Zitat März 2007

Zitat März 2007

"Menschen wehren sich nicht gegen Veränderung, sondern dagegen, verändert zu werden."   (Peter Senge*)


Auf den ersten Blick ist es vielleicht verwunderlich, wenn ein solches Zitat ausgerechnet von einer Erziehungswissenschaftlerin präsentiert wird - noch dazu von einer Schulpädagogin, die doch geradezu von Berufs wegen Prozesse des Lernens und damit der Veränderung fördern will.

Auf den zweiten Blick leuchtet es aber sicherlich ein, dass es klug ist, sich immer wieder die Grenzen des eigenen Tuns und der eigenen Möglichkeiten vor Augen zu führen. Es ist schon richtig: Lernen bedeutet immer Veränderung, sich irritieren und verunsichern lassen, auf Neues einstellen, Anstrengung. Gleichzeitig erweitert es den Blick auf die Welt und auf sich selbst, überwindet Barrieren, eröffnet Horizonte. Vielleicht weiß dies gerade jemand zu schätzen, für den  - oder genauer gesagt die - sogenannte "höhere Bildung" zunächst nur sehr in Grenzen vorgesehen war: In der "Normalbiographie" von Mädchen galt in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ein Realschulabschluss als völlig hinreichend, wenn nicht ein sehr bildungsnahes Elternhaus andere Ansprüche weckte.

Die Schule vermochte zum damaligen Zeitpunkt die Lust an der eigenen Veränderung durch Lernen nur gebremst anzuregen. Dort trat es eher in der Gestalt von "Verändert-werden" auf: Lernen im Gleichschritt, wenig Wahlmöglichkeiten, kaum Fragen nach dem Sinn des zu Lernenden oder gar Ansprüche auf Mitgestaltung und Mitbestimmung. Und trotzdem: In manchen Stunden, bei manchen Personen und Themen, da blitzten die tendenziellen Möglichkeiten auf, da sprangen Funken über, da ging der Vorhang zu Erkenntnis und Selbstbestimmung ein kleines Stück auf.

Sieben Jahre in den verschiedensten Amtsstuben können dann schon Träume von Veränderung befördern, aber die verführerische Sicherheit und Gemütlichkeit des Sich-Einrichtens mit Erreichtem stutzt solchen Sehnsüchten auch  gern die Flügel. Wäre da nicht ein Eingriff von außen vielleicht doch hilfreich? Ein schicksalhaftes Ereignis, ein "Machtwort", gar ein Tritt? Oder eine List?

Ganz sicher sind Anregungen und Anstöße wichtig, Visionen, die Aussicht auf etwas, das sich lohnt, das die Mühen der Berge und auch der anschließenden Ebene bewältigen hilft. Aber weder Zwang noch Überredung können ausreichen, um sich auf das Abenteuer eigener Veränderung wirklich einzulassen. Alle noch so gut gemeinten Ratschläge, ausgesetzte Prämien, Versprechungen und Motivationstricks schlagen fehl, wenn es nicht gelingt, die Bedürfnisse derjenigen zu treffen, aufzugreifen und zu entwickeln, die man auf ihrem Lernweg begleiten und unterstützen möchte. Gelingende Veränderungs- und Entwicklungsprozesse können und müssen in erster Linie aktiv von den Lernenden gestaltet werden. LehrerInnen, ErzieherInnen, Eltern - sie alle können nur erfolgreich sein durch Anregung, Begleitung und Unterstützung. Das sollte Pädagoginnen und Pädagogen bescheiden machen - aber keineswegs resignieren lassen.

Peter Senge ist kein Pädagoge. Er ist Ingenieur und Organisationsberater, nähert sich der Entwicklung von Institutionen also aus einer sehr anderen Perspektive. Aber gerade sein Zitat hat mir dabei geholfen, meine Ungeduld bei der Veränderung von Schule und anderen Bildungsinstitutionen zu zähmen. Ein amerikanischer Kollege hat einmal seufzend gesagt: "Schools change slower than churches!" Und nach mehr als zwanzigjähriger Erfahrung im Arbeitsbereich von Schulentwicklung bin ich geneigt, ihm gelegentlich zuzustimmen. Festhalten am Gewohnten und als "bewährt" Geltenden ist dort oft nicht weniger verbreitet als in den schon erwähnten Amtsstuben. Mut zur verantwortungsvollen Entwicklung und Erprobung neuer Wege dagegen eher eine seltene Erscheinung. Das Argument: "Das haben wir immer schon so gemacht!" ist ebenso tödlich wie seine komplementäre Variante: "Das haben wir noch nie so gemacht!"

Dennoch hat mir das Senge-Zitat gezeigt, dass Veränderungen durchaus möglich sind, wobei sie aber häufig trotz bester Absicht eher verhindert als befördert werden: Von oben verordnen lassen sie sich ohnehin nicht, aber auch eine zu ungeduldige Strategie des Ziehen und Zerrens, des Überstimmens und mehr oder weniger sanften Druck-Ausübens kann sehr kontraproduktiv wirken. Sowohl im Umgang mit einzelnen Menschen als auch mit Kollegien, Eltern und sonstigen Gruppen ist die respektvolle Auseinandersetzung mit anderen Positionen der einzige Weg, eine Basis für gemeinsames Handeln zu schaffen. Sich dafür Zeit zu nehmen, so etwas wie "revolutionäre Geduld" zu entwickeln, ist keineswegs leicht, aber unabdingbar. Wenn aus Betroffenen Beteiligte werden sollen, dann müssen Ziele und Wege gemeinsam ausgehandelt, beschritten und immer wieder überprüft werden.



* Peter M. Senge (geboren 1947 in Stanford) ist Direktor des 1991 gegründeten Center for Organizational Learning an der MIT Sloan School of Management in Cambridge (Massachusetts) und Vorsitzender der 1997 gegründeten Society for Organizational Learning (SoL). Sein Forschungsgebiet ist die Organisationsentwicklung.

Mehr Informationen und weiterführende Links über Peter M. Senge finden Sie bei Wikipedia: de.wikipedia.org/wiki/Peter_M._Senge


Vita Dr. Marianne Horstkemper

  • Jg. 1949
  • zunächst Justizbeamtin,
  • zum Studium gekommen über den 2. Bildungsweg, Sozialarbeiterin, Psychologiestudium,
  • Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Schulentwicklungsforschung,
  • Professorin in Niedersachsen und
  • seit 2000 an der Universität Potsdam (inhaltliche Schwerpunkte: Allgemeine Didaktik, Lehrerbildung, Schul- und Unterrichtsforschung, Schulentwicklung)

Redaktionell verantwortlich: Ralf Dietrich, LISUM