Zitat April 2007

"Wo die Menschen bereit sind sowohl zu hören als auch auszusprechen, was zunächst zwar unangenehm, letztlich aber doch heilsam ist, dort stellt sich das Glück ein."   (Altindische Spruchweisheit)


Das Zitat stammt aus einer altindischen Fabel, dem Pañcatantra (zwischen 100 v. und 200 n. Chr.) und es wurde mir von meinem Vater nahe gebracht. Der kam Ende der 1950er Jahren aus Indien nach Berlin, traf hier meine Mutter und die beiden heirateten. Eine Pfarrerstochter aus Greifswald und ein Brahmanensohn aus Indien – das war damals keineswegs alltäglich. Beide haben sich manches Unangenehme anhören müssen, in ihrer Umgebung und auch in ihren Herkunftsfamilien. Aber sie haben es irgendwie geschafft, das Fremde, das bis dahin nicht Gedachte oder nie Ausgesprochene in der Familie des jeweils anderen heimisch werden zu lassen. Bis heute hat mir das sehr viele Glücksmomente ermöglicht.

Beruflich hat dieses Zitat für mich eine stärker kämpferische Bedeutung. Inmitten der wechselhaften und gelegentlich stürmischen Zeiten bildungspolitischer Reform muss ich mir als Wissenschaftler einiges Unangenehme anhören – von Lehrerinnen und Lehrern, in Bildungsverwaltungen, im Gespräch mit Bildungspolitikerinnen und -politikern. Das wird in meiner neuen Funktion als Leiter des Instituts für Schulqualität sicher eher mehr als weniger werden. Dabei suche ich bei meinem Gegenüber stets nach Zeichen der Bereitschaft, sich auch mit meinen wissenschaftlich erarbeiteten "Wahrheiten" – und gerade den Unangenehmen – auseinanderzusetzen. Gelingt es, solche wechselseitigen Irritationen respektvoll, neugierig und im Gefühl der eigenen Fehlbarkeit zu gestalten, dann kann es für beide Seiten zum Glücksfall werden. So, wie es meinen beiden Herkunftsfamilien auch gelungen ist.