
Die Kommentare der Zeitungen zur Machtübergabe 1933
Quelle 1: Vorwärts!
Das nationale Deutschland dankt seinen Führern Hitler, Hugenberg und Seldte für die Entschlußkraft [...] Andere Regierungen mögen Mehrheiten gehabt haben, die durch parteipolitische Kompromisse materieller Art zustande kamen. Dieser Regierung bringen die Menschen der nationalen Bewegung ihren zu Opfer bereiten Idealismus einer Gefolgschaft entgegen. Diese Regierung besitzt das Kostbarste, was die deutsche Nation zu geben vermag, den Glauben der nationalbewußten Deutschen an die Wiedergeburt von Staat und Nation [...] Die neue Reichsregierung wird schnell und rücksichtslos handeln, um alle Sabotageversuche, die von dem Novembersystem gegen sie sicher angesetzt werden, im Keime zu ersticken. Kein Zögern darf den Eindruck der Kraft, den diese Regierung nach ihrer Idee und nach ihrer Gefolgschaft besitzt, zweifelhaft erscheinen lassen. In der neuen Reichsregierung ist alles zusammengefaßt, was grundsätzlich das parlamentarische System ablehnt.
Zitiert aus: Der Tag, 31. Januar 1933, Anmerkung: Scherl Verlag: Jerusalemer Straße
Quelle 2: Es ist erreicht
Man müßte das deutsche Volk beklagen, aber mit Klagen und Jammern schafft man die Tatsachen nicht aus der Welt. Daß man Hitler einmal die Regierung überlassen werde, und daß das deutsche Volk auch noch durch eine solche Periode hindurch müsse, mit diesem Gedanken haben sich allmählich auch die Widerstrebenden vertraut gemacht […] Diese Regierung muß, wie jede andere, eine parlamentarische Mehrheit haben, und sie muß verschwinden oder sofort zu Neuwahlen schreiten, wenn sie die in der Verfassung vorgeschriebene Zustimmung der Mehrheit nicht erlangt [...] Ein Kabinett, in dem Leute sitzen, die seit Wochen und Monaten verkündet haben, alles Heil – gemeint war das ihrige – liege im Staatsstreich, im Verfassungsbruch, in der Beseitigung des Reichstages, in der Knebelung der Opposition, in der unbegrenzten diktatorischen Gewalt [...] Inzwischen wird, auch ohne offenen Staatsstreich, gewiß alles irgend Mögliche unternommen werden, um die Gegner einzuschüchtern und mundtot zu machen, die S.S.* und die S.A.* zu befriedigen [...] Das Verbot der Kommunistischen Partei steht längst auf dem Programm (...) Um die Pressefreiheit, von der die Nationalsozialisten immer so kräftig Gebrauch gemacht haben, dürfte es wohl besonders übel stehen […] Was aus der wirtschaftlichen Erholung werden wird, erscheint dunkel wie der Rest […] Mag sein, daß man eine stille Gefügigkeit, daß man in diesem Lande, das stolz war auf die Freiheit des Denkens und des Wortes, jede freimütige Regung niederhalten wird. Es gibt eine Grenze, über die hinweg Gewalt nicht dringt. Ja, man hat an einem Tage viel erreicht, man wird gewiß noch mehr erreichen, aber man wird nicht verhindern, daß in einem großen Volke seelischer und geistiger Widerstand wächst und wartet, seinem eigenen Tage entgegenstrebt. Das hat noch niemals eine Reaktion erreicht, und das wird man durch keine Mittel des Zwanges erreichen können.
Zitiert aus: Berliner Tageblatt, 31. Januar 1933; Anmerkung: Mosse Verlag: Schützen- /Ecke Jerusalemer Straße
Quelle 3: Der Sprung
Hindenburg hat Hitler ernannt […] In einem Augenblick schärfster sozialer Spannungen, die nur durch den sorglichsten und schonendsten Ausgleich der widerstrebenden Kräfte erträglich gemacht werden können, wird ein Kurswechsel vollzogen, der als Kampfansage wirken muß. Die Gegensätze, die zwischen den Trägern des neuen Regimes klaffen, verstärken das Unbehagen, den Zweifel, die Sorge um die nächste Zukunft […] Mit fast unerträglicher Spannung wartet das Volk, daß schnell und überzeugend durch Taten das Mißtrauen gemildert, die verzweifelte Sorge um Staat und Wirtschaft beruhigt wird. Hindenburg hat Hitler betraut. Die Zeichen stehen auf Sturm.
