Zitat Juni 2008

Zitat Juni 2008

Zitat Juni 2008

"Jede lebendige Schule ist anders und doch sind sie alle verwandt. Man erkennt sie an der 'Schönheit der individuellen Gestalt', die Hartmut von Hentig dem 'Ideal der Einheitlichkeit' entgegensetzt."

(Hartmut von Hentig, zitiert von Reinhard Kahl)

 

Was lebendige Schulen sind, konnte ich in den vergangenen Jahren immer wieder bewundern, denn der Vorsatz mindestens einmal im Jahr eine pädagogische Reise zu unternehmen wird an unserer Schule seit 13 Jahren mit wachsender Selbstverständlichkeit und zunehmend vom ganzen Kollegium umgesetzt. Auf diese Weise waren wir in der nächsten Umgebung aber auch in ganz Deutschland, Europa und auf dem amerikanischen Kontinent unterwegs. So unterschiedlich die vielen Schulen waren, die wir auf diesen Reisen kennen gelernt haben, hatten sie doch alle mindestens drei Gemeinsamkeiten:

  • ein respektvolles Schulklima
  • eine sorgfältig und ästhetisch vorbereitete Lernumgebung und
  • eine ausgeprägte und inspirierende Zusammenarbeit unter den Erwachsenen.

Mit diesen drei Prämissen ist es offenbar möglich auch einer Institution ein ganz persönliches Gesicht zu verleihen. Wie aber vollzieht sich der Prozess in dem eine Schule zu einem guten Schulklima oder zu einer Schönheit in der Lernumgebung und zur Zusammenarbeit der Erwachsenen kommt?
Unsere genaueren Nachfragen haben ergeben, dass die jeweilige Schulgeschichte von Höhen und Tiefen geprägt wurde und, was uns immer wieder begegnete, es die Störungen, die Hindernisse, die Schwierigkeiten und vor allem die vermeintlichen Fehler waren, die zu neuen Entwicklungsstufen geführt haben.
?Das, was stört, hilft der Sache, überhaupt entstehen zu können.?
Dieser Ausspruch von zwei Schülern, die in einem Symposium über ihre erfolgreiche naturwissenschaftliche Forschungsarbeit zu Energiebilanzen im Wettbewerb ?Jugend forscht? 2006 berichteten, passt dazu. Dass Störungen wichtig sind, oder wie wir es in Fortbildungen gelernt haben, ?Vorfahrt? haben, ist bekannt. Dass sie aber einer Sache, einem System, einer Verbindung erst zur Existenz verhelfen, war mir neu. Aufmerksam habe ich die Experimente der Schüler nachzuvollziehen versucht, ihre Ausführungen über potentielle und kinetische Energie und das Erhaltungsgesetz der Energie und zum Schluss wieder ihre Erkenntnis, dass die Störung das ?Antriebsmoment? ist.
So verstanden, ist die ?Schönheit der individuellen Gestalt? sowohl bei Einzelpersonen als auch bei Institutionen auch das Ergebnis eines mehr oder weniger geglückten Umgangs mit Widerständen, die vor allem in der Ablösung vom ?Ideal der Einheitlichkeit? bestehen.
Unsere letzte Reise führte uns nach Bayern, wo sich 37 KollegenInnen auf drei verschiedene Schulen verteilten um u.a. zu schauen, wie dort zu Mittag gegessen wird. Auch hier konnten wir wieder viel über die Fülle der vorhandenen Möglichkeiten lernen: Wenn z.B. jeder sich aus Schüsseln selber bedient, gibt es kaum noch Abfall, oder wenn man weiße Tischdecken auflegt, wird nicht mehr gekleckert und das laute Geklapper gedämmt. Womit wir beim nächsten bedeutungsvollen Thema für die Entwicklung ?der Schönheit der individuellen Gestalt? wären, den so genannten und oft verkannten Kleinigkeiten ... 

 

Vita Ulrike Kegler

  • geboren 1955 in Hemer (NRW)
  • verheiratet, drei erwachsene Söhne
  • Schulausbildung in Berlin
  • Lehramtsstudium (Kunst und Politik) an der Universität Oldenburg (einphasige Lehrerausbildung, Projektstudium)
  • ab 1980 Lehrerin in Oldenburg
  • ab 1982 bis 1993 in Berlin Zehlendorf
  • Wechsel nach Potsdam an die Karl-Liebknecht Gesamtschule, Eröffnung der ersten Montessori-Klasse
  • seit 1995 Schulleiterin der Montessori-Schule, die 2007 mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet wurde

Redaktionell verantwortlich: Ralf Dietrich, LISUM