Kompetenzentwicklung

Der Erwerb von Fremdsprachen bildet eine entscheidende Voraussetzung für die Entwicklung interkultureller Handlungsfähigkeit. Die Vorbereitung auf authentische Sprachbegegnungen ist daher das übergeordnete Ziel des Fremdsprachenunterrichts. Der systematische Aufbau sprachlicher Kompetenz im Zusammenhang mit der Entwicklung von Sprachlernkompetenz durch kooperative und individuelle Arbeit, die zunehmend selbstständig gestaltet und beurteilt wird, bildet eine wichtige Grundlage des Fremdsprachenunterrichts in den Jahrgangsstufen 1 bis 10. Daneben erhalten die Schülerinnen und Schüler im Fremdsprachenunterricht auch die Gelegenheit, Sprache, Verwendungssituationen und daraus resultierende sprachliche Besonderheiten zu reflektieren, um die eigene Sprachverwendung zunehmend bewusst gestalten zu können. Sie entwickeln die Fähigkeit, Texte und Medien aus verschiedenen Bereichen des Alltagslebens zu verstehen, sich über sie auszutauschen und davon ausgehend eigene Texte zu produzieren. Dabei erhalten die Schülerinnen und Schüler unterschiedliche Gelegenheiten zum fachübergreifenden und fächerverbindenden Lernen, was insbesondere auch durch bilinguale Unterrichtsangebote unterstützt werden kann. Neben direkten Begegnungen mit Menschen aus dem anderen Sprachraum bieten vor allem authentische Materialien vielfältige Ansatzpunkte zur kulturellen und ästhetischen Bildung und zum fachübergreifenden sowie fächerverbindenden Lernen.

Dies geschieht exemplarisch in der Auseinandersetzung mit Themen, die sich an der Lebens- und Erfahrungswelt der Schülerinnen und Schüler orientieren, sowie mit Themen des öffentlichen Lebens der Bezugskulturen (auch im Vergleich zur eigenen Kultur). Dabei werden sowohl Themen des Alltags als auch Themen von globaler Bedeutung in den Unterricht einbezogen. Unter Berücksichtigung des jeweiligen Sprachlernniveaus und des Alters der Schülerinnen und Schüler erfolgt dies anhand von kulturellen, politischen, gesellschaftlichen und anderen Aspekten, die sich in den jeweiligen modernen Fremdsprachen unterscheiden können (vgl. Kapitel 1.2).

Rolle der Mehrsprachigkeit und Bedeutung der einzelnen Fremdsprachen

Der Fremdsprachenunterricht in der Grundschule schafft die Grundlage für lebenslanges Fremdsprachenlernen, motiviert Schülerinnen und Schüler, weitere Fremdsprachen zu lernen und bildet somit eine entscheidende Voraussetzung für die Entwicklung von Mehrsprachigkeit. In einer Zeit zunehmender internationaler Verflechtungen und Kontakte ist die Lebenswirklichkeit der heute Heranwachsenden von verschiedenen Sprachen und Kulturen geprägt. Vielfach trifft dies bereits für die frühe Kindheit zu. Spätestens in der Schule und im Freizeitbereich sammeln die Lernenden – besonders durch den Umgang mit den Medien – Eindrücke, die über ihre Herkunftssprache und -kultur hinausgehen und die Entwicklung interkultureller Handlungsfähigkeit erfordern. In diesem Zusammenhang kommt dem Erwerb von Fremdsprachen eine entscheidende Rolle zu. Er bildet eine wesentliche Voraussetzung dafür, Menschen mit unterschiedlichen Sprachen zu verstehen, und erleichtert die grenzüberschreitende Verständigung sowie persönliche Kontakte, berufliche Mobilität und Kooperationsfähigkeit. Bereits im Jahr 1995 hat sich die Europäische Union in ihrem Weißbuch dafür ausgesprochen, dass alle Europäerinnen und Europäer Unterricht in mindestens zwei Fremdsprachen erhalten sollen („Muttersprache plus zwei“). Der Aufbau und die Förderung individueller Mehrsprachigkeit ist deshalb eine wichtige Aufgabe der Schule.

Hinsichtlich der Auswahl einer bestimmten modernen Fremdsprache bzw. bestimmter Sprachenfolgen stehen den Schülerinnen und Schülern unterschiedliche Möglichkeiten zur Verfügung. Bei der Entscheidung für die Fremdsprachenfolge sind neben individuellen Gegebenheiten auch Aspekte für das Lernen weiterer Fremdsprachen zu berücksichtigen. Erfolgserlebnisse bei der praktischen Anwendung von Fremdsprachen fördern in einem lernpsychologisch günstigen Alter den Aufbau einer hohen Sprachlernkompetenz. Diese kommt dem Erlernen weiterer Fremdsprachen zugute. In einem wesentlich kürzeren Zeitraum können sie dadurch ein in der Regel vergleichbares Kompetenzniveau wie in ihrer ersten Fremdsprache erreichen. Sie profitieren dabei von Strategien und Kenntnissen, die sie beim Erlernen der anderen Fremdsprachen erworben haben.