Adolf Hitler hat sein Ziel nicht voll erreicht. Er zieht in die Wilhelmstraße nicht als Diktator ein, der kein anderes Gesetz kennt und gelten lassen muß als seinen Willen. Es ist kein Kabinett Hitler, sondern eine Regierung Hitler-Papen-Hugenberg, in vielem innerlich gegensätzlich, aber sicherlich einig darin, den völligen Bruch mit dem Bisherigen zu vollziehen. Ein gefährliches Experiment, das man nur mit tiefster Sorge und schärfstem Mißtrauen begleiten kann.
Zitiert aus: Vossische Zeitung, 30. Januar 1933; Anmerkung: Ullstein Verlag: Kochstraße
Quelle 4: Triumph der Zähigkeit
Eine Stunde historischer Bedeutung [...] Das neue Kabinett wird sofort und unverzüglich eine Reihe dringend notwendiger Notstandmaßnahmen durchführen. Eine umfassende Nationalisierung des gesamten Volkslebens wird dafür Sorge tragen, daß diese Bemühungen um den Wiederaufstieg des deutschen Volkes die notwendige seelische Bereitschaft in den Massen der Bevölkerung finden [...] Wir [...] können das Ausmaß des Errungenen kaum fassen. Wir, die wir den November 1918 nach Jahren beispiellosen Ringens an uns vorüberziehen sahen, wir wissen, daß nun die Schmach dieses fürchterlichen Verbrechens am deutschen Volke endlich nach 14 Jahren unnennbarer Leiden endgültig ausgetilgt werden soll. Wie oft hatten in allen den vergangenen Jahren unsere Gedanken nur dem einen Ziel sich zugewandt, an dessen Schwelle wir nun ahnend stehen: die Geschicke der deutschen Politik wieder in den Händen eines wahrhaften und wehrhaften Deutschen zu wissen. Nun hat das deutsche Volk sich wieder auf sich selbst besonnen. Die Schatten der Schmach, der Verelendung und des internationalen Wahnsinns beginnen zu weichen. Ein neuer Morgen geht an [...] Wir grüßen den Führer!
Zitiert aus: Der Angriff, 30. Januar 1933; Anmerkung: NSDAP-Parteiverlag Frz. Eher Nachf.: Zimmerstraße 86-89
Quelle 5: War das Berlin?
Das große Berlin, das Berlin der Arbeit, das rote Berlin hatte an der Parade (Fackelzug am 30. Januar 1933; C.H.) keinen Anteil, aber es verfolgt die leiseste Regung reaktionären Geistes der augenblicklichen Gewalthaber mit gespanntester Aufmerksamkeit. Das Volk sieht nichts von der sogenannten Volksgemeinschaft, aber es sieht die reaktionäre nationale Konzentration, in der es [...] Hugenberg endlich gelungen ist, den Führer der desparaten Nationalsozialisten vor seine quietschende Parteikarre zu spannen [...] Die Männer, die heute so regieren wollen, suchten noch gestern die Notwendigkeit eines staatsstreichlerlischen ‚Staatsnotstandes’ nachzuweisen. So tönte (am 30. Januar 1933; C.H.) die unzweideutige Kriegserklärung der Arbeitnehmerverbände aller Richtungen in den Ohren [...] Was den 30. Januar zu einem historischen Tag erster Ordnung stempelt, ist nicht die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler [...], sondern der unter den Provokationen der Reaktion sich vollziehende Zusammenschluß der Arbeiterklasse.
Zitiert aus: Vorwärts, 1. Februar 1933; Anmerkung: Vorwärts Verlag (SPD), Lindenstraße 3
Quelle 6: Das versprach euch Hitler!
Jetzt, ihr Herren aus den ‚braunen’ Häusern, bekennt Farbe! Die Werktätigen der NSDAP, jetzt fragt Hitler, fordert Antwort. Wird Hitler...
- den Versailler Schandvertrag zerfetzen? [...]
- den Millionen hungernder Erwerbslosen, den Millionen jugendlicher Arbeiter Arbeit zu vollem Tariflohn verschaffen? [...]
- die Kapitalisten bei Androhung der Zuchthausstrafe zwingen, keinen Betrieb mehr stillzulegen, keine weiteren Entlassungen vorzunehmen? [...]
- den kleinen Inflationsgeschädigten ihre Sparpfennige auf Kosten der Kapitalisten zurückerstatten? (...)
- die für die Armen unerschwinglichen Mieten herabsetzen? [...]
- die Börsen schließen, die Banken entschädigungslos verstaatlichen, die Zinsknechtschaft brechen, das ‚raffende Kapital der Finanzjuden’ enteignen? [...]
- die Höchstgehälter [...] in der Privatindustrie, im Staat, in der Kommune herabsetzen auf 600 Mark monatlich in der Spitze?
Wir sagen es heute schon den werktätigen Wählern der NSDAP, sie werden das Gegenteil von dem tun, was sie versprochen haben.
