Die Inhalte dieser Seite werden seit mehreren Jahren nicht mehr aktualisiert. Sie sind Bestandteil des Bereiches der abgeschlossenen Modell- und Schulversuche in Berlin und/oder Brandenburg.
Impressionen II
Und jetzt kommt ihr und wollt was ganz anderes
Die Schule, ein Lebenslabor
von Martin Stefke
Ein Erlebnisbericht von der Arbeit in einem ungewöhnlichen Projekt im Brandenburgischen
?ARTuS ? Kunst unseren Schulen!? Allein der Titel der Ausschreibung weckte bei mir im Frühjahr 2006 Neugier und wohl auch Zuversicht. Schließlich schien es sich hier von Anfang an einmal nicht um eines jener künstlerischen Projekte im Bildungsbereich zu handeln, die aufhören, bevor sie überhaupt wirklich begonnen haben.
In der Regel läuft doch Kunst in der Schule nach dem bekannten Muster ab: Ein Künstler oder eine Künstlerin geht für einen deutlich eingegrenzten Zeitraum ? schon die Finanzen lassen anderes nicht zu ? an eine Lehranstalt, arbeitet dort mehr schlecht als recht mit Schülern ? ganz nach Profession lässt er Bilder malen, eine Installation anfertigen; sie liest Selbstgeschriebenes oder deutet vielleicht etwas Weltliteratur an ? und dann verschwinden die Schöngeister wieder. Und zwar als Sonderlinge und bevor die Kinder fragen konnten, was die Arbeit eines Künstlers eigentlich ausmacht, wie künstlerisch-kreative Arbeit vor sich geht.
Von Beginn an über einen Zeitraum von drei Jahren geplant, will und soll ?ARTuS ? Kunst unseren Schulen!? mehr sein als solch ein gewöhnliches Schul-Kunst-Projekt. Es hat sich zur Aufgabe gemacht, künstlerisch-ästhetisches Lernen an Schulen zu ermöglichen und ?Erkenntnisse dazu zu sammeln, wie über die Stärkung des künstlerisch-ästhetischen Lernens an allgemein bildenden Schulen? erstens ?die Qualität der schulischen Arbeit verbessert werden kann?; zweitens ?wie die Qualifizierung einer nachhaltigen Kooperationsarbeit inner- und außerschulischer Partner möglich ist?; und drittens wie ?die Attraktivität der Schule als Lern- und Lebensort sowie deren Einbindung ins Gemeinwesen gesteigert werden kann?.
Kurz gesagt: ARTuS soll Schule verändern. Ein hoher Anspruch, von dem zugegebenermaßen zunächst kaum jemand wirklich weiß, wie er umgesetzt werden kann. Bestenfalls Ideen, Konzepte, Vorstellungen stehen im Raum, jede Menge wissenschaftliche Vorarbeit, Wollen und Willen, viele ehrgeizige Zielsetzungen und Pläne und das Wissen, dass auch der Weg ein Zweck einer Sache sein kann.
Entwickelt am Landesinstitut für Schule und Medien des Landes Brandenburg (LISUM) in einem südlich Berlins gelegenen Stadtgut bei Ludwigsfelde, auf dem sich der Stadtrat Gerhard Struve nach 19 Uhr und in seiner Freizeit (!) um die Förderung von Waisen und sozial benachteiligen Kindern und Jugendlichen sorgte und zu DDR-Zeiten Lehrer weitergebildet wurden, werden nun seit Herbst 2006 im Modellprojekt ARTuS an sieben brandenburgischen Schulen unterschiedlicher Art in der Zusammenarbeit von Künstlern mit Lehrern neue Lernformen erprobt. Dabei sieht sich ARTuS, das von den Ministerien für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Brandenburg gefördert wird, bewusst als Experiment, bei dem es nicht um ?Unterrichtsersatz? durch Künstler geht, sondern bei dem gemeinsam mit Unterrichtenden ? und unter wissenschaftlicher Begleitung ? nach eben diesen neuen Formen des Lernens gesucht wird.
Doch das kann ich im Sommer 2006 noch nicht wissen. Stand doch nach einem Auswahlverfahren der teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler aus der Region Brandenburg-Berlin mit Beginn des Projektes ein intensives Arbeitswochenende auf dem Programm, ein ?Herbstwerkstatt? genannter Workshop im besagten Landesinstitut in Ludwigsfelde.
Ich fuhr mit einer gewissen Skepsis hin. Von Freitag früh bis Sonntagmittag ? was, bitte, gab es da derart lange zu tun? Neben ein paar organisatorischen Fragen wollte ich doch nur beantwortet wissen, in welche der ausgewählten Schulen ich kommen würde, um dort endlich als Künstler im Unterricht zu arbeiten.
Ich muss auch eingestehen, dass ich kein Freund von Aufwärmübungen, Lockerungen und Etüden bin. Gruppenfindendes Im-Kreis-Stehen, klangvolle Kombinationen von rhythmischem Trommeln und ? selbstredend ? anders getakteten Tanzschritten oder gar gesungenen Tonfolgen sind meine Sache nicht. Auch wortreiche Vorträge und Gesprächsrunden entsprechen nicht meinem Temperament. Ich fange lieber mal an, lasse mich ein, beginne einen Prozess, um dann zu sehen, was sich aus den ?Erlebnissen? in der eingeschlagenen Richtung machen lässt.
