Der Ullstein Verlag vor 1933 – ein jüdischer Verlag?
von Christoph Hamann
Der Aufstieg
Zunächst kennzeichnen Umwege und dann erfolgreiche Geschäftsideen den Aufstieg Ullsteins zum Mediengiganten in Deutschland vor 1933. Am Beginn seiner Karriere handelte Leopold Ullstein (1822-1899)* mit Papier. Dieses ließ sich gewinnbringender verkaufen, wenn es bedruckt war. Also erwarb er 1877 eine Druckerei. Seinem politischen Interesse war geschuldet, dass er auch bestimmen wollte, was auf das Papier gedruckt wurde: Ein Jahr später gründete Ullstein sein Verlagshaus in der Kochstraße in Berlin-Kreuzberg. Bis 1933 wuchs das Unternehmen zu einem der größten Verlagshäuser in ganz Europa heran – rund 10000 Mitarbeiter waren zeitweise beschäftigt. Der Verlag gründete die heute noch erscheinenden Zeitungen Berliner Morgenpost* (ab 1898) und die B.Z. am Mittag* (ab 1904). Mit dem Boulevardblatt B.Z. am Mittag, das für fünf Pfennige im Straßenverkauf vertrieben wurde, konnte Ullstein die Druckmaschinen zwischen den Morgen- und Abendblättern besser auslasten. Durch den umfassenden Einsatz von Fotografien wurde die Wochenillustrierte Berliner Illustrierte Zeitung* (1891-1945) außerordentlich wichtig für den Bildjournalismus in Deutschland. Im Ullstein Buchverlag (seit 1903) veröffentlichten so namhafte Autoren wie Bertolt Brecht*, Lion Feuchtwanger*, Heinrich Mann*, Erich Maria Remarque (1928: Im Westen nichts Neues)* und Carl Zuckmayer (1931: Der Hauptmann von Köpenick)*. Ein markantes Zeichen seines wirtschaftlichen Erfolges setzte der Verlag 1926/27 mit dem Bau des Ullstein Druckhauses, das heute noch ein Wahrzeichen im Berliner Bezirk Tempelhof am Teltowkanal ist.
Arbeitsanregungen
Antisemitische Angriffe
In den 1920er-Jahren war Ullstein ein bevorzugtes Ziel nationalsozialistischer Angriffe. Dies hat auch mit der politischen Haltung des Verlages zu tun: Er unterstützte die Weimarer Republik als erste Demokratie auf deutschem Boden. Den Antisemiten* galt das Haus Ullstein als Verkörperung der sogenannten „Judenpresse“. Die Verlagsgebäude in der Kochstraße bekamen den Namen „Rotations-Synagogen“, das Ullstein-Blatt Tempo den Beinamen „Die jüdische Hast“. Mit Publikationen wie z. B. Der jüdische Zeitungspolyp (1926) oder Die Presse als Machmittel Judas (1930) wollten die Antisemiten ihre Ideologie verbreiten. Jüdisch war der Verlag aber nur im Sinne der Nationalsozialisten. Schon um die Jahrhundertwende waren drei der fünf Ullstein-Brüder aus der jüdischen Gemeinde ausgetreten. Der Verlag selbst vertrat in seinen Publikationen keine jüdischen Belange.
