Einleitung
Der Rahmenlehrplan 1–10 Berlin Brandenburg beschreibt das übergreifende Thema Nachhaltige Entwicklung / Lernen in globalen Zusammenhängen als Bildungsauftrag aller Unterrichtsfächer und als Anforderung an die Gestaltung des Schullebens insgesamt.
Anknüpfend an den Rahmenlehrplan werden damit die Verbindlichkeiten, Inhalte und Bildungsziele der Querschnittsaufgabe sowie die angestrebten Kompetenzen präzisiert, wie sie der Orientierungs- und Handlungsrahmen für das übergreifende Thema Nachhaltige Entwicklung / Lernen in globalen Zusammenhängen (OHR) beschreibt. Der Unterricht aller Fächer bietet Gelegenheit, sich inhaltlich und diskursiv mit grundlegenden Fragestellungen zu Aspekten von nachhaltiger Entwicklung und globaler Gerechtigkeit auseinanderzusetzen.
Mit dem übergreifenden Thema Nachhaltige Entwicklung / Lernen in globalen Zusammenhängen sind pädagogische Konzepte einer Bildung für nachhaltige Entwicklung mit besonderer Berücksichtigung der globalen Perspektive verbunden, die sich auf normative Grundlagen beziehen. Zu diesen zählen unter anderem die allgemeine Erklärung der Menschenrechte2, das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland3 (z. B. Art. 20a Schutz natürlicher Lebensgrundlagen) und die Agenda 20304 mit den 17 Nachhaltigkeitszielen (Sustainable Development Goals, SDG).
Die Auseinandersetzung mit Themen und Fragestellungen des übergreifenden Themas soll den Schülerinnen und Schülern Orientierung in einer zunehmend globalisierten Welt ermöglichen und sie in die Lage versetzen, die Welt im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung gestalten zu können. Dazu benötigen sie Kompetenzen, um gesellschaftliche, ökologische, politische und ökonomische Entwicklungen nach den Kriterien der Nachhaltigkeit analysieren und bewerten zu können und Handlungsoptionen für sich selbst und für weitere Akteurinnen und Akteure von der lokalen bis zur globalen Ebene daraus abzuleiten. Über die Auseinandersetzung mit Themen und Fragestellungen des übergreifenden Themas sollen Schülerinnen und Schüler lernen sich komplexe globale Zusammenhänge zu erschließen und globale Ungleichverhältnisse zu reflektieren. Damit sollen in der Schule Voraussetzungen geschaffen werden, die Schülerinnen und Schüler zum Einsatz für eine gerechtere Welt im Sinne der Menschenrechte zu ermutigen.
Das übergreifende Thema Nachhaltige Entwicklung / Lernen in globalen Zusammenhängen nimmt Bezug auf den Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung5, der als bundesdeutscher Beitrag zu den Nachhaltigkeitszielen der Agenda 2030 und dem UNESCO-Programm „Bildung für nachhaltige Entwicklung: die globalen Nachhachhaltigkeitsziele verwirklichen (BNE 2030“)6 zu verstehen ist.
