Zitat Juni 2006

Zitat Juni 2006

Zitat Juni 2006

"Der freiheitlich säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Andererseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots, zu garantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben."   (Ernst-Wolfgang Böckenförde*)

 

Diese Gedanken des ehemaligen Richters am Bundesverfassungsgericht Ernst-Wolfgang Böckenförde, die in der Literatur auch das Böckenförde-Paradoxon oder das Böckenförde-Dilemma genannt werden, waren für mich eine aufregende Entdeckung. Nicht weil sie einen beliebten Ausgangspunkt für Wertedebatten verschiedenster Art darstellen, sondern weil sie vor Augen führen, was es heißt, in einem wirklich freiheitlichen Staat zu leben.

 

Im Unterschied zum vormundschaftlichen Staat**, in dem viele von uns einen Teil ihres Lebens verbracht haben, leben wir jetzt in einer Staatsform, welche sich auf das Wagnis der Freiheit seiner Bürger einlässt. Kein Politbüro, kein Zentralrat, keine wie auch immer geartete Obrigkeit gibt mir a priori vor, wie ich zu leben habe. Ich als Bürger, als Subjekt bin gefragt, die mir gegebene Freiheit zu füllen und mich einzubringen. Individuelle Freiheit und Rechte, die eine autonome, eigenverantwortliche Lebensgestaltung ermöglichen, sind das Kernstück einer liberalen Demokratie. Vielen unterschiedlichen Lebensformen und Lebenskonzepten wird innerhalb dieser politischen Gemeinschaft Raum gegeben. Der Staat ist neutral gegenüber seinen Staatsbürgern, egal in welchen religiösen, ethnischen oder kulturellen Gemeinschaften sie sich befinden.

 

Der freiheitliche Staat funktioniert aber nur, wenn ich als Bürger aktiv werde und meinerseits auf dieses Wagnis, diese "Zumutung" der Freiheit eingehe. Nur durch mein Tun, mein Einbringen wird er getragen. Sonst scheitert dieses Wagnis. Der freiheitliche Staat ist also auf den aktiven Bürger angewiesen. Ich muss die Voraussetzungen für meine Freiheit und die Freiheit der anderen schaffen. Freiheit heißt also nicht nur Freiheit von Bevormundung, sondern auch Freiheit für mein Engagement, mein Mitdenken und meine Verantwortung für ein gelingendes Zusammenleben.

 

Der freiheitlich säkulare Staat hat ein lebendiges Interesse daran, dass seine Bürger die ihnen gebotene Freiheit auszufüllen in der Lage sind. Deshalb sind unsere Bildungseinrichtungen, die Schulen und Universitäten, Orte der Ertüchtigung zur freiheitlichen Demokratie. Und nicht nur sie. Mit dem in Deutschland mit großem Engagement vertretenen Konzept politischer Bildung, wurden Orte der Auseinandersetzung, des Nachdenkens über politische Orientierung und demokratische Werte geschaffen. Als Schulen der Demokratie vermitteln sie authentische Informationen und bieten ein Übungsforum für kontroverse Auseinandersetzungen um politische Inhalte. Somit wird politische Bildung als Selbst-Aufklärung des Subjekts, als selbstgewählte Qualifikation und zielgerichtete Entfaltung von Fähigkeiten der Demokratieteilhabe und Entwicklung von Urteils- und Kritikfähigkeit gegenüber Politik, Wirtschaft, Medien und Gesellschaft verstanden.

 
Politische Bildung ist eine unverzichtbare staatliche Aufgabe für die Entwicklung einer demokratischen politischen Kultur im Land und die Bewältigung gesellschaftlicher Zukunftsaufgaben. Andere Länder finden das so interessant, dass sie sich von uns beraten lassen.


Wenn Sie neugierig geworden sind, kommen Sie vorbei. Wir freuen uns auf Ihren Besuch: www.politische-bildung-brandenburg.de

 


* Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: Ders., Recht, Staat, Freiheit. Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Frankfurt am Main 1991, S. 92-114.
** Diese Charakterisierung der DDR geht zurück auf: Rolf Henrich, Der vormundschaftliche Staat. Vom Versagen des real existierenden Sozialismus, Reinbek bei Hamburg 1989.

Vita Dr. Martina Weyrauch

  • geboren 1958 in Berlin (Ost)
  • 1977 Abitur und Ausbildung zur Kleidungsfacharbeiterin
  • 1978-1982 Studium der Rechtswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin
  • 1986 Promotion zum Internationalen Strafrecht und Völkerrecht
  • 1989/90 Mitglied in verschiedenen Untersuchungskommmissionen
  • Mai bis Dezember 1990 Referentin für völkerrechtliche Fragen der deutschen Einheit im Amt des DDR-Ministerpräsidenten, Lothar de Maiziere
  • 1991 - 2000 Arbeit in verschiedenen Aufgabenbereichen der Landesverwaltung Brandenburgs
  • seit Oktober 2000 Leiterin der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung
  • seit Dezember 2003 Vorsitzende der Stiftungsinitiative "DemokratieANstiftung"

Redaktionell verantwortlich: Ralf Dietrich, LISUM