Karl Marx:

Karl Marx:

"Alles kritisieren!"

... kommentiert von Dennis Janiszewski

"Alles kritisieren" - das wirkt zunächst wie ein fader Ausspruch, zwei kleine Wörter, eine simple Anweisung. Aber in Wahrheit ist es vielmehr: Diese zwei Wörter haben die Sprengkraft einer Atombombe, was die Gesellschaft, was scheinbar sichere Fakten oder den planmäßig ablaufenden Unterricht an Schulen angeht. Was zu dem Bild der Atombombe im Gegensatz steht, ist der Fakt, dass man tatsächlich fast alles ganz konstruktiv infrage stellen kann. Es macht an vielen Stellen Sinn.

Für mich haben jene Worte spätestens dann an Bedeutung gewonnen, als ich im Unterricht ein Referat über den Kommunismus-Begründer Marx und dessen Theorien halten musste. Nicht dass ich seitdem Lobeshymnen auf den Sozialismus singe oder an jeder Ecke einen Klassenkampf hineininterpretiere, aber ich fand es interessant, die Welt mal aus einer anderen Sicht zu sehen, aus der vermeintlich "antiimperialistischen". Ist die Welt wirklich so gerecht, wie sie erscheint? Kann man nicht irgendwo helfen? Entweder mit einem kleinen moralischen Pflaster, mit einer kleinen Spende für Arme oder vielleicht mit einem "Hey, kann ich dir helfen?"
Je näher ich mich damit auseinandersetzte und Lösungen für die Probleme in den Marx'schen Theorien suchte, bemerkte ich auch, wie meine Freunde die Stirn runzelten und mich als "Kommunisten" brandmarkten. Sei's drum. Ich fand es gut genug, mal eine andere Sichtweise einzuschlagen, nicht das hinzunehmen, was mir vorgesetzt wird, sondern nachzufragen, zu protestieren oder stur das Gegenteil vom Gesagten zu tun, einfach um zu sehen, was passiert. Das Selbstbewusstsein und eine gewisse Abgebrühtheit kommen dann von selbst.
Seit diesem Tag, diesem Vortrag, stehe ich mit der Welt ein klein wenig auf Kriegsfuß. Mein Schwert ist die Sprache geworden, Vorträge, in denen ich meine Meinung darlegen soll, versetze ich mit Polemik und Ironie, bleibe aber stets bei den Fakten.
Der Erfolg ist überwältigend. Solang man mit der Kritik einigermaßen bodenständig bleibt, aber doch unfassbare Fakten ans Tageslicht fördert, wird man gefeiert. Es bedarf zwar, wie gesagt, einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein, aber hat man das erstmal, kann man damit reich und berühmt werden.

Schade finde ich persönlich, dass man das nicht so oft in der Schule sieht. Man muss ja nicht ständig an einem falsch gesetzten Komma rummäkeln, aber wenn jemand z.B. permanent der Marktwirtschaft seinen Segen gibt, darf man doch mal fragen und mahnen, ob das überhaupt immer das richtige Mittel ist: hohe Arbeitslosenzahlen, Nullrunden bei Renten und mageres Wachstum beim Bruttosozialprodukt sprechen da eine andere Sprache.
Die meisten stecken da nur den Kopf in den Sand bzw. in den Block und schreiben munter mit, anstatt zu diskutieren. Ist es da nicht viel schöner einmal eine Polemik zu verfassen, ein Pamphlet oder einen zünftigen Essay? Das zu kritisieren, was man für falsch hält bzw. was der deutlichen Ausbesserung bedarf, ist nicht nur das Recht eines jeden Schülers, auch seine vielleicht nervtötende, besserwisserische Pflicht. Das fängt bei "Sapere Aude" an und hört bei "Alles kritisieren" auf. Ohne Kritik und ohne offene Aussprache verkommt eine Diskussion zum abgestumpften Nicken und Kritzeln.

Wahrscheinlich muss man da in die Zeit von Schiller, Goethe, Heine, Marx und Engels eintauchen, um mal ein bisschen inspiriert zu werden. Heine besticht da am meisten mit seiner Offenheit und den Kontroversen, die er dem Zeitgeist lieferte und mit wunderbar formulierten Pointen untermauerte.

Das Zitat von Marx ist gar nicht so fern von Heine und auch nicht so fern von Deutschland im 21. Jahrhundert. Kritik am "irdischen Jammertal" ist sehr wohl angebracht, genauso am schwächelnden Schüler und am (ver-)planenden Lehrer; beide können aus dem Winterschlaf aufwachen. Ein bisschen mehr Action und die Schule macht auch wieder Spaß. Man kann ja z.B. die Unterrichtsart des Lehrers anprangern, das wühlt bestimmt gehörig Staub auf.

Redaktionell verantwortlich: Ralf Dietrich, LISUM