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2 Vereinte Nationen (Hrsg.) 1948. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Resolution 217 A (III) vom 10.12.1948. Verfügbar unter: www.ohchr.org/en/human-rights/universal-declaration/translations/german-deutsch
3 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 28. Juni 2022 (BGBl. I S. 968) geändert worden ist. Verfügbar unter: www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR000010949.html
4 Vereinte Nationen (Hrsg.) 2015. Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Resolution A/70/L.1 vom 21.10.2015. Ver-fügbar unter: www.un.org/Depts/german/gv-sonst/a69-700.pdf
5 Engagement Global. 2016. Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung im Rahmen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung, 2. ak-tualisierte und erweiterte Auflage, Berlin: Cornelsen
6 Weitere Informationen unter: www.unesco.de/bildung/bildung-fuer-nachhaltige-entwicklung/unesco-programm-bne-2030
Der Teil B „Fachübergreifende Kompetenzentwicklung“ des Rahmenlehrplans 1–10 Berlin Brandenburg enthält die Basiscurricula Medienbildung und Sprachbildung sowie 13 übergreifende Themen. Nachhaltige Entwicklung / Lernen in globalen Zusammenhängen ist eines davon. Alle übergreifenden Themen beschäftigen sich mit Herausforderungen, vor denen die Gesellschaft und die Weltgemeinschaft stehen. In Auseinandersetzung mit den übergreifenden Themen als schulische Querschnittsaufgabe, erfahren und erproben Lernende, welchen Beitrag sie für den Erhalt und die Weiterent-wicklung einer zukunftsfähigen Gesellschaft leisten können. Die übergreifenden Themen sind daher für die persönliche Lebensgestaltung der Schülerinnen und Schüler bedeutsam und gleichzeitig von besonderer gesellschaftlicher Relevanz.7
„Alle übergreifenden Themen werden an jeder Schule berücksichtigt. Hierbei hat die Schule Entscheidungsspielräume im Hinblick auf das Gewicht und die Verortung einzelner Themen. Einzelne übergreifende Themen können gemäß dem Schulprofil verstärkt und prioritär behandelt werden. Das heißt, die jeweilige Schule legt eigenverantwortlich fest, in welcher Jahrgangsstufe, in welchem Umfang und in welchen Fächern oder fachübergreifenden Projekten die übergreifenden Themen behandelt werden. Die übergreifenden Themen sind darüber hinaus auch in den Fachteilen im Teil C des Rah-menlehrplans verankert.“8
Gleich den übrigen zwölf übergreifenden Themen, stellt das übergreifende Thema Nachhaltige Entwicklung / Lernen in globalen Zusammenhängen keine Zusatzaufgabe zum Unterricht dar, sondern ist integrativ im Unterricht zu bearbeiten. Für das übergreifende Thema Nachhaltige Entwicklung / Lernen in globalen Zusammenhängen finden sich in allen Fächern inhaltliche Anknüpfungspunkte. Um Fragen von nachhaltiger Entwicklung und globaler Gerechtigkeit in ihrer Komplexität zu erfasen, ist es außerdem sinnvoll, diese im Fächerverbund zu behandeln.
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7 Vgl. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (SenBJW) und Ministerium für Bildung, Jugend und Sport (MBJS). 2015. Rahmenlehrplan 1–10 für Berlin und Brandenburg, Teil B Fachübergreifende Kompetenzentwicklung, S.3. Verfügbar unter: bildungsserver.berlin-brandenburg.de/fileadmin/bbb/unterricht/rahmenlehrplaene/Rahmenlehrplanprojekt/amtliche_Fassung/Teil_B_2015_11_10_WEB.pdf
8 Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM). 2016. Das ABC des schulinternen Curriculums. Verfügbar unter: bildungsserver.berlin-brandenburg.de/fileadmin/bbb/schule/schulentwicklung/schic/Das_ABC_des_schulinternen_Curriculums_Endfassung.pdf
⇒ Praxistipp: Entdecken Sie auch die zwölf anderen übergreifenden Themen des Rahmenlehrplans, um die Lebenswelt der Schüler:innen in die Schule zu holen.
Die Kompetenzförderung im Rahmen des übergreifenden Themas basiert auf dem Kompetenzmodell und den zugehörigen Standards des Orientierungs- und Handlungsrahmens (OHR). Die drei Kompetenzbereiche Erkennen, Bewerten und Handeln bedingen und beeinflussen sich gegenseitig und münden in der Kompetenz „Zukunft lokal und global nachhaltig gestalten“.9
Den drei Kompetenzbereichen werden elf Kernkompetenzen zugeordnet, die die Schülerinnen und Schüler in der Auseinandersetzung mit Themen und Fragestellungen des übergreifenden Themas erwerben sollen.
