielschichtige und viele Einzelheiten umfassende, auf Wissen wie auf allgemein anerkannten Maßstäben gegründete Geschichten über Vergangenheit erzählen, welche historische Sach- und Werturteile enthalten (historisches Erzählen).

Die Heranwachsenden entwickeln ihr individuelles Geschichtsbewusstsein, wenn sie in den folgenden für das Verständnis von Geschichte grundlegenden Bereichen mehr und mehr vernunftgeleitet handeln. Sie

  • unterscheiden Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und ordnen historische Ereignisse korrekt (Zeitbewusstsein),

  • ­unterscheiden tatsächlich Geschehenes von Angenommenem oder Erfundenem (Wirklichkeitsbewusstsein),

  • ­erkennen, dass die Umstände und Bedingungen des Lebens bzw. Zusammenlebens der Menschen sich in kürzeren oder längeren Zeitabschnitten (Perioden, Epochen) ändern; sie erkennen auch, dass es Zustände oder Traditionen gibt, die sich kaum oder gar nicht ändern (Wandelbewusstsein).

Die Schülerinnen und Schüler erkennen und beurteilen im Hinblick auf die im Unterricht
untersuchte Vergangenheit und stets im Vergleich zu der erfahrenen Gegenwart außerdem

  • ­ihre individuelle Eigenart und Besonderheit wie auch die Eigenart historischer Personen und Gruppen (Identitätsbewusstsein),
  • ­die Grundlagen der Ausübung von (gewährter oder beanspruchter) Macht, besonders im Vergleich von autoritären und diktatorischen Regimen mit demokratischen Verfassungs- und Rechtsstaaten (politisches Bewusstsein),
  • ­die Gründe und Erscheinungsformen sozialer oder wirtschaftlicher Ungleichheit, deren Entstehung, Ausprägung und zeitgenössische Begründung (ökonomisch-soziales Bewusstsein),
  • ­die verbindlichen (z. B. religiös, politisch, rechtlich vorgegebenen) Normen sozialen Handelns (moralisches Bewusstsein),
  • ­die historische Entwicklung von Auffassungen zu Männlichkeit und Weiblichkeit; das (z. B. rechtliche, ökonomische) Verhältnis von Frauen und Männern zueinander und dessen zunehmend gleichberechtigte Ausgestaltung (Genderbewusstsein).

Die Schülerinnen und Schüler entwickeln die benannten fachspezifischen Fähigkeiten und Fertigkeiten durch den Erwerb, Aufbau und Ausbau von fachbezogenen Kompetenzen in folgenden Bereichen:

Deuten: Im Kompetenzbereich des Deutens erkennen die Lernenden, dass Ereignisse in der Vergangenheit von Menschen verschieden betrachtet, erklärt und beurteilt wurden. Sie untersuchen und vergleichen diese unterschiedlichen Perspektiven in den Quellen, nehmen zu vorgebrachten Aussagen Stellung und kommen, stets auf der Grundlage von begründetem Wissen und reflektierten Werthaltungen, zu historischen Erzählungen bzw. Darstellungen.

Analysieren: Im Kompetenzbereich des Analysierens nehmen Schülerinnen und Schüler zu vorliegenden Darstellungen von Vergangenheit kritisch Stellung. Sie untersuchen und erörtern diese. Sie unterscheiden frei Erdachtes, bloß Angenommenes und auch Falsches von historischen Tatsachen und erkennen die mit den Interpretationen verbundenen Wertungen und Absichten. Dabei berücksichtigen sie Darstellungen von Expertinnen und Experten, aber insbesondere auch die populären Darstellungen der Geschichtskultur (z. B. Filme, Denk­mäler, Comics, Internetpräsentationen etc.). Gerade die analysierende Auseinandersetzung mit den medialen Deutungsangeboten der Geschichtskultur ist als Lernen über und mit Medien ein Beitrag zur Medienbildung.

Methoden anwenden: Die Schülerinnen und Schüler wenden Methoden an, wenn sie Fragen an die Vergangenheit stellen, Quellen unterschiedlicher Gattungen analysieren und Sachtexte (Darstellungen) sowie mediale Präsentationen auswerten. Sie sammeln historische Informationen, ordnen diese, werten sie aus und präsentieren ihre Arbeitsergebnisse adressatengerecht. Sie nutzen dafür zunehmend eigenständig reflektiert Bibliotheken, Museen, Gedenkstätten und das Internet. Vorbereitete und ausgewertete Gespräche mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen bzw. Expertinnen und Experten ergänzen den Unterricht sinnvoll.

Urteilen und sich orientieren: Im Kompetenzbereich des Urteilens und des Sichorien­tierens bilden die Schülerinnen und Schüler rationale Urteile über die Vergangenheit und deren Interpretationen. Sie unterscheiden dabei zwischen dem Sachurteil und ihrem persönlichen Werturteil aus heutiger Perspektive. Sie beziehen diese Urteile auf ihr eigenes Leben und entwickeln die Kompetenz, sich selbst auf der Grundlage dieser Urteile in Gegenwart und Zukunft zu orientieren. Sie bilden in der Auseinandersetzung mit Vergangenem und auf der Grundlage der Menschenrechte eine politische wie kulturelle Identität.

Darstellen – historisch erzählen: Die Schülerinnen und Schüler zeigen sich in den zuvor genannten vier Bereichen dann kompetent, wenn sie selbst auf der Grundlage von Wissen historische Sachverhalte chronologisch ordnen und nach Ursache(n) und Wirkung(en) verknüpfen. Sie beschreiben, erzählen und begründen geschichtliche Zusammenhänge sinnvoll. Zudem analysieren, erörtern und beurteilen sie die Zuverlässigkeit und Angemessenheit von Darstellungen über Vergangenheit.

Redaktionell verantwortlich: Boris Angerer, LISUM