Inklusion bezeichnet einen Zustand der selbstverständlichen Zugehörigkeit aller Menschen zur Gesellschaft. Damit verbunden ist die Möglichkeit aller zur uneingeschränkten Teilhabe in allen Bereichen der Gesellschaft. Vielfalt - z. B. in Bezug auf religiöse und weltanschauliche Überzeugungen, Geschlecht, Soziallage, Alter, kulturelle Hintergründe, Hautfarbe, sexuelle Orientierung und Identität sowie körperliche oder geistige Behinderungen - ist in einer inklusiven Gesellschaft eine Bereicherung für alle Menschen und führt nicht zu Diskriminierung und Marginalisierung.
Das Wort Inklusion leitet sich von dem lateinischen Verb „includere“ ab und bedeutet "einschließen" oder auch "enthalten". Begriffsbildend wirkten die Aktivitäten einer Bürgerrechtsbewegung in den Vereinigten Staaten, die sich für Menschen mit Behinderungen und ihren Angehörigen einsetzte und erreichte, dass Mitte der 1970er Jahren die Gesetzgebung zur sonderpädagogischen Förderung verändert und Diskriminierung sowohl in öffentlichen Einrichtungen als auch in privaten Dienstleistungs- und Arbeitsbereichen untersagt wurde. (S.19 Kornherr: Inklusion als Utopie der offenen Behindertenarbeit. Norderstedt 2008)
Weltweit nahm der Begriff „Inklusion“ im Bildungsbereich durch die UNESCO-Weltkonferenz im spanischen Salamanca im Jahr 1994 einen wachsenden Stellenwert ein. Der Beschluss der Regierungsvertreter:innen aus rund 200 Staaten, eine Schule für alle Schüler:innen umzusetzen, sowie die 2006 beschlossene UN-Konvention zu den Rechten von Menschen mit Behinderungen führten mit der Ratifizierung Deutschlands im März 2009 zu einem Rechtsanspruch von Menschen mit Behinderung auf ein uneingeschränktes und selbstverständliches Recht auf Teilhabe an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens.
Seit dem 26. März 2009 ist die UN-Konvention für alle Bundesländer in Deutschland gültig. Nach Artikel 4 haben sich damit Bund und Länder verpflichtet,
- die Menschenrechte von Menschen mit Behinderungen sicherzustellen,
- Benachteiligungen zu verhindern und
- zweckentsprechende Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstige Maßnahmen zu treffen.
In Deutschland überwacht und fördert das Deutsche Institut für Menschenrechte e.V. in Berlin die Umsetzung des Übereinkommens.
Für den Bereich der Bildung bedeutet die Umsetzung der UN-Konvention die größte Schulreform seit der Einführung der gemeinsamen Grundschule im Jahr 1920, denn das streng gegliederte deutsche Schulsystem soll sich nicht nur öffnen und die Zugangsmöglichkeiten von Schüler:innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf an die allgemeinen Schulen verbessern, sondern auch so ausgestatten werden, dass Schule allen Schüler:innen gerecht werden kann. Zudem haben Eltern nunmehr das Recht zu entscheiden, ob ihr Kind eine Förder- bzw. Sonderschule besuchen soll oder einen Platz an einer allgemeinen Schule annimmt. In den Bundesländern wurden zur Umsetzung des Rechtsanspruchs unterschiedliche Anstrengungen unternommen und Reformen eingeleitet. Seit dem Jahr 2009 hat sich die Zahl der Schüler:innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Deutschland, die eine allgemeine Schule besuchen, von 19,8 % auf 42,3 % im Jahr 2018 erhöht. (S. XIX: Statistische Veröffentlichung der Kultusministerkonferenz, Dokumentation Nr. 223 – Februar 2020, ISSN 0561-7839)
https://www.unesco.de/bildung/inklusive-bildung
Auswirkungen auf das Land Berlin
Die Unterzeichnung der UN-Menschenrechtskonvention führte in Berlin 2011 zum Aktionsplan „Umsetzung der UN-Konvention für Menschen mit Behinderungen“ sowie im gleichen Jahr zu dem Gesamtkonzept „Inklusive Schule“. Berlin wollte hierdurch Schule zumgemeinsamen Lernort für alle Schüler:innen gestalten. Da die Vorlagen zu verstärkter Kritik aus den Gremien sowie Verbänden führte, wurde im Frühjahr 2011 der Beirat „Inklusive Schule in Berlin“ unter Sybille Volkholz eingesetzt, welcher im Jahr 2013 ein Gesamtkonzept zur Umsetzung der inklusiven Schule in Berlin vorlegte. Dieses wird seitdem sukzessive umgesetzt. Wichtige Punkte sind
- Änderung des Schulgesetzes,
- Entwicklung von kompetenzorientierten Rahmenlehrplänen,
- der Übergang der Ressourcenverteilung von einer individuellen Förderdiagnostik hin zu einer verlässlichen Grundausstattung für die Förderschwerpunkte Lernen, emotional und soziale Entwicklung und Sprache (LES) sowie eine innerschulische Förderdiagnostik,
- die Sicherung vergleichbarer diagnostischer Maßstäbe in den Bezirken,
- Bildung von Inklusiven Schwerpunktschulen,
- Bildung von Beratungs- und Unterstützungszentren,
- Personelle Assistenz und professionelle Unterstützung bei Schüler:innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf.