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9 Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM). 2019. Orientierungs- und Handlungsrahmen (OHR) für das übergreifende Thema Nachhaltige Entwicklung / Lernen in globalen Zusammenhängen, S. 8. Verfügbar unter: bildungsserver.berlin-brandenburg.de/fileadmin/bbb/themen/nachhaltigkeit/news/2019/OHR_Nachhaltige_Entwicklung_2019_01_final__ges._publ.__web.pdf
⇒ Praxistipp: Stöbern Sie im Orientierungs- und Handlungsrahmen, um mehr über das Kompetenzmodell sowie die aufgestellten Standards zu erfahren und damit Ihren Unterricht konkreter und kompetenzorientiert planen zu können.
Im übergreifenden Thema Nachhaltige Entwicklung / Lernen in globalen Zusammenhängen ist der Anspruch angelegt, Schülerinnen und Schüler dabei zu unterstützen, in Zukünften zu denken und Zukunft zu gestalten.
Sich selbst sowohl als Teil der Lösung als auch als Teil des Problems zu verstehen, zählt zu den Kernansätzen eines Bildungsanspruchs, der den globalen Wandel hin zu nachhaltiger Entwicklung und globaler Gerechtigkeit – und damit auch zu den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen – in den Blick nimmt.11
Dabei geht es weniger darum, dass die Lehrkraft vermeintlich richtige Antworten zur Verfügung stellt. Vielmehr soll sie Schülerinnen und Schülern anleiten, sich nach Ursachen aktueller lokaler und globaler Probleme, Krisen und Ungerechtigkeiten zu erschließen. Häufig müssen die Schülerinnen und Schüler über Fragen nachdenken, die (noch) nicht eindeutig beantwortet werden können. Es ist sowohl für die Lernenden als auch für die Lehrenden unumgänglich, diese Ungewissheit auszuhalten und mit Nichtwissen umzugehen.
Das übergreifende Thema Nachhaltige Entwicklung / Lernen in globalen Zusammenhängen lädt als Querschnittsaufgabe zu gemeinsamen Lernprozessen ein: Welche Zukunftsfragen müssen wir für eine nachhaltige, global gerechte Welt stellen? Und inwieweit können wir aktuell Antworten formulieren? Auf das übergreifende Thema bezogene Fragestellungen orientieren sich inhaltlich an den Prozessen des globalen Wandels und der Überschreitung der planetaren Grenzen und sollten jeweils mit der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler verknüpft werden.
Herausforderung und Chance stellt dabei das Verständnis der Komplexität globaler Zusammenhänge im Kontext der nachhaltigen Entwicklung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft dar, was ein Einüben von systemischem Denken erfordert. Der fachübergreifende und fächerverbindende Unterricht12 bietet hier Gelegenheit, einzelne Themen multiperspektivisch zu diskutieren.
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10 Weitere Ausführungen zu den Zieldimensionen in 1.4 sowie in Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM). 2019. Orientierungs- und Handlungsrahmen für das übergreifende Thema Nachhaltige Entwicklung / Lernen in globalen Zusammenhängen, S. 10. Verfügbar unter: bildungsserver.berlin-brandenburg.de/fileadmin/bbb/themen/nachhaltigkeit/news/2019/OHR_Nachhaltige_Entwicklung_2019_01_final__ges._publ.__web.pdf
11 Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). 2011. Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation. Hauptgutachten, Berlin. In: Leal Filho, Walter (Hrsg).: Aktuelle Ansätze zur Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele – ein Beitrag zur Umsetzung der UNO Nachhaltigkeitsziele. Berlin
12 Weitere Impulse hierzu auch in Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie (SenBJF). 2017. Lernen in globalen Zusammenhängen. Berliner Schulen gestalten Unterricht fachübergreifend und fächerverbindend – Jahrgang 1 bis 10. Verfügbar unter: www.berlin.de/sen/bildung/unterricht/faecher-rahmenlehrplaene/globale-entwicklung/hr_ligz_fachuebergr_unterricht.pdf
Das übergreifende Thema kann und soll als ein Format politischer Bildung verstanden werden. Schülerinnen und Schüler in ihrer gesellschaftlichen, zukunftsorientierten Gestaltungskompetenz zu stärken setzt voraus, ihre Selbstwahrnehmung im Sinne eines „politischen Subjektes“ zu fördern. Da sie sich selbst häufig als Einzelperson zu klein, zu schwach und ohne ausreichenden gesellschaftlichen Einfluss wahrnehmen, sehen sich Schülerinnen und Schüler selbst mitunter nicht imstande, zur Lösung globaler Probleme oder zur gesellschaftlichen Transformation beizutragen. Die Kernkompetenz Unterscheidung gesellschaftlicher Handlungsebenen im Kompetenzbereich Erkennen zu stärken, ist daher ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur zentralen Handlungskompetenz und zur Entwicklung von Resilienz.