Und auch als in eben dieser Runde im Landesinstitut erst nach Stunden das erste Mal das Wort Schüler ? inmitten all der Wissenschaftlichkeit beinahe wie ein Fremdkörper ? erschien, hätte dies dem Skeptiker in mir eher Futter geben müssen, als dass es Vorurteile wirklich ausgeräumt hätte. Da jedoch hatte das Zweifeln an der Methode bereits zu bröckeln begonnen. Es lag wohl an den anregenden Runden mit erfreulich neugierigen Lehrern und Kolleginnen. Die Wissenschaft (in Form eines Materialiensackes) hatten wir da ? in unserer Arbeitsgruppe zumindest ? erst einmal beiseite gestellt. Wohlgemerkt, um sie bei Bedarf hervorzuholen. Was auch ziemlich schnell geschah.
Erst in der Schule aber verstand ich tatsächlich, wie bedeutsam der von uns allzu leichtsinnig hinweggefegte ?Überbau? doch ist, die wissenschaftliche Fundamentierung und Begleitung des Projekts, für die anspruchsvolle Aufgabe, Schule durch künstlerisch-ästhetisches Lernen nachhaltig zu verändern. Denn die Institution Schule erkannte ich schon während der ersten Hospitationen als mit zahlreichen Baustellen übersätes und ungeahnt weites Feld, auf dem Kreative aller Kunstsparten sofort an vielen Orten einsatzfähig, ja nötig sind.
Was hätte ich in den ersten Wochen nicht alles machen können? Vorträge über Helden in der Literatur halten, Gedichtanalysen geben, ein Theaterstück mitentwickeln, als eine Art Außenstehender, weil Nicht-Lehrer, den Schülern ?einfach? nur zuhören und bei Problemen, die sich auftaten, weil die Schüler sie vor Lehrern kaum artikulieren würden, vermittelnd und klärend tätig werden. Allein das wäre angetan, Schule zu verändern. Doch ? und das ist gewiss ? ohne die Wochenenden (weitere folgten), die Beratung, die Tipps, das Aufzeigen von unterschiedlichen Arbeitsweisen von Lehrern und Künstlern (an Kategorien wie: die Unterrichtenden haben klare Zielvorstellungen und kennen die Antworten auf die Fragen, die sie stellen bzw. künstlerische Prozesse beinhalten Missgeschicke, Irritationen, Sackgassen, Missverständnisse, die in der Schule in der Regel nicht erwünscht sind, wollte ich anfangs gar nicht glauben), hätte es wenige Stunden gedauert, mich im Schulalltag zu verzetteln. So aber entdeckte ich erleichtert, dass die Strukturen und Phasenmodelle, die Pläne und Tabellen, im Grunde so ziemlich alles, was mir erst als ?trockene Wissenschaft? erschien, einen Weg vorgegeben hatte.
Experimente der 9. Klasse der Potsdamer Voltaire-Gesamtschule mit Kerstin Seltmann. | Foto: Stefke |
Inzwischen liegt beinahe ein ganzes Schuljahr Arbeit hinter mir. 25 Stunden pro Monat, nicht eben viel, um wirklich Einfluss zu nehmen. Und doch geschah nach anfänglichen Hospitationen mehr als nur ein Sammeln von Erfahrungen. Gemeinsam mit der Malerin Kerstin Seltmann arbeitete ich an der Voltaire-Gesamtschule Potsdam in einer 9. Klasse einmal wöchentlich in einer Doppelstunde im Wahlpflichtfach Medien und Kommunikation. Zum im Lehrplan vorgegebenen Thema ?Helden?, ließen wir zum Beispiel ?Helden des Tages? wählen, zu denen die Schüler nach dem Grimmschen Wörterbuch ihre Mondschein-, Pantoffel- oder Fabelhelden zeichneten, Interviews mit fiktiven oder realen Helden führten oder sich gegenseitig als Helden fotografierten.
Die meisten dieser ?Versuche? wurden über freiwillige Schüler als Multiplikatoren in die gesamte Klassenstufe getragen. Am Ende stand die Entwicklung eines künstlerischen Produktes. Dabei war den Schülerinnen und Schülern freigestellt, welcher Art diese Arbeit sein sollte. So entstanden mehrere Filme, ein Radiointerview, Collagen, Comics und Bücher mit geschriebenen oder Bildergeschichten. Am Ende des ?Heldenprojektes? fand ein Projekttag sowie die Präsentation der Ergebnisse in der Schulaula statt. Eine Schülerjury bewertete sowohl die Arbeiten als auch deren Präsentation.
Zum anderen Baustein der Arbeit wurde eine Projektreise mit der 11. Klassenstufe nach Prag. Hier wurde schnell deutlich, welche Möglichkeiten und Chancen aber auch Schwierigkeiten ARTuS in sich birgt. Als ein Schüler einer Gruppe, die mit ?Kafka und Prag? wohl aus rein spekulativen Gründen ein sie im Grunde nicht ansprechendes Thema gewählt hatte, mit dem Satz ?Ich mache hier zehneinhalb Jahre, was die Lehrer von mir wollen und jetzt kommt ihr und wollt was ganz anderes? seine Verwirrung bekundete, brachte er die Intention von ?ARTuS? auf den Punkt: Schülerinnen und Schüler dieses ?Andere? finden zu lassen, scheint mir Anliegen des Projekts. Dazu jedoch muss der enormen Strukturierungs- und Konditionierungsgewalt der Institution Schule entgegen gewirkt werden. Nur so wird es möglich sein, Antworten zu finden und Lust am Lernen zu wecken. ARTuS scheint mir ein Weg, miteinander ins Gespräch zu kommen.
(Veröffentlicht in: KUNST + KULTUR , Juli 2007)
Redaktionell verantwortlich: André Koch, LISUM
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