Mit der Implementierung des Rahmenkonzeptes Inklusive Schwerpunktschule wurden in nahezu allen Berliner Bezirken Schulen geschaffen, welche sich im besonderen Maße der inklusiven Beschulung von Schüler:innen mit dem sonderpädagogischen Förderschwerpunkt „Hören und Kommunikation“, „Sehen“, „körperliche und motorische Entwicklung“, „Geistige Entwicklung“ und „Autismus“ verschrieben. Weiterhin wurde in jedem Bezirk ein Beratungs- und Unterstützungszentrum (SIBUZ) gegründet, welche die Schulen des Bezirkes sowohl bei der Entwicklung inklusiver Konzepte als auch in der fallbezogenen Beratung unterstützt.
https://www.berlin.de/sen/bildung/schule/inklusion/fachinfo/
Auswirkungen auf das Land Brandenburg
Brandenburg setzte die Ratifizierung der UN-Konvention mit dem Konzept „Schule für alle“ um. Hierbei konnte das Land auf bestehende Erfahrungen, Strukturen und Regelungen zurückgreifen, denn der gemeinsame Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderungen, von Schüler:innen mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf hatte gemäß des Brandenburgischen Schulgesetzes Vorrang. Wichtige Voraussetzungen wurden schon frühzeitig mit der Schaffung der flexiblen Anfangsphase (FLEX, 2004), der individuellen Lernstandserhebung für alle Schüler:innen (2005) sowie die förderdiagnostische Lernbeobachtung (2007) geschaffen.
Im Mai 2011 fanden sechs Regionalkonferenzen statt, auf welchen das Thema Inklusion in die breite Ebene getragen, in den Folgejahren diskutierten auf mehreren Fachtagen Schulleitungen und Lehrkräfte, Eltern- und Schülervertreter sowie Schulträger über praktische Erfahrungen, Konzepte und Rahmenbedingungen. Zudem begleitete ein wissenschaftlicher Beirat bestehend aus zehn ausgewiesenen Experten und Wissenschaftlern aus dem Bereich der Inklusiven Bildung die konkreten Umsetzungen der Maßnahmen. Das Pilotprojekt „Inklusive Grundschule“ hat sich etabliert und bietet die Grundlage für die Erweiterung des inklusiven Gedankens zu Schulen im gemeinsamen Lernen Im Schuljahr 2019/20 waren 41 % der Schulen in öffentlicher Trägerschaft „Schulen gemeinsamen Lernens“.
https://mbjs.brandenburg.de/bildung/gute-schule/schule-fuer-gemeinsames-lernen-inklusion.html
Die inklusive Schule ist vom Grundsatz her eine Schule, die allen Kindern und Jugendlichen, ungeachtet ihrer individuellen Voraussetzungen oder ihrer aktuellen Lebenslagen, gleiche Bildungschancen eröffnet. Dies erfordert ein ausreichendes Maß an Individualisierung. Immer mehr Schulen nehmen die Heterogenität ihrer Schülerschaft inzwischen bewusst wahr und reagieren darauf mit veränderten Lernarrangements. Schulen, die in den letzten Jahren Schulpreise erhielten, sind zu einem überwiegenden Teil integrative Schulen mit einem bemerkenswert hohen Anteil behinderter Kinder und Jugendlicher bzw. sehr stark heterogenen Lerngruppen.