Zitiert aus: Die Rote Fahne, 1. Februar 1933, (KPD)
Quelle 7: Die neue Regierung
Ernst und besorgt blicken die deutschen Juden in die Zukunft. Es hat keinen Sinn, sich über die Gefahren hinwegzutäuschen, die darin liegen, daß die führenden Männer einer Partei, die den Kampf gegen die Juden auf ihre Fahne geschrieben haben, nun die deutsche Politik beherrschen. Auch in dieser Zeit werden die deutschen Juden ihre Ruhe nicht verlieren, die ihnen das Bewußtsein untrennbarer Verbundenheit mit den wirklich Deutschen gibt. Weniger denn je werden sie ihre innere Haltung zu Deutschland von äußeren Angriffen, die sie als unberechtigt empfinden, beeinflussen lassen. Viel zu tief ist in ihnen das Bewusstsein verwurzelt, was für sie der deutsche Lebensraum bedeutet. Dieses Bewußtsein und nicht zuletzt die Tatsache ihrer Leistungen für Deutschland, geben den deutschen Juden heute Kraft und Halt. Ihr Kampf um Recht und Ehre wird getragen von einem gesteigerten jüdischen Verantwortungsgefühl, das heute jeder einzelne empfinden und bestätigen muß. In dieser Gesinnung wissen die deutschen Juden sich nach wie vor einig mit der überwiegenden Mehrheit des deutschen Volkes. Das Vertrauen auf den endlichen Sieg der Wahrheit und der Vernunft.
Der Centralverein wird von seinem Kampf um das Recht der deutschen Juden nicht ablassen […] Nur aufrechtes Bekenntnis zu unserem wahren Wesen, unbedingte Mannhaftigkeit und stärkster Nachdruck in der Selbstbehauptung dessen, was wirklich deutsch und wirklich jüdisch ist, wird dem heute lebenden Geschlecht der deutschen Juden Anspruch geben, vor der Geschichte zu bestehen. Möge diese Entscheidungsstunde für die deutsche Judenheit ein würdiges Geschlecht finden.
Zitiert aus: CV-Zeitung, 2. Februar 1933; Anmerkung: Philo Verlag, Emser Str. 42, ehemals: Lindenstr. 13
Quelle 8: Regierung Hitler
Wir stehen als Juden vor der Tatsache, daß eine uns feindliche Macht die Regierungsgewalt in Deutschland übernommen hat. Wer ein Gefühl für die Realität hatte und sich nicht durch die Beschwichtigungen der liberalen Presse, die immer wieder einen Zerfall der nationalsozialistischen Bewegung zu sehen glaubte, beirren ließ, konnte sich freilich keiner Täuschung darüber hingeben, daß die in den großen nationalsozialistischen Wahlerfolgen zutage tretende politische Umgruppierung und geistige Umstellung des deutschen Volkes früher oder später auch in der Zusammensetzung der Regierung ihr Widerspiel finden müsse.
Der Nationalsozialismus ist eine judenfeindliche Bewegung, er ist programmatisch in einem Maße antisemitisch, wie es noch keine Partei war, er verdankt der skrupellosen Judenhetze einen großen Teil seiner agitatorischen Erfolge. Dies konnte uns aber niemals hindern, die Tatsache anzuerkennen, daß der Nationalsozialismus eine entscheidende Kraft im deutschen Volk geworden ist, die gering zu schätzen irrig wäre [...]
Die deutschen Juden, denen die neue Wendung nicht unerwartet kommen kann, haben ihre innere Ruhe und Würde zu wahren. Es ist selbstverständlich, daß das deutsche Judentum sich gegen jeden Versuch der formalen und tatsächlichen Entrechtung und Depossedierung mit allen Mitteln und aller Energie zur Wehr setzen wird. Diesen Kampf kann nur ein Judentum führen, das von unbeugsamen Stolz auf sein Volkstum erfüllt ist. Mit Versuchen der Anpassung und Selbstverleugnung ist es vorbei. Die deutschen Juden, die den falschen Parolen ihrer Führer von gestern vertraut haben, und sich dem Glauben an fortschreitende Besserung durch „Aufklärung“ hingaben, verlieren den Boden unter den Füßen. Angesichts der geschaffenen Bedingungen muß das deutsche Judentum mehr als bisher sich zur Selbsthilfe zusammenschließen [...]. Das jüdische Volk ist der Träger unvergänglicher Werte, der Fortsetzer einer unvergänglichen Geschichte. In Zeiten der Gefahr und in Zeiten der Not gilt es, sich diese Tatsache mit aller Kraft ins Bewußtsein zu rufen.
Zitiert aus: Jüdische Rundschau, 31. Januar 1933; Anmerkung: Jüdische Rundschau GmbH, Meinekestraße 10
Redaktionell verantwortlich: Dr. Uwe Besch, LISUM
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