Die Unterscheidung der Handlungsebenen vom Individuum bis zur Weltebene (vgl. Abbildung) nimmt den Schülerinnen und Schülern die moralische Last, dass eine global gerechte, nachhaltige Entwicklung vermeintlich allein von ihrem Handeln abhängt. Verantwortlichkeiten nach Ebenen aufzuteilen, zeigt anschaulich, dass viele Akteurinnen und Akteure mit unterschiedlichen Verantwortungsbereichen zusammen agieren müssen.
Handlungsmöglichkeiten im Sinne der Kernkompetenzen Solidarität und Mitverantwortung, Verständigung und Konfliktlö-sung sowie Partizipation und Mitgestaltung, die mit den Schülerinnen und Schülern besprochen werden, sollten vor Ort beginnen und auf die Transformation des eigenen Umfelds abzielen.
Reflexionsfragen können sein: Was ist meine Rolle im globalen Machtgefüge? An welchen Stellen kann ich mich für nachhaltige Entwicklungen und globale Gerechtigkeit einsetzen? Was bin ich bereit, bei mir selbst zu verändern? Wie kann ich andere dafür sensibilisieren? Schülerinnen und Schüler sollen in ihrer zukunftsorientierten Kompetenz, Gesellschaft zu gestalten, gestärkt werden. Es geht darum, sie als Persönlichkeiten anzusprechen, die ihr eigenes Umfeld im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung aktiv mitgestalten können – angefangen bei ihren Peers und ihrer Familie über die Schule und ihre Gemeinde bis hin zu größeren, auch globalen Kontexten.
Nachhaltige Entwicklung / Lernen in globalen Zusammenhängen öffnet vielfältige Möglichkeiten zur zukunftsorientierten Unterrichtsgestaltung. Die eigene Haltung und die Entwicklung von Handlungs- und Gestaltungskompetenzen auf unterschiedlichen Wirkungsebenen zu reflektieren, wird von diesem übergreifenden Thema ins Zentrum gerückt. Methodisch-didaktisch eignen sich insbesondere pädagogische Ansätze, die stark auf partizipative Methoden setzen.
Dazu gehört u. a. die Beteiligung von Schülerinnen und Schülern an der Auswahl geeigneter Fragestellungen für den Unterricht, um ihre Meinungsbildung in offenen Diskussionen zu fördern. Es ist wichtig, auch selbst gewählte Handlungsformate im Rahmen der Schule zu ermöglichen, beispielsweise durch die Mitbestimmung bei der Auswahl eines Partners für die Mittagsverpflegung. Hier greift der für die politische Bildung in Deutschland maßgeblich relevante Beutelsbacher Konsens.13 Dieser ist auch für das übergreifende Thema Nachhaltige Entwicklung / Lernen in globalen Zusammenhängen bindend. Er besteht aus den drei Grundprinzipien: 1. Überwältigungsverbot (auch als Indoktrinationsverbot bezeichnet), 2. Kontroversitätsgebot und 3. Schülerorientierung. Demnach ist es erstens nicht erlaubt, die Schülerinnen und Schüler – mit welchen Mitteln auch immer – im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und sie damit an der Gewinnung eines selbstständigen Urteils zu hindern. Zudem sollen zweitens Themen, die in Wissenschaft und Politik kontrovers diskutiert werden, auch im Unterricht kontrovers diskutiert werden. Eine normative Grenze dessen, was in die Kontroversität einbezogen werden kann, geben Grundgesetz und Menschenrechtsprinzip vor.14 Und drittens sollen „Schülerinnen und Schüler in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und die eigenen Interessenlage zu ana-lysieren sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene politische Lage im Sinne ihrer Interessen zu beein-flussen“.15
Für das übergreifende Thema Nachhaltige Entwicklung / Lernen in globalen Zusammenhängen ist weiterführend die Frankfurter Erklärung für eine kritisch-emanzipatorische Politische Bildung16 eine wichtige Ergänzung, da sie auf die Frage nach Machtverhältnissen verweist.
