Das eigentliche Lesen beginnt mit der logografischen Strategie. Kinder lesen Wörter ohne Einsicht in die Lautstruktur unserer Sprache, d.h. Wörter werden zunächst an visuellen Merkmalen erkannt und dann oftmals nur sinngemäß wiedergegeben - wie z.B. "Fischstäbchen" für <IGLO> oder "Tankstelle" für <ESSO> - und können ohne das dazugehörige Symbol (Logo) außerhalb des vertrauten Schriftzugs gar nicht erkannt werden. Manche Wörter werden an ausgewählten Merkmalen oder Buchstaben identifiziert, z.B. das Wort "Mutter" durch die zwei "Kreuze" in der Mitte.
Wenn Kinder ihren eigenen Namen schreiben, haben sie schon erkannt, dass sie die ganze Buchstabenfolge beachten müssen, die immer konstant bleibt (wobei Buchstabenvertauschungen innerhalb des Wortes trotzdem oftmals vorkommen und nicht bemerkt werden). Jede Buchstabenfolge ist in dieser Phase sozusagen einmalig, wodurch die Empörung eines Kindes zu erklären ist, dass ein anderes Kind "OMA" genauso schreibt wie es selbst, obwohl doch die beiden Großmütter ganz verschieden aussehen.1
Der Übergang von der logografischen zur alphabetischen Strategie geschieht oftmals durch eigene Schreibversuche des Kindes. Bei der Verschriftung ihrer Aussprache wird ihnen der Lautbezug der Buchstaben bewusst. Da dem Kind zunächst nur einzelne Lautwerte bekannt sind, muss oftmals das Ende eines Wortes dazuassoziiert werden, so dass eine Mischform von tatsächlichem Lesen und "Raten" entsteht.
Wenn dem Kind bewusst ist, dass das nächste "Etappenziel" das vollständige Erlesen ist, weil es das Prinzip unserer alphabetischen Schrift verstanden hat, ist diese Mischform kein Problem. Wenn aber das Kind seine Aufmerksamkeit noch nicht auf die phonologischen Merkmale unserer Sprache richtet, also noch keine phonologische Bewusstheit entwickelt hat, Probleme beim Einprägen der Lautwerte aller Buchstaben und bei der Synthese hat, wird es das logografische Lesen als Kompensationsstrategie anhaltend nutzen, vor allem, wenn seine Strategie erfolgreich ist, was bei auswendig gelernten Fibeltexten durchaus über einen längeren Zeitraum hinweg möglich ist.
Pädagogische Diagnostik auf der logografischen Stufe
Aufgaben, um herauszufinden, ob ein Kind auf der logografischen Stufe stagniert:
- bekannte Wörter außerhalb des Kontextes vorlesen lassen (z.B. auf Wortkarten)
- Pseudowörter aus bekannten Phonem-Graphem-Beziehungen lesen lassen
- zu bekannten Wörtern Buchstaben hinzufügen
- mehrmals im Jahr ein Buchstabendiktat schreiben
Mögliche Ursachen für das Stagnieren auf der logografischen Stufe
- fehlende phonologische Bewusstheit
- unzureichende Kenntnis von Graphem-Phonem-Korrespondenzen
- kein Zugang zur Synthese
Lernangebote zur Unterstützung des Strategiewechsels
- Übungen zur phonologischen Bewusstheit im weiteren Sinne
- Vermitteln und Üben von unbekannten Graphem-Phonem-Korrespondenzen
- Syntheseübungen mit kleinen Einheiten
Lernangebote zur Unterstützung des Strategiewechsels beim Stagnieren auf der logografischen Stufe
1 Mechthild Dehn, Ingeborg Wolf-Weber: Geschichten vom Schulanfang. Weinheim 1993
Redaktionell verantwortlich: Erna Hattendorf
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