Eine inklusive Schule ist – kurz gesagt – nichts anderes als eine gute Schule für alle Kinder! (Vgl. Christine Demmer. Schule anders denken, gestalten und evaluieren. Eine Vergleichsstudie. Montag Stiftung >Jugend und Gesellschaft 2011) Insofern ist die Forderung nach inklusiver Schulentwicklung keine neue Herausforderung, sondern vielmehr eine Präzisierung des gemeinsamen Anliegens von Lehrkräften, Erziehern, Eltern und Bildungspolitikern: nämlich, die Schule kontinuierlich besser zu machen - für alle Kinder.
Der Schulverbund "Blick über den Zaun" benennt in seinem Leitbild einer guten Schule vier Eckpfeiler einer guten Schule:
- Den Einzelnen gerecht werden – individuelle Förderung und Herausforderung
- Das andere Lernen – erziehender Unterricht, Wissensvermittlung, Bildung
- Schule als Gemeinschaft – Demokratie lernen und leben
- Schule als lernende Institution – Reformen ‚von innen‘ und ‚von unten‘
Einen nützlichen Kriterienkatalog für die Entwicklung und Gestaltung einer inklusivenSchule stellt der Index für Inklusion dar. Anhand von zur Reflexion anregender Fragen, welche in drei Dimensionen und sechs Bereiche unterteilt sind, lassen sich überschaubare Entwicklungsaufgaben und machbare Schritte in Richtung einer inklusiven Schule, also einer Schule für Alle planen und evaluieren.
Der Index für Inklusion wird in vielen Ländern der Welt genutzt, die deutsche Übersetzung des in Großbritannien von T. Booth und M. Ainscowentwickelten Materials stammt von Ines Boban und Andreas Hinz (Universität Halle).
Universal Design for Learning (UDL) ist ein pädagogischer Rahmen, der auf der Forschung in den Bildungswissenschaften, einschließlich der kognitiven Neurowissenschaften basiert und die Entwicklung flexibler Lernumgebungen und Lernräume anleitet, die individuelle Lernunterschiede berücksichtigen können. Maßgeblich entwickelt wurde UDL in den 1990er Jahren von David H. Rose der Harvard Graduate School of Education und des Center for Applied Special Technologie (CAST). Dabei griff Rose auf die Ansätze der Universal Design-Bewegung in den Bereichen Architektur / Produktentwicklung zurück, bei der es darum ging, die Gestaltung von Bauwerken bzw. Produkten von Anfang an einem möglichst breiten Spektrum von Menschen zugänglich zu machen und damit auf viele Einzelanpassungen im Nachhinein zu verzichten. Diese Zielsetzung wurde ins UDL übertragen, das auf drei Leitprinzipien beruht, und zwar der
- Bereitstellung von vielfältigen Formen der Beschäftigung, um die Interessen der Lernenden aufzugreifen, sie angemessen zu fordern und sie zum Lernen zu motivieren.
- Bereitstellung von vielfältigen Darstellungsformen, die den Lernenden verschiedene Möglichkeiten bieten, sich Informationen und Wissen anzueignen, und
- Bereitstellung von vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten, um den Lernenden Alternativen zu bieten, um zu zeigen, was sie wissen.
Ausführlichere Informationen finden Sie unter: Grundsätze des UDL (szh.ch) und Universal Design for Learning diklusiv – Diklusion
Mit dem Konzept „Gemeinsames Lernen in der Grundschule“ (Brandenburg) sowie der verlässlichen Grundausstattung und der Schulstrukturreform (Berlin) haben sich viele Schulen in Berlin und Brandenburg auf den Weg gemacht, Schüler:innen mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf gemeinsam zu beschulen. Inklusive Schwerpunktschulen beschulen darüber hinaus in Berlin Schüler:innen im sonderpädagogischen Förderschwerpunkt „Sehen“, „Hören und Kommunikation“, „Körperliche und motorische Entwicklung“, „Geistige Entwicklung“ sowie „Autismus“. Einige inklusiv arbeitende Schulen erhielten für die Umsetzung ihres Schulkonzeptes sogar Auszeichnungen wie den Deutschen Schulpreis der Robert-Bosch-Stiftung oder bis 2019 den Jakob-Muth-Preis. Beispiele inklusiver Arbeit an Schulen lassen sich finden unter:
https://www.berlin.de/sen/bildung/schule/inklusion/beispiele-und-erfahrungen/
https://www.berlin.de/sen/bildung/schule/inklusion/schwerpunktschulen/
Informationen über den Deutschen Schulpreis der Robert-Bosch-Stiftung
Redaktionell verantwortlich: Daniel Meile
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