Nachhaltige Entwicklung / Lernen in globalen Zusammenhängen verlangt, Themen und Inhalte nicht als scheinbar wertneutrale Informationsvermittlung zu behandeln. Vielmehr gilt es, Handlungsräume zu identifizieren, um die Schülerinnen und Schüler in die Lage zu versetzen, ökologische, politische, ökonomische und soziale Problemlagen und Herausforderungen zu erkennen, zu bewerten und daraus Handlungsoptionen abzuleiten.
Damit stellen sich auch Fragen nach der Haltung als Lehrkraft: Inwiefern kann sich die Lehrkraft überhaupt als Person zurücknehmen? Wie sehr macht sie ihre eigene Haltung transparent? Diese Gratwanderung kann mit dem Einsatz von Methoden, die Meinungsbildung im Sinne eines dialogischen Aushandelns (z. B. Barometerdiskussion, Aufgaben zur Selbstreflexion ohne Bewertung) erlauben, erleichtert werden. Profitieren kann die eigene Handlungssicherheit als Lehrkraft auch davon, sich zuvor machtkritisch mit der eigenen Positioniertheit17 auseinandergesetzt zu haben.
Werden die hier skizzierten Gestaltungsgrundsätze in der Auseinandersetzung mit auf das übergreifende Thema bezogene Fragestellungen und Themen berücksichtigt, trägt dies zugleich dazu bei, die Berliner Gesamtstrategie Politische Bildung18 und den Maßnahmenplan zur Stärkung der politischen Bildung an Brandenburger Schulen (5-Punkte-Plan)19 umzusetzen. Denn Schülerinnen und Schüler eignen sich auf diese Weise Wissen über Strukturen, Prozesse und Hand-lungsmöglichkeiten im Politischen an und erwerben Kompetenzen, um diese zu analysieren und zu beurteilen.
Viele Materialien und Angebote einer Bildung für nachhaltige Entwicklung mit besonderer Berücksichtigung der globalen Perspektive wählen den Weg der exemplarischen Darstellung globaler Zusammenhänge. Nicht selten erfolgt dies anhand eines klassischen Konsumprodukts oder einer spezifischen Problemlage (beispielsweise die Produktion und Lieferkette einer Tafel Schokolade), deren Entstehung, gegenwärtige Ausprägung und mögliche Veränderungen aufgearbeitet werden. Hierbei ist es besonders wichtig, auch über den Fairen Handel hinaus politische Verbindungen zur Realität in der Schule und entsprechende politische Handlungsräume anzusprechen.
Globale Zusammenhänge und Fragen der Nachhaltigkeit in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft werden mithin ausgehend von der lernenden Person und ihrer Lebensrealität betrachtet und reflektiert. Im Kompetenzbereich Bewerten und einer der zugehörigen Kernkompetenzen Beurteilen von Entwicklungsmaßnahmen sollte es daher die Aufgabe der Lehrkraft sein, Schülerinnen und Schüler zum und beim Perspektivwechsel anzuleiten.20
Um eigene Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen, können Perspektiven aus dem Globalen Süden21 und der Diaspora ein hilfreicher Ankerpunkt sein: Was denken Menschen aus dem Globalen Süden über die diskutierten Fragestellungen? Wie gestalten sie Gesellschaft auf nachhaltige Weise? Was kön-nen wir von ihnen lernen? Dieser Perspektivwechsel ist notwendig, um die Kernkompetenzen von Solidarität und Mitverantwortung zukunftsfähig umsetzen zu können.
