Zitat Februar 2012

Zitat Februar 2012

Zitat Februar 2012

Never be afraid to try something new.
Remember, amateurs built the ark,
professionals built the Titanic.
(A common and popular saying.)

Diese Zeilen erscheinen auf meinem Bildschirm, von einem Freund geschickt – und ich merke: Ein Lächeln huscht über mein Gesicht, ein ironisches, bitteres.

Ich frage mich: Woher meine Sympathie für diesen etwas hemdsärmeligen Spruch? Die Titanic und die Costa Concordia sind ja gerade deshalb gesunken, weil die Besatzungen nicht nach den Regeln der Kunst gehandelt haben. 
Ich möchte eigentlich auch keine Kreuzfahrt auf der Arche Noah machen.

Der Spruch wendet sich gegen die Macht der Professionellen und Zuständigen, Neuanfänge mit dem Hinweis auf Erfahrung oder Erkenntnis zu verhindern. Er bringt auf seine Art die Kompetenz der Betroffenen zur Geltung, vielleicht auch die Lust, eigene dilettantische Neuanfänge zu wagen. 

Fachleute können irren, falsche Entscheidungen treffen.

Und: Es gibt Probleme, die können nicht warten, bis sich Fachleute oder Zuständige ihrer annehmen. Manchmal machen Erfahrungen auch blind und Kenntnisse lähmen. 

Dann bedarf es der Ungeduld der Betroffenen und des konkreten Sachverstandes, um Neues zu denken, Ungewohntes zu probieren. Und diese Ressourcen sind unter geeigneten Bedingungen mit dem Wissen und Können von Fachleuten zu verbinden, möglichst informell und frei von institutionellen Verpflichtungen. Erwachsenenbildungseinrichtungen wie beispielsweise die Evangelischen Akademien haben zu diesem Zweck die Veranstaltungsform „Forum“ oder Bildungsangebote „am dritten Ort“ entwickelt. Solche Orte der gleichberechtigten Begegnung von Betroffenen und Fachleuten sind Kostbarkeiten im Feld des lebenslangen Lernens. Von ihnen können Impulse für Veränderungen nach beiden Seiten ausgehen.
Manche Talk-Shows gewinnen ihre Dynamik ebenfalls daraus, dass sie Betroffene, Fachleute und Entscheidungsträger zusammenbringen, aber sie haben -pädagogisch gesehen- den Nachteil, dass alle Beteiligten zugleich öffentlichkeitswirksam repräsentieren müssen. Der Lerneffekt wird hier beim Zuschauer erhofft.

In den Prozess des lebenslangen Lernens gehört auch die Einsicht, dass nicht jedes Problem von Fachleuten gelöst werden kann. Der professionelle Rat nimmt uns die eigene Entscheidung nicht ab. Es gibt niemanden, der uns sagen kann, wie unsere Partnerschaft oder unser Elternsein gelingen. In solchen Fällen sind wir letztlich auf uns selbst gestellt, gezwungenermaßen Amateure.

Daneben gibt es im Bildungsbereich den bewusst und freiwillig gewählten Amateurstatus. Die literarischen oder philosophischen Salons halten Abstand zu den verfassten und professionell geleiteten Einrichtungen. Da hat (herkömmlicherweise) eine Frau die Idee, Menschen zu Gespräch oder Exkursion um sich und ein Thema zu versammeln. Dahinter steht die Freude an einem freien, grenzüberschreitenden Gespräch – und die Lust herauszufinden, was einer Privatperson mit ihren eigenen Kräften gelingen kann.

Ich selber gehe gerne an solche Orte, angeregt von ein wenig anarchistischer Energie, von der Lust an der Begegnung mit Menschen, die ich sonst nicht treffen würde, und der Freude an frei gewählter Bildung mit der Aussicht auf Horizonterweiterung.

Ein Salonbesuch ist in verschiedener Hinsicht eine riskante Angelegenheit. Die Referentinnen und Referenten agieren weitgehend ohne ihre sonstige institutionelle Autorität. (Vielleicht kommen sie gerne deshalb und kostenlos.) Alle wissen nicht auf, wen sie an diesem Abend stoßen werden, und wie Gespräch und Begegnungen verlaufen werden.

Ich vermute, der Reiz eines freien Forums besteht für alle Beteiligten darin:
Was hier geschieht, ist nicht nur unterhaltsam und überraschend, sondern auch ergebnisoffen. Gleiches trifft für die kreativen Bereiche kultureller Bildung, für PlayingArts und Bibliodrama zu. So könnte (neben Wissensvermittlung und Kompetenzgewinn) eine Aufgabe der Erwachsenenbildung auch darin bestehen, Amateure und Professionelle so miteinander ins Gespräch zu bringen, dass unerwartet Neues entstehen kann.

Pfr. Dr. Wolfgang Wesenberg
Leiter der Geschäftsstelle der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung in Berlin-Brandenburg e.V.

http://www.eae.ekbo.de/

Pfr. Dr. Wolfgang Wesenberg

  • 1950 geboren in Berlin, verheiratet, 3 Kinder.
  • 1968 Abitur und Facharbeiterbrief als Mechaniker.
  • 1968 – 1977 Studium der ev. Theologie und der Kulturwissenschaft in Berlin und Leipzig.
  • 1977 – 1983 Pfarrer in Berlin-Prenzlauer Berg
  • 1983 – 1987 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Sprachenkonvikt (kirchliche Hochschule) in Berlin
  • 1987 Promotion zum Dr. theol. durch die Karl-Marx-Universität Leipzig.
  • 1987 – 1993 Dozent für Jugendarbeit und Gemeindepädagogik am Burckhardthaus Potsdam / Gelnhausen
  • Projektmitarbeiter in der Geschäftsstelle der Deutschen Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung (DEAE)
  • seit 1993 Leiter der Geschäftsstelle der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung in Berlin-Brandenburg. 
    www.eae.ekbo.de
      
  • Mitglied im Vorstand des Weiterbildungsverbundes Brandenburg und im Vorstand der Gesellschaft für Bibliodrama.
  • Mitglied im Weiterbildungsbeirat des Landes Brandenburg.

Hinweis

Die dargestellten Meinungsäußerungen in den Kommentaren zu den Zitaten des Monats widerspiegeln die Meinung des jeweiligen Autors und werden nicht vom Bildungsserver Berlin-Brandenburg inhaltlich verantwortet.

Redaktionell verantwortlich: Ralf Dietrich, LISUM