Zitat Oktober 2010

Zitat Oktober 2010

Zitat Oktober 2010

Menschen sind lernfähig, aber unbelehrbar.

Der Ausspruch, dem ich jüngst als Titel eines Vortrages von Andreas Müller aus dem Schweizer Institut Beatenberg begegnete, beinhaltet eine Erfahrung, die mein Berufsleben entscheidend prägte.

Lehrerin zu sein, war DER Berufswunsch meiner Kinderzeit und „Schule spielen“ eine beliebte Beschäftigung. Aus dem Wunsch wurde Realität und so stand ich eines Tages mit dem Diplom und ersten Unterrichtsentwürfen in der Tasche vor der Klasse. Doch berufliche Zufriedenheit stellte sich nicht ein. Die Idee, die im Studium Bestätigung und Verstärkung fand, dass all das Wissen, das ich in den Fachdisziplinen angehäuft hatte, von den Schülerinnen und Schülern erwartungsvoll aufgenommen wird, ging nicht auf. „Ich lehre, sie lernen“ erwies sich schlichtweg als Irrweg.

Kontrasterlebnisse erfuhr ich in einem Lernprojekt für Jugendliche, die als unbeschulbar (nicht lernfähig?) galten, sich nicht und schon gar nicht von Erwachsenen belehren ließen.  Viele von ihnen waren straffällig geworden. Als 16 oder 17-jährige wollten sie ins Berufsleben starten und Geld verdienen. Doch dazu brauchten sie einen Schulabschluss.
Im Team mit einem zweiten Lehrer und Sozialpädagogen gingen wir gemeinsam mit den Jugendlichen auf die Suche: Was kannst du schon? Wie lernst du am besten – im Sitzen/beim Laufen, durch Lesen/Schreiben/im Gespräch? Wo brauchst du noch Unterstützung? Wie kann dir wer helfen? Gelernt wurde auch in anderen Feldern – mit wenig Geld haushalten, besser mit der Familie klar kommen und z. B. das Wohnproblem lösen.
Ich war gefordert in Themen und Problemen (die Zuordnung zu Unterrichtsfächern war eher meine Übersetzungsleistung), im Lernen komplex und im Wir, gerichtet auf ein gemeinsames Ziel.
Erfolge stellten sich langsam ein, die meisten Jugendlichen hielten durch, schafften die Prüfungen, wurden selbstbewusster und gingen ihre Zukunftspläne an. Und mir wurde klar  – Lehrerin ist ein toller Beruf.

Heute unterstütze ich in der Landeskooperationsstelle Schule – Jugendhilfe und dem Projektverbund kobra.net Menschen und Institutionen dabei, ihre Kräfte für die Stärkung junger Menschen zu bündeln. Die Erfahrung, dass Menschen lernfähig sind, aber Belehrungen wenig nutzen, habe ich immer mit im Gepäck.  

 

Katrin Kantak
Leiterin der Landeskooperationsstelle Schule – Jugendhilfe und des Projektverbundes kobra.net „Kooperation in Brandenburg“

Katrin Kantak

  • Diplomlehrerin, Supervisorin (DGSv), Sozialmanagerin und Schulentwicklungsberaterin
  • geboren 1962, verheiratet, 3 Kinder
  • Studium der Geschichte und der deutschen Sprache und Literatur an der Universität Leipzig
  • 1985-1992 Lehrerin an den Polytechnischen Oberschulen „Bruno H. Bürgel“ und „Juri Gagarin“ in Potsdam
  • 1992-1995 Lehrerin im Jugendhilfeprojekt Chance e.V. Potsdam
  • 1996 Wechsel ins Ministerium für Bildung, Jugend und Sport, Unterstützung der Schulaufsicht zum Thema Umgang mit Schulverweigerung
  • 1998 Gründungsmitglied der Landeskooperationsstelle Schule – Jugendhilfe
  • seit 2005 Leiterin der Kooperationsstelle und des Projektverbundes kobra.net, in dem auch die Serviceagentur Ganztag, die Servicestelle-Schülerfirmen und der IOS-Regionalpartner Potsdam arbeiten. Der Projektverbund ist Regionalpartner der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung im Land Brandenburg.

Hinweis

Die dargestellten Meinungsäußerungen in den Kommentaren zu den Zitaten des Monats widerspiegeln die Meinung des jeweiligen Autors und werden nicht vom Bildungsserver Berlin-Brandenburg inhaltlich verantwortet.

Redaktionell verantwortlich: Ralf Dietrich, LISUM