Originalstimmen (Zitate) von Menschen aus dem Globalen Süden nehmen außerdem eine wichtige Rolle ein, wenn es um die Kernkompetenz Informationsbeschaffung und -verarbeitung geht. Denn für eine ausgewogene Informationslage ist es unerlässlich, dass Menschen aus dem Globalen Süden selbst zu Wort kommen. Denkbar ist, dass Referentinnen und Referenten des Programms Bildung trifft Entwicklung22 solche und ähnliche Fragen aufgreifen. Ihre persönlichen Erfahrungen aus dem Globalen Süden können Schülerinnen und Schüler für Südperspektiven sensibilisieren. Im Rahmen des Förderprogramms Bildungsarbeit zu Kolonialismus und Verantwortung an Berliner Schulen (BIKO), das von der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie in Kooperation mit der Stiftung Nord-Süd-Brücken umgesetzt wird, entstehen derzeit Bildungsangebote und Materialien23, die Lehrkräfte darin unterstützen sollen, Kolonialismus und seine Kontinuitäten zu thematisieren.24
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13 Bundeszentrale für politische Bildung. 2011. Beutelsbacher Konsens. Verfügbar unter: www.bpb.de/die-bpb/51310/beutelsbacher-konsens
14 Overwien, Bernd. 2019. Politische Bildung ist nicht neutral. In: Zeitschrift Demokratie gegen Menschenfeindlichkeit, Heft 1
15 Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Berlin. 2019. Politische Bildung an Berliner Schulen. Eine integrative Gesamtstrategie. S. 16. Ver-fügbar unter: www.berlin.de/sen/bildung/unterricht/politische-bildung/gesamtstrategie_politische_bildung_an_berliner_schulen.pdf
16 Hochschule Darmstadt. 2015. Frankfurter Erklärung. Verfügbar unter: https://sozarb.h-da.de/index.php?id=586
17 Fortbildungen hierzu bieten beispielsweise die Promotorinnen und Promotoren für Globales Lernen in Berlin und Brandenburg sowie Bildung trifft Entwicklung (BtE) Berlin-Brandenburg an.
18 Weitere Informationen zur Berliner Gesamtstrategie Politische Bildung unter: www.berlin.de/sen/bildung/unterricht/politische-bildung/
19 Weitere Informationen unter: mbjs.brandenburg.de/bildung.html
20 Gries, Rainer. 2018. Den kolonialen Blick überwinden: „Afrikabilder“ und „Afrikapolitik“. Verfügbar unter: www.bpb.de/apuz/277735/den-kolonialen-blick-ueberwinden-afrikabilder-und-afrikapolitik-essay
21 Globaler Süden und Globaler Norden sind keine geografischen, sondern politische Begriffe, um die historisch gewachsenen Ungleichheiten im globa-len Maßstab zu beschreiben. Diese Begriffe möchten die weit verbreiteten Begriffe Entwicklungsländer oder Industrieländer vermeiden helfen, weil die-se eine eurozentristische Lesart globaler Ungleichheiten nahelegen und mit dem Entwicklungsbegriff selbst der problemschaffenden Logik verhaftet bleiben. Zur weiteren Begriffserklärung siehe: Brandenburgische entwicklungspolitische Bildungs- und Informationstage (BREBIT). 2019. Glossar. Ver-fügbar unter: www.brebit.org/Glossar.html
22www.bildung-trifft-entwicklung.de/de/bte-und-je-berlin-brandenburg.html
23 Zu ersten Materialien und Angeboten vgl.: www.initiative-perspektivwechsel.org/angebote-fuer-schulen und: www.smb.museum/museen-einrichtungen/haus-bastian-zentrum-fuer-kulturelle-bildung/public-oeffentliche-angebote/schuelerinnen/detailansicht-angebote-fuer-schulen/kolonialismus-koerper-kunst-und-kultur
