Zitat Oktober/November 2018

Zitat Oktober/November 2018

Jennifer Stucki

 

  • 16.01.1984 in Ludwigsfelde geboren
  • aufgewachsen in einigen Bezirken Berlins
  • Mutter eines Neunjährigen
  • Salsera 
  • seit dem 01.06.2018 über den Jugendmigrationsdienst Teltow-Fläming beim Gemeinschaftswerk Niedergörsdorf e.V. angestellt
  • arbeitet im Modellvorhaben "Jugendsozialarbeit an Schulen – Respekt Coach" und führt in Kooperation mit einer Schule u.a. primärpräventive Gruppenangebote zur Vermeidung von Radikalisierungen durch
  • war vorher an einer Neuköllner Grundschule in der schulbezogenen Jugendsozialarbeit tätig
  • Studium der Erziehungs- und Bildungswissenschaften an der FU Berlin, Sozialpädagogin, im früheren Berufsleben Immobilienkauffrau

 

"Argumente polarisieren – Erzählungen verbinden." (Harald Weilnböck auf der Fachtagung "Extremismus und Populismus – Jugendsozialarbeit zeigt Rückgrat" in Berlin am 24.09.2018)

Harald Weilnböck referierte im Zuge der Fachtagung "Extremismus und Populismus – Jugendsozialarbeit zeigt Rückgrat" in Berlin am 24.09.2018 über Prinzipien guter Praxis von Extremismusprävention als phänomenübergreifenden Präventionsansatz. 

Eines dieser Prinzipien ist, dass narrativ-erzählende Ansätze in der sozialen Gruppenarbeit als Ausdruck von biographischen Erfahrungen vor argumentativen Ansätzen, Debatten oder Diskussionen vorzuziehen sind. Andere Prinzipien sind u.a. Beziehungsarbeit, strukturelle Voraussetzungen, Vertraulichkeit, Freiwilligkeit, Steigerung der emotionalen Kompetenz, Prozessoffenheit (vgl. Uhlmann, Weilnböck 2017).

Das hebt von allen Prinzipien für mich den wichtigsten Aspekt für die Legitimation und Ausgestaltung meiner präventiven Gruppenangebote hervor, mit denen ich Radikalisierungen vorbeugen möchte. Denn man glaubt zu gern, dass man mit den besseren Argumenten überzeugen oder dass eine ausreichende Information über Radikalisierungsprozesse Hinwendungen zu einer menschenfeindlichen Haltung verhindern könne. Dabei ist die Wirkung des Versprechens nach Zugehörigkeit - neben anderen - wesentlich mächtiger. Das Anführen von Argumenten, warum es schlecht sei, so oder so zu denken und zu handeln, wirkt bei Menschen eher herausfordernd und polarisierend, der Zugang über persönliche Erfahrungen hingegen verbindend. Die Wahrnehmung auf emotionaler Ebene hervorzuheben, bürgt wesentlich mehr Potential:

Menschen, die sich radikalisierten und wieder einen Weg zurück fanden, erzählen persönlich von ihren Erlebnissen und Erfahrungen im Leben und beschreiben den Prozess und die Umstände ihrer Radikalisierung. Somit werden die einzelnen Aspekte und Ebenen emotional erfahrbar. Die Zuhörenden werden auf einer mitfühlenden Ebene angesprochen und sind eingeladen, Nachfragen zu klären und selbst von ihren Erfahrungen zu berichten. Fällt es doch leichter, von seinen eigenen Erlebnissen zu sprechen, wenn schon jemand mit seiner Offenheit den Raum dafür geschaffen hat. Der gemeinsame Austausch auf der emotionalen Ebene ebnet Vertrauen zu anderen und fördert die soziale Teilhabe in der Gruppe (auch für die Erzählenden). Man fühlt sich wahrgenommen und angenommen, wie man ist - mit seinen Gefühlen und Befindlichkeiten. Damit setzt dieses pädagogische Setting ebenfalls Impulse zur Selbstreflektion. Wie ist es mir mit ähnlichen Begegnungen oder Erfahrungen gegangen? Warum bin ich einen anderen/ähnlichen Weg gegangen? Damit sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sich Jugendliche für menschenverachtende Ideologien instrumentalisieren lassen, und es wird das Bewusstsein ihres Selbst als entwicklungsspezifische Aufgabe in der Adoleszenz gefördert.

Einerseits möchte ich den Jugendlichen zeigen, dass es wichtig ist, Menschen nicht aufgrund ihrer Meinungen, Handlungen oder Lebensumstände (oder Herkunft, oder …) ungleich zu behandeln und zu verurteilen, sondern offen zu bleiben für einen authentischen Austausch. Andererseits möchte ich sie dafür sensibilisieren, wie überraschend nachvollziehbar und schleichend sich Jugendliche hin zum Extremismus entwickeln.

Die Resilienzforschung zeigt, dass schon eine verlässliche Bezugsperson im Umfeld eines gefährdeten Jugendlichen Risikofaktoren verringert. Also schauen wir hin, bleiben wir für die Jugendlichen zugänglich und machen wir uns auf den Weg!

 

Quelle: Uhlmann, Weilnböck (2017): Zum internationalen Stand der Extremismusprävention in Europa – Ansätze und Erfahrungen: 20 Prinzipien guter Praxis, http://cultures-interactive.de/tl_files/publikationen/Fachartikel/2017_Thesenpapier_Tagung%20bpb-lpb%20Mannheim_20-Prinzipien-guter-Praxis.pdf, (abgerufen am 28.09.2018)

Link zur Veranstaltung: https://bagoert.de/366.html?&L=0und&cHash=7b4af3eb83997bf112c1b3a44aaf3893&tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Bnews%5D=109, (abgerufen am 28.09.2018)

weiterführende Literatur: http://cultures-interactive.de/de/fachartikel.html, (abgerufen am 28.09.2018)


Jennifer Stucki ist seit dem 01.06.2018 über den Jugendmigrationsdienst Teltow-Fläming beim Gemeinschaftswerk Niedergörsdorf e.V. angestellt. Sie arbeitet im Modellvorhaben "Jugendsozialarbeit an Schulen – Respekt Coach" und führt primärpräventive Gruppenangebote zur Vermeidung von Radikalisierungen durch.

 

Redaktionell verantwortlich: Ralf Dietrich, LISUM