Bei der alphabetischen Strategie geht es um die entscheidende Einsicht beim Schriftspracherwerb: die Lautorientierung unserer Schriftsprache. Gerheid Scheerer-Neumann spricht deshalb auch von einer "Schlüsselfunktion" des alphabetischen Zugangs. Die Kinder wissen, dass jedes Graphem einen Lautwert repräsentiert.
Die komplexe lautliche Analyse, das bewusste buchstabenweise Erlesen, erfordert von manchen Kindern die vollständige Konzentration, was dazu führt, dass der Kontext zunächst vollständig ausgeblendet wird und die Kinder manchmal Wörter, die sie vorher logografisch gespeichert hatten und auf Anhieb benennen konnten, synthetisierend lesen. So wird z.B. der bereits bekannte eigene und flüssig gelesene Name "Malte" plötzlich [m:a:l:te:] gelesen. In kurzen Texten kann es passieren, dass auch mehrfach wiederkehrende Wörter immer wieder von Neuem synthetisierend erlesen werden.
Um Wörter vollständig zu erlesen, müssen aber nicht nur den Buchstaben Lautwerte zugeordnet werden. Diese müssen dann auch zu größeren sprachlichen Einheiten, den Silben, synthetisiert werden. Diese Fähigkeit zur Synthese beinhaltet eine große Abstraktionsleistung, denn Synthese bedeutet nicht eine reine Aneinanderreihung von Lauten zu Silben, sondern es entsteht eine neue artikulatorische Einheit, da sich der Klang von Lauten durch das Zusammenschleifen verändert. Außerdem gibt es Wörter, die nur aus dem Kontext heraus richtig gelesen werden können (z.B. "die Hochzeit meiner besten Freundin" oder "die Hochzeit der Gotik").
Wenn das Prinzip der Synthese verstanden ist, muss selbstständig die Segmentierung vorgenommen werden, damit die Lesegeschwindigkeit durch eine Verkürzung der Verarbeitungszeiten erhöht wird. Da die Art der Segmentierung von der Wortstruktur und auch vom Kontext abhängt (z.B. bei "Wachs-tube" oder "Wach-stube"), müssen die Kinder verschiedene Segmentierungsmöglichkeiten kennen lernen.
Wegen der Schlüsselfunktion des alphabetischen Zugangs muss der Ausgestaltung dieser Strategie besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden, was für manche Kinder bedeutet, dass sie eine Vielfalt und Vielzahl an Übungen zur sicheren Beherrschung und Weiterentwicklung benötigen. "Wenn die alphabetische Strategie, also das Erlesen bzw. lautorientierte Schreiben, noch nicht beherrscht wird, muss sie im Zentrum der Förderung lese-rechtschreib-schwacher Schülerinnen und Schüler stehen. Sie ist unverzichtbar."1
Pädagogische Diagnostik auf der alphabetischen Stufe
Aufgaben um herauszufinden, ob ein Kind die alphabetische Strategie beherrscht:
- Buchstabendiktate
- Vorlesen von Wortpaaren wie <Reis> -<Preis>, <Hut> - <Hund> etc., sowie von Pseudowörtern, die auf die spezifischen Probleme hin konstruiert werden können, z.B. <traul>, <spranz> etc.
- Vorlesen von Wörtern unterschiedlicher Länge zur Erfassung der Segmentierungsstrategien
Mögliche Ursachen für Unsicherheiten auf der alphabetischen Stufe
- unzureichende Kenntnis von Phonem-Graphem-Korrespondenzen
- Probleme bei der Synthese von Konsonantenclustern
- unzureichende oder falsche Segmentierungsstrategien
- mangelnde Übung
Lernangebote zur Unterstützung der Beherrschung der alphabetischen Strategie
- Vermitteln und Üben der noch unbekannten Graphem-Phonem-Korrespondenzen
- Silbensegmentierung an gesprochenen und geschriebenen Wörtern
- Üben von Wörtern mit ausgewählten Konsonantenhäufungen (br, bl, gr, etc.)
- Leseübungen zur Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf die Sinnerfassung
- Lesen üben mit nicht zu schwierigen Texten
Lernangebote zur Entwicklung der alphabetischen Strategie
1 Gerheid Scheerer-Neumann: Die Bedeutung der alphabetischen Strategie für die Förderung lese-rechtschreibschwacher Kinder. In: Schulte-Körne, Gerd (Hrsg.): Legasthenie: erkennen, verstehen, fördern. Bochum 1999, S. 246
Redaktionell verantwortlich: Erna Hattendorf
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