Lerntheorien
Wie lernen Schülerinnen und Schüler am besten?
Dipl.-Psych. Christoph Lindner
Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN), Kiel
In diesem Text soll zunächst der Frage nachgegangen werden, was sich hinter dem Begriff „Lernen“ im Allgemeinen verbirgt und welche Implikationen sich diesbezüglich für Lernende und Lehrende im schulischen Kontext ableiten lassen. Anschließend werden prominente Theorien aus der Lernpsychologie vorgestellt, die unterschiedliche Erklärungsansätze zum Thema „Lernen“ liefern. Aufbauend auf den Erkenntnissen der derzeit dominierenden Forschungsströmungen werden Gestaltungsprinzipien für Lehr-Lern-Umgebungen abgeleitet. Diese Einführung gibt dabei einen ersten Überblick, wobei Leserinnen und Lesern, die sich tiefergehend mit dem Thema Wissenserwerb beschäftigen wollen, die Lehrbücher in der abschließenden Literaturliste und beispielsweise die Arbeiten von Alexander Renkl empfohlen werden.
Was ist Lernen?
Unter dem Begriff „Lernen“ wird in der Pädagogischen-Psychologie der Erwerb von Wissen im Sinne der Aufnahme neuer Informationen verstanden. Der Lernprozessselbst kann nicht direkt beobachtet werden, sondern nur die Lernleistung beim Wissensabruf. Beispielsweise ist es für die erfolgreiche Wiedergabe von Vokabeln unabdingbar, dass die relevanten Informationen beim Lernen gespeichert wurden. Die grundlegende Voraussetzung für Lernen und Lernabruf ist demnach das Gedächtnis, das alle einströmenden Sinnesreize verarbeitet, interpretiert, in bereits angelegte Gedächtnisnetzwerke integriert, langfristig speichert und wieder abruft.
Das durch den Lernprozess erworbene Wissen lässt sich in Faktenwissen (deklaratives Wissen) und Anwendungswissen (prozedurales Wissen) unterscheiden. Unter ersterem versteht man verbalisierbares Wissen beispielsweise von Vokabeln, Grammatikregeln oder auch von Lösungswegen bei Mathematikaufgaben, wohingegen mit letzterem die Fähigkeit gemeint ist, eine Mathematikaufgabe zu berechnen oder einen Aufsatz zu schreiben. Des Weiteren werden Lernprozesse durch das sogenannte metakognitive Wissen unterstützt. Darunter versteht man das Wissen über den Wissenserwerb selbst. Der Aufbau vernetzter Wissensstrukturen wird nach diesem Ansatz begünstigt, wenn Schülerinnen und Schüler wissen, wie sie genau vorgehen müssen, um beispielsweise mathematische Problemstellungen selbstständig zu lösen.
Abschließend soll erwähnt werden, dass der Erfolg des Wissenserwerbs stark von individuellen Personeneigenschaften, wie beispielsweise Persönlichkeitsmerkmalen, motivationalen Faktoren oder der Intelligenz abhängt. Demnach kann die Frage, wie Schülerinnen und Schüler am besten lernen, nicht pauschal beantwortet werden, jedoch liefert die Lehr-Lernforschung empirisch fundierte Theorien, die erklären wie und unter welchen Umständen Lernprozesse bei Lernenden begünstigt werden.
Theoretische Grundlagen des Lernens und Implikationen für den schulischen Kontext
Eine der historisch ältesten lernpsychologischen Strömungen geht auf den Behaviorismus zurück. Diesem Ansatz zufolge nimmt der Lernende grundsätzlich eine von innen heraus passive Rolle ein, wobei das Lernen ausschließlich durch die Reaktion auf äußere Faktoren angestoßen wird. Mentale Prozesse wie beispielsweise Wahrnehmung, Denken, Aufmerksamkeit oder Emotionen werden für die Erklärung von Lernen vollständig ignoriert, wohingegen das beobachtbare Verhalten im Fokus steht. Lernen wird hier durch sogenannte Reiz-Reaktions-Ketten ausgelöst, wobei der Lernstoff kleinschrittig in Aufgaben verpackt, einen Anreiz liefern soll, sich mit dem Lerninhalt auseinanderzusetzen. Ein ergänzender Baustein in diesem Ansatz ist das instrumentelle Lernen, demzufolge ein positiv gezeigtes Lernverhalten belohnt und ein ungünstiges Lernverhalten bestraft werden sollte. Die Häufigkeit des in Zukunftgezeigten Lernverhaltens ist demnach abhängig von den erlebten Verhaltenskonsequenzen. Wird eine erfolgreiche Auseinandersetzung mit dem Lernstoff belohnt, so steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Lernende in Zukunft häufiger das gewünschte Lernverhalten zeigt. Der Lehrende spielt im behavioristischen Ansatz die zentrale Rolle, da es seine Aufgabe ist, geeignete Lernanreize zu setzen und passende Rückmeldungen auf die Reaktionen der Schülerinnen und Schüler zu geben. Die behavioristische Sichtweise gilt nach heutigem Kenntnisstand als beschränkt und unzureichend, da der Wissenserwerb nicht allein durch die Reaktion auf Lernanreize erklärt werden kann, sondern vielmehr einen Prozess darstellt, der sich auch im Gehirn der Lernenden abspielt.
