Lesen ist Konstruktion von Bedeutung
Wahrnehmen und Verstehen von Texten werden als konstruktive, wissensgesteuerte Prozesse aufgefasst. Zum einen verlaufen sie textgeleitet aufsteigend (bottom up) und zum anderen wisssensgeleitet absteigend (top down). Beide Prozesse stehen in Wechselbeziehung. Lesen ist demnach ein interaktiver Prozess, der "top-down" durch (Vor)Wissen, Vermutungen und Ziele gesteuert wird. Umgekehrt wird dieser Einsatz von Wissen "bottom-up" durch die Erfassung der sprachlichen Daten (Buchstaben, Wörter, Sätze...) bestimmt. Der Leser (re)konstruiert in Abhängigkeit von seinem (Vor)Wissen, seinen Vermutungen, seinen Zielen und Erwartungen die Bedeutung eines Textes.
Bei diesem komplexen Vorgang laufen gleichzeitig verschiedene Teilprozesse ab, die die Buchstaben-, Wort-, Satz- und Textebene betreffen. Auf der unteren Ebene werden die Buchstaben und Wörter erkannt und einzelne Wortbedeutungen erfasst. Auf der nächsten werden semantische und syntaktische Relationen innerhalb der Sätze und zwischen ihnen hergestellt. Auf der folgenden Ebene werden Sätze satzübergreifend zu Bedeutungseinheiten integriert. Darauf aufbauend wird eine individuelle kohärente mentale Repräsentation des Gelesenen entwickelt, die zum persönlichen (Vor)Wissen in Beziehung gesetzt und mit ihm abgeglichen wird.
Nach diesen Erkenntnissen muss man sich von der Auffassung vom rein dekodierenden, "sinnentnehmenden" Leser verabschieden. Vielmehr ist der Leser ein "Bedeutungsstifter", der beim Lesen Bedeutung (Sinn) selbst "herstellt". Die Verstehensleistung ist eine individuelle Konstruktionsleistung des Lesers.
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Redaktionell verantwortlich: Anett Frohn, LIBRA
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