Die verschiedenen Fremdsprachenangebote ermöglichen den Zugang zu den grundlegenden Fertigkeiten des Sprachgebrauchs in unterschiedlichen Kulturen und tragen damit zur Handlungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler im internationalen Kontext bei. Im Vergleich der Kultur und der gegenwärtigen Lebensumstände der unterschiedlichen Zielsprachenländer mit ihrer eigenen Lebenswirklichkeit erwerben sie darüber hinaus inter­kulturelle Kompetenz, die sie befähigt, Begegnungen mit Menschen und mit Gegebenheiten aus anderen Teilen der Welt erfolgreich zu meistern und als Bereicherung zu erfahren.

Sorbisch/Wendisch ist die Sprache eines autochthonen Volkes mit wechselvoller Geschichte von Kultur, Unterdrückung, Widerstand und Friedfertigkeit in der Lausitz/Łužyca und somit Teil der Lebenswirklichkeit des Landes Brandenburg. Zunehmend wird diese Sprache in der Alltagskommunikation im familiären und öffentlichen Leben wieder genutzt. In Politik, Wissenschaft und Kunst sowie in beruflichen und sozialen Netzwerken ist sie präsent. Als anerkannte Minderheitensprache in der Bundesrepublik Deutschland wird sie entsprechend geschützt und gefördert. Weltumspannende Themen wie Demokratie, Umweltschutz, Klimawandel, Non-Profit-Gesellschaft und Werteerhalt bzw. Wertewandel wie auch lokal angesiedelte Beziehungen von Geografie, Natur, Brauchtum oder (Familien-)Geschichte werden durch sie zum konkret anschaulichen Gegenstand in dieser Region. Sie reiht sich in die Vielzahl der europäischen Sprachen ein und ist zugleich Teil der slawischen Sprachfamilie. Obwohl von der UNESCO als gefährdet eingestuft, birgt dies alles die Möglichkeit in sich, durch das Erlernen dieser Sprache besondere Qualitäten zu entwickeln wie Individualität, Selbstständigkeit, Eigeninitiative, Kreativität, Integration, Sensibilität bzw. Multiperspektivität, Empathie und Konfliktfähigkeit. Für Schülerinnen und Schüler sorbischer/wendischer Volkszugehörigkeit stellt die Sprache einen Teil ihrer Identität dar, Schülerinnen und Schüler nichtsorbischer/-wendischer Identität erhalten die Möglichkeit, sich die facettenreiche Nachbarkultur zu erschließen.

Mit Sorbisch/Wendisch begegnet den Schülerinnen und Schülern eine slawische Sprache mit ihren komplexen Strukturen und grafischen Besonderheiten. Die Unterschiedlichkeit gegenüber den germanischen Sprachen in Klang und Systematik fördert sowohl die neurologisch-kombinatorische Flexibilität als auch das Sprachenlernen allgemein. Darüber hinaus wird mit dem Erlernen der sorbischen/wendischen Sprache eine Grundlage für den Erwerb weiterer slawischer Sprachen geschaffen.

Fachbezogene Kompetenzen

Der schulische Fremdsprachenunterricht leistet einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung fachlicher und überfachlicher Kompetenzen. Sprachenlernen geschieht vor allem durch sinnvolles, absichtsgesteuertes Sprachhandeln, das sich auf verschiedene Dimensionen erstreckt.

In Anlehnung an die Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18.10.2012) werden fünf Kompetenzbereiche unterschieden (siehe Abbildung). Fremdsprachliche Handlungsfähigkeit entwickelt sich im Zusammenspiel von funktionaler kommunikativer Kompetenz, interkultureller kommunikativer Kompetenz sowie Text- und Medienkompetenz. Dieser Prozess wird begleitet durch die Entwicklung von Sprachlernkompetenz und Sprachbewusstheit.

Abbildung: Kompetenzmodell der Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache für die Allgemeine Hochschulreife. Die abgebildeten Kompetenzen stehen in engem Bezug zueinander. Dies wird durch die unterbrochenen Linien verdeutlicht.

Interkulturelle kommunikative Kompetenz trägt zur Entwicklung einer interkulturell sensiblen, von Offenheit und Respekt geprägten Kommunikationsfähigkeit bei. Sie manifestiert sich in fremdsprachlichem Verstehen und Handeln. Dieses beruht auf dem Zusammenspiel von Wissen, Einstellungen und Bewusstheit.