Lerntheorien des Kognitivismus stellen die aktive Aufnahme, Verarbeitung und Speicherung von Informationen in den Mittelpunkt des Lernvorgangs. Als Gegenpol zum Behaviorismus wird Lernen nicht als intern passiver Prozess betrachtet, sondern als Fähigkeit, Lösungswege für Problemstellungen durch eine aktive Verarbeitung neuer Informationen unter Berücksichtigung bereits gespeicherter Gedächtnisinhalte zu entwickeln. Dem Lehrenden kommt nach diesem Ansatz die Aufgabe zu, als Wissensvermittler Lerninhalte didaktisch so aufzubereiten, dass die relevanten Informationen einer Problemstellung bestmöglich verarbeitet und in bereits vorhandene Wissensnetzwerke integriert werden können. Somit legt die Lehrkraft den „richtigen“ Lernweg fest, der von den Lernenden zu beschreiten ist, um das vorgegebene Lernziel zu erreichen. Elemente des eigenverantwortlichen und selbstgesteuerten Lernens werden in dem kognitivistischen Lernansatz jedochzu stark vernachlässigt.
Die derzeit einflussreichsten Lerntheorienbasieren auf dem Grundgedanken des (kognitiven) Konstruktivismus. Nach diesem Ansatz können beim Lernen die im Gedächtnis neu aufgenommenen Inhalte erst aufgrund des bereits vorhandenen Vorwissens interpretiert und zu bedeutungsvollen Informationen integriert werden. Je stärker die Lerninhalte beim Wissenserwerb mit anderen relevanten Wissenselementen vernetzt wurden, desto wahrscheinlicher gelingt es langfristig, Informationen aus dem Langzeitgedächtnis erfolgreich abzurufen. Der Lernprozess wird hier als aktive Konstruktion von Wissen verstanden, wobei Lerninhalte für jede Person eine andere Bedeutung haben können. Beispielsweise verarbeiten Schülerinnen und Schüler relevante Informationen aus dem Unterricht erst dann, wenn sie einerseits der von der Lehrkraft verwendeten Sprache mächtig sind und andererseits über fachbezogenes Vorwissen verfügen. Akustische Signale, die durch die Stimme der Lehrkraft ausgesendet wurden, werden vom Zuhörenden genau dann als „Fremdsprache“ oder als „unbekannte Worte“ interpretiert, wenn den Lerninhalten aufgrund des mangelnden Vorwissenskeine Bedeutung zugeschrieben werden kann. Die Lehrkraft übernimmt nach diesem Ansatz die Rolle eines „Coaches“, der individuelle Konstruktionsprozesse anregen und unterstützen soll, indem er beispielsweise die Aktivierung von Vorwissen für die Bedeutungszuschreibung neuer Lerninhalte fördert. Das Schaffen von förderlichen Lernatmosphärenund Lerngelegenheiten ist demnach ebenso wichtig wie die Berücksichtigung individueller Vorstellungen der Schülerinnen und Schüler beim Lernen. Die Theorie der fokussierten Informationsverarbeitung weist darüber hinaus darauf hin, dass für den aktiven Wissenserwerb die Fokussierung auf zentrale Konzepte und Prinzipien des Lernmaterials essentiell ist und von der Lehrkraft gefördert werden sollte. Demnach hängt die Qualität des Wissenserwerbs entscheidend davon ab, inwieweit bei der aktiven Stoffverarbeitung, der Aufmerksamkeitsfokus auf die relevanten Begriffe oder Gesetzmäßigkeiten gelegt wird. Aus den dargestellten theoretischen Perspektiven lassen sich somit allgemeine Hinweise zur optimalen Gestaltung von Lehr-Lern-Umgebungen ableiten.
