Zitat September 2008

Zitat September 2008

Zitat September 2008

"Sollen wir es also so leicht hingehen lassen, dass die Kinder ganz beliebige Märchen und von ganz Beliebigen erfundene anhören und so in ihre Seele Vorstellungen aufnehmen, meistenteils denen entgegengesetzt, welche sie, wenn sie erwachsen sind, unserer Meinung nach werden haben sollen? - Das wollen wir keineswegs hingehen lassen. Zuerst also, wie es scheint, müssen wir Aufsicht führen über die, welche Märchen und Sagen dichten, und welches Märchen sie gut gedichtet haben, dieses einführen, welches aber nicht, das ausschließen." 

Platon*

 


Ich habe dieses Zitat sehr häufig in medienpädagogischen Referaten und Publikationen genutzt, weil es sehr anschaulich das Problem von Freiheit der Kunst einerseits und gesellschaftlicher Verantwortung andererseits zeigt.
Es passt in unsere Debatten um Gewalt in den Medien und um deren Erforschung, um Wirkungsvermutungen und -belege, um den Jugendmedienschutz und um Medienkompetenz.

Ein anderes Zitat, das andere und ich ebenfalls gern verwendet haben: "Die Jugend liebt heute den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor älteren Leuten und plaudert, wo sie arbeiten sollte", wurde zwar immer Sokrates zugeschrieben, diese Zuschreibung konnte aber nicht belegt werden.

Diese Verweise auf Sokrates (nicht belegt, belegt ist aber, dass Sokrates eine Art "Generationskonflikt" beklagte) und Platon machen für mich zwei Probleme deutlich:


1. scheint es leicht, mit historischen Zitaten aktuelle Probleme zu beschreiben und gleichzeitig von den neuen Dimensionen der Problemlagen abzulenken;

2. Erziehungskonzepte haben sich seit Sokrates und Platon verändert, die Probleme scheinen aber ähnlich geblieben.


Was heißt deswegen heute: "Aufsicht führen" und was heißt heute "das (nicht gut gedichtete) ausschließen"?
"Aufsicht führen": Gesetze und Verordnungen (z.B. Jugendmedienschutz-Staatsvertrag), Vereine, Gremien und Kommissionen (z.B. KJM [1], FSF [2], FSM [3], FSK [4], Rundfunkräte [5]), sowie staatliche Einrichtungen (z.B. Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften) und natürlich Pädagoginnen und Pädagogen und nicht zuletzt Eltern sein.
Die hier beispielhaft genannten "Aufsicht führenden" können dies allerdings mit sehr unterschiedlicher Relevanz für die beaufsichtigten Medienproduzenten tun. Wobei sich diese Unterschiedlichkeit aus den differenzierten "Ausschlussmöglichkeiten" und damit auch aus den unterschiedlichen Konsequenzen solcher Ausschlussversuche für die Produzenten ergibt. (Die FSK, die FSF und die FSM können zum Beispiel gleichermaßen Altersgrenzen für bestimmte Angebote festlegen. Deren Durchsetzungsmöglichkeiten sind aber im Kino weit effektiver durchsetzbar als im Fernsehen oder im Netz.) Für den Produzenten eines Kinofilms kann ein bestimmtes Altersprädikat zu erheblichen Verlusten an der Kinokasse führen, während ein Fernseh- oder Spieleproduzent in der Regel davon weit weniger betroffen ist.
Deswegen muss m.E. die Gesellschaft auch stärker als bisher die Entwicklung medienkompetenter Kinder und Jugendlicher fördern, weil die Kinder und Jugendlichen in den modernen Mediengesellschaften nicht wirklich wirksam vor für sie falschen (ihre Entwicklung beeinträchtigenden) Angeboten geschützt werden können. Allerdings müssen für die dann medienkompetenten Kinder und Jugendlichen auch ausreichend qualitativ hochwertige Medienangebote zur Verfügung stehen.

 


* Platon: antiker griechischer Philosoph aus Athen (geboren 428/427 v. Chr. in Athen oder Aigina, gestorben 348/347 v. Chr. in Athen); mehr zu Platon bei Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Platon

[1] KJM: Kommission für Jugendmedienschutz, Homepage: www.kjm-online.de

[2] FSF: Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen, Homepage: www.fsf.de

[3] FSM: Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter, Homepage: www.fsm.de

[4] FSK: Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft, Homepage: www.fsk.de

[5] Rundfunkräte: z.B. rbb-Rundfunkrat

Vita Dieter Wiedemann

  • 1946 geboren in Liebschitz (CSR)
  • 1952-1964 Schulbesuch und Abitur in Suhl (Thüringen)
  • 1967-1975 Studium der Dramaturgie und Theaterwissenschaft; der Filmwissenschaft und der pädagogischen Psychologie in Leipzig und Potsdam (Diplome in Dramaturgie und Pädagogik ? Pädagogische Psychologie)
  • 1971-1989 Tätigkeit im Zentralinstitut für Jugendforschung in Leipzig
  • 1980 Promotion zum Dr. phil. und 1988 Habilitation (jeweils zu Themen der Film- bzw. Kunstwirkungsforschung)
  • seit 1990 Tätigkeit an der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) "Konrad Wolf"
  • bis 1992 Direktor des Instituts für Medienforschung
  • 1993 Gründungsbeauftragter des Studiengangs "AV-Medienwissenschaft"
  • 1995 Berufung zum Professor für "AV-Medienwissenschaft"
  • seit 1995 Rektor bzw. Präsident der HFF
  • Mitglied diverser nationaler und internationaler Akademien, Kuratorien, Beiräte und Jurys

Redaktionell verantwortlich: Ralf Dietrich, LISUM