24 Weitere Informationen zum BIKO-Programm (Bildungsarbeit zu Kolonialismus und Verantwortung an Berliner Schulen) verfügbar unter: nord-sued-bruecken.de/foerderung/foerderprogramme/inland-biko
Eine häufig geäußerte und durchaus berechtigte Kritik, auch an den Bildungskonzepten Bildung für Nachhaltige Entwicklung und Globales Lernen selbst, ist ein eurozentrischer Blickwinkel. Noch heute bestimmen häufig kolonial geprägte westliche Sichtweisen unseren Blick auf die Gesellschaften und Menschen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Bei der Suche nach Partizipation und Mitgestaltung (Kernkompetenz im Kompetenzbereich Handeln) gelangen Schülerinnen und Schüler oftmals zu der Schlussfolgerung, eigene Maßnahmen für Menschen im Globalen Süden zu planen. Nicht selten sind sie inspiriert von Aktionen, die sie aus dem Fernsehen, dem Internet oder ihrem Umfeld bereits kennen: Weihnachten im Schuhkarton, Dein Tag für Afrika, ein Spendenlauf oder die Unterstützung von Hilfsprojekten. Aufgabe der Lehrkraft sollte es hier sein, Schülerinnen und Schüler auf verbreitete koloniale Denkmuster aufmerksam zu machen und gemeinsam mit ihnen zu reflektieren, warum Menschen und Organisationen im Globalen Norden häufig denken, sie seien als (einzig) kompetente Akteurinnen und Akteure berufen, den Problemen im Globalen Süden auf kompetente Weise zu begegnen („Weltrettertum“).
Handlungsorientierung, Lebensweltbezug, verschiedene Lernzugänge über den Einsatz aller Sinne sowie partizipative Methoden sind charakteristische Merkmale des Unterrichts im Kontext des übergreifenden Themas Nachhaltige Entwicklung / Lernen in globalen Zusammenhängen. Daher können Schülerinnen und Schüler mit ganz unterschiedlichen Lernvoraussetzungen von Unterricht mit Bezug auf dieses übergreifende Thema profitieren. Die Orientierung an diesen Unterrichtsmerkmalen ermöglicht es, alle Schülerinnen und Schüler auf vielfältige Weise in den Unterricht einzubinden und unterstützt sie dabei, nachhaltige von nicht nachhaltigen Handlungsmustern unterscheiden zu lernen.
In der Auseinandersetzung mit dem übergreifenden Thema bietet es sich an, die Expertisen und Perspektiven außerschulischer Kooperationspartnerinnen und -partner zu nutzen. Diese können den Lernprozess insbesondere dann fördern, wenn Schülerinnen und Schüler sich beispielsweise mit Formen und Wirkungsweisen nachbarschaftlichen, zivilgesellschaftlichen oder politischen Engagements auseinandersetzen, mit denen oftmals auch erste Selbstwirksamkeitserfahrungen verbunden sind.
Außerschulische Kooperationspartnerinnen und -partner können mit ihren Bildungsangeboten den Unterricht, aber auch den Lern- und Lebensraum Schule sinnvoll ergänzen, wobei die Angebote sowohl in der Schule als auch an außerschulischen Lernorten stattfinden können. Kooperationen können auch im Ganztag und für Schulentwicklungsprozesse fruchtbar genutzt werden.
Redaktionell verantwortlich: Christoph Look
Der Bildungsserver Berlin-Brandenburg ist ein Service des Landesinstituts für Schule und Medien Berlin-Brandenburg im Auftrag der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie (Berlin) und des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport Land Brandenburg.