Welche Lernformen gibt es und wie sollten Lehr-Lern-Umgebungen gestaltet sein?
Dem Lernen aus Texten kommt eine besondere Bedeutung zu, da diese Lernform in nahezu allen Lehr-Lern-Umgebungen eine wichtige Rolle spielt. Wie gut das Lernen aus Texten gelingt, hängt einerseits vom Vorwissen und der mentalen Aktivierung (z.B. Aufmerksamkeitsfokussierung) der Lernenden, andererseits von der Qualität des Textes ab. Demnach sollten Sätze weder zu lang noch zu komplex gestaltet sein, wobei die Hervorhebung zentraler Begriffe und die Anreicherung komplexer Sachverhalte mit Bildinformationen (Abbildungen und Tabellen) zu empfehlen ist. Zudem ist es vor allem für Lesende ohne Vorwissen begünstigend, wenn relevante Argumentationsketten im Text stringent aufeinander aufbauen.
Eine weitere Lernform ist das sogenannte beispielsbasierte Lernen. Hier werden einzelne Problemstellungen und deren Lösungsschritte in unterschiedlichen Beispielen wiederholt dargestellt. Besonders für Schülerinnen und Schüler ohne Vorwissen ist diese Lernform sehr effektiv, da die Beispiele solange durchgearbeitet und nachvollzogen werden sollen, bis die zugrunde liegenden Aufgabenprinzipien verstanden wurden. Durch die Anreicherung der Lernsituation mit Leitfragen kann sichergestellt werden, dass die Lernenden mittels Selbsterklärungen die Logik der Lösung tiefgreifender verstehen und somit Wissen darüber erwerben, wie inhaltsnahe Aufgaben erfolgreich bearbeitet werden können.
Beim Lernen durch Aufgabenbearbeitung soll die Lehrkraft unterstützend dazu beitragen, dass eine Fokussierung auf die grundlegenden Prinzipien einer Aufgabe (z.B. auf Rechengesetze) stattfindet. Werden die Grundprinzipien beherrscht, sollten die neuen Fertigkeiten durch wiederholtes Üben gestärkt und automatisiert werden.
Beim Lernen durch Erkunden generieren Lernende zentrale Konzepte und Prinzipien selbstständig durch erkundendes Experimentieren, wobei die Lehrkraft den Lernenden auch hier bei der „Fokussierung auf das Wesentliche“ unterstützen soll. So werden individuelle Fehlvorstellungen bewusst und das Testen von Hypothesen erlaubt es, systematisches Wissen über relevante Inhaltsbereiche zu erwerben.
Auch Gruppenarbeiten wirken sich unter bestimmten Umständen lernförderlich aus, wobei hier die konkrete Zusammenstellung einer kooperativen Lerngruppe entscheidend für die Güte des Wissenserwerbs ist. Beim kooperativen Lernen soll eine aktive Verarbeitung des Lernstoffs beispielsweise durch sich widersprechende Sichtweisen der Schülerinnen und Schüler gefördert werden, wodurch das Lernen jedes einzelnen Gruppenmitglieds begünstigt wird. Das aktive Problemlösen in Gruppen führt außerdem dazu, dass vorhandene Wissensstrukturen aufgrund des wechselseitigen Erklärens besser organisiert und reorganisiert werden, wodurch sich einzelne Wissensbereiche besser zu einem Gesamtbild ergänzen.
Weiterführende Literatur:
Renkl, A. (2006). Wissenserwerb. In Wild, E., & Möller, J. (Hrsg.), Pädagogische Psychologie (S. 3-26). Heidelberg: Springer.
Renkl, A., & Atkinson, R. K. (2007). Interactive learning environments: Contemporary issues and trends. An introduction to the special issue. Educational Psychology Review, 19, 235–238.
Woolfolk, A., & Schönpflug (2008). Lernen und Motivation. In Woolfolk, A., & Schönpflug (Hrsg.), Pädagogische Psychologie (S. 253-398). München: Pearson Deutschland GmbH.
Redaktionell verantwortlich: Katharina Wucke, SenBJF
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