Zum Bereich des Wissens gehört exemplarisches Orientierungswissen über fremde Kulturen. Dies beinhaltet auch Einsichten in die kulturellen Prägungen von Sprache und Sprachverwendung sowie Wissen über kommunikative Strategien.

Zum Bereich der Einstellungen zählen insbesondere die Bereitschaft und die Fähigkeit, anderen respektvoll zu begegnen, sich gleichermaßen offen und kritisch mit ihnen auseinanderzusetzen und beim eigenen Sprachhandeln sprachliche und inhaltliche Risiken einzugehen. Dies umfasst auch die Bereitschaft und Fähigkeit zum Perspektivwechsel.

Zum Bereich der Bewusstheit gehören die Fähigkeit und die Bereitschaft, die eigene Identität ebenso wie die anderer vor dem Hintergrund der unterschiedlichen kulturellen Prägungen wahrzunehmen und ggf. zu hinterfragen. Dazu zählt auch, mit den eigenen Standpunkten Unvereinbares zu reflektieren sowie nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen.

Interkulturelle kommunikative Kompetenz entwickelt sich im Zusammenwirken mit allen anderen Kompetenzen und ist gleichzeitig Voraussetzung für die zentrale Zielsetzung des Fremdsprachenunterrichts, die Befähigung zur mündlichen und schriftlichen Kommunikation. Diese Wechselwirkung wird durch den Begriff der interkulturellen kommunikativen Kompetenz betont.

Funktionale kommunikative Kompetenz umfasst die Beherrschung kommunikativer Aktivitäten und Strategien in den folgenden Teilkompetenzen:

  • ­ Hör-/Hörsehverstehen
  • ­ Leseverstehen
  • ­ Schreiben
  •  Sprechen
  •  Sprachmittlung

Der funktionalen kommunikativen Kompetenz kommt ein zentraler Stellenwert zu.

Sie erweist sich in der Fremdsprache, wenn die Lernenden authentische Texte (im Sinne des erweiterten Textbegriffs) in realistischen alltäglichen Situationen verstehen und produzieren. Dabei kommt der Entwicklung von Sprechen und Hör-/Hörsehverstehen insbesondere im Anfangsunterricht eine besondere Bedeutung zu.

Voraussetzung für die Realisierung der einzelnen Kompetenzen ist das Verfügen über angemessene sprachliche Mittel und kommunikative Strategien. Die sprachlichen Mittel Wortschatz, Grammatik, Aussprache, Prosodie (Akzentsetzung und Intonation) und Orthografie sind grundlegende Bestandteile des sprachlichen Systems und der Kommunikation. Ihnen kommt für die Realisierung der kommunikativen Teilkompetenzen eine dienende Funktion zu. Die unter 2.1.6 formulierten Niveaustufen beschreiben die produktive Anwendung der sprachlichen Mittel. Die Schülerinnen und Schüler erfassen rezeptiv wesentlich mehr sprachliche Mittel, als sie produktiv verwenden können.

Text- und Medienkompetenz zielt auf die Teilhabe der Schülerinnen und Schüler an der Gesellschaft und den Kulturen der Zielsprachenländer. Sie ermöglicht die Aufnahme und Verarbeitung ebenso wie die selbstständige Erstellung unterschiedlicher Texte. Dies gilt für Texte im erweiterten Sinn, schließt also auch bildliche Gestaltung und Hör- bzw. Hörsehtexte mit ein. Sie umfasst das Erkennen unterschiedlicher Merkmale von Texten und Medien, die Verwendung dieser Merkmale bei der Produktion eigener Texte sowie die Reflexion über deren Wirkung. Aufgrund ihrer umfassenden Zielsetzung geht diese Kompetenz über die Kompetenzbereiche Leseverstehen, Hör-/Hörsehverstehen, Sprechen und Schreiben hinaus.

Sprachbewusstheit und Sprachlernkompetenz werden nicht isoliert erworben, sondern entwickeln sich beim Fremdsprachenlernen gemeinsam mit interkultureller kommunikativer Kompetenz, funktionaler kommunikativer Kompetenz und/oder Text- und Medienkompetenz.

Sprachbewusstheit umfasst die Sensibilität für unterschiedliche Arten der Sprachverwendung, das Wissen um deren soziale und kulturelle Prägung und um die Angemessenheit der Sprachverwendung in einer Situation. Ebenso beinhaltet sie die Reflexion über Sprache. Sprachlernkompetenz bezeichnet die Fähigkeit, das eigene Sprachenlernen selbst­ständig zu reflektieren und gezielt zu optimieren.

Beide Kompetenzen unterstützen das Lernen in den anderen Kompetenzbereichen, unterstützen die übergreifende Sprachbildung (siehe Teil B) in besonderem Maße, fördern das schulische Erlernen weiterer Fremdsprachen und bereiten lebenslanges selbstständiges Lernen vor.

Redaktionell verantwortlich: Boris Angerer, LISUM