Wie reagierte das größte deutsche Zeitungsunternehmen am Ende der Weimarer Republik zuzeiten der Weltwirtschaftskrise ab 1929 auf die Angriffe von rechts? Um die Auflagenhöhen der Ullstein-Blätter nicht zu gefährden, beschloss die Verlagsleitung, weitgehend unpolitisch zu bleiben – aus dem Rückblick im Exil urteilte Hermann Ullstein: „Das Versagen der Presse aus Angst, Leser zu verlieren, hatte verhängnisvolle Folgen. Schon ehe Hitler sie der Freiheit beraubte, war die Presse in der Auflösung begriffen.“
Die Arisierung
Nach der Übertragung der Macht an Adolf Hitler wurde der Verlag 1933/34 arisiert (Arisierung*) sowie nach und nach politisch gleichgeschaltet. Ende April 1933 wurde bekannt, dass alle Redakteure entlassen würden, die im NS-Sinne als Juden galten. Ihnen wurde mitgeteilt, dass sie „im eigenen Interesse aus dem deutschen Schrifttum ausgeschlossen“ werden würden. Über seine Entlassung berichtet Moriz Goldstein*: „Der Verlag ließ mir sagen, ich könne ‚sowieso nicht bleiben’, ich möchte Vorschläge für mein Ausscheiden machen. Das hieß Vernichtung meiner Existenz […] Das Haus Ullstein, vertreten durch den völlig unsentimentalen Verlagsdirektor Richard A. Müller, ging keineswegs darauf (Goldsteins Vorschläge; C.H.) ein, zeigte keinerlei Verständnis für meine Lage, leugnete, daß diese Maßnahme antisemitisch wäre, und bot mir schließlich eine Pauschalabfindung von 6000 Mark, weniger, als mir rechtlich zustand. Es blieb mir nichts übrig, als zuzustimmen.“
Die Verlegerfamilie nahm zunehmend Mitarbeiter in die Geschäftsleitung, von denen sie annahm, gegen diese hätten die Nationalsozialisten nichts einzuwenden. Diese Anpassungsstrategie war letztlich sinnlos. 1934 wurde die Familie Ullstein gezwungen, den Verlag an die Cautio GmbH zu verkaufen, eine Strohfirma der NSDAP*. Die Nationalsozialisten konnten nun den größten deutschen Verlag als ihr eigen nennen. Um die Öffentlichkeit über diesen Besitzerwechsel zu täuschen, wurde der Name „Ullstein“ zunächst beibehalten, und erst 1937 erfolgte eine Umbenennung in Deutscher Verlag.
Flucht und Rückkehr
Die Verlegerfamilie emigrierte – wie viele Journalisten – ins Ausland. „Ullsteiner“ flohen z. B. nach Großbritannien und die USA, nach Schweden, Shanghai, Südafrika, Palästina/Israel, Mexiko oder Uruguay. Susanne Meyer dagegen, die Witwe eines ehemaligen Chefredakteurs Wilhelm Meyer, konnte in Berlin und Umgebung untertauchen und überleben. Wieder andere wurden in Konzentrationslagern ermordet: so zum Beispiel Elise Münzer (1869-1942), die 1909 die erste Frau in der Redaktion der Berliner Morgenpost war, oder der Journalist Heinrich Mühsam (1900-1944), der so sehr an seinem Heimatland hing, dass er lange eine Flucht ins Ausland für sich ausschloss. Schließlich war es zu spät. Er kam zunächst in das KZ Theresienstadt* und dann nach Auschwitz*. Dort brachten die Nazis auch Otto Zucker (1892-1944) um. Er war als leitender Ingenieur am Bau des Ullsteinhauses in Tempelhof beteiligt. Manche der ehemaligen Mitarbeiter des Verlages sahen im Freitod den einzigen Ausweg für sich. So z. B. der ehemalige Mitarbeiter der Berliner Morgenpost Dr. Adolf Heilborn (1873-1941).
Als die Verlegerfamilie Ullstein nach dem Krieg 1952 ihren Besitz in Berlin wieder zurückerstattet bekam, fand sie in der Kochstraße nur Ruinen vor. Das Berliner Zeitungsviertel* war am 3. Februar 1945 von alliierten Bombern in Schutt und Asche gelegt worden. Die Familie konnte sich nach der Rückkehr aus dem Exil jedoch nicht mehr im Berliner Zeitungsmarkt durchsetzen. 1956 stieg der Verleger Axel Cäsar Springer* als Anteilseigner bei Ullstein ein, 1959 übernahm er das Unternehmen und baute bald darauf an der Kochstraße, schräg gegenüber dem alten Standort des Ullstein Verlages, seinen neuen Firmensitz. Dort erscheinen auch heute die B.Z. am Mittag und die Berliner Morgenpost.
Der jüdischen Vergangenheit sieht sich der Axel-Springer-Verlag in besonderer Weise verpflichtet (siehe dazu den Artikel „Es darf nicht in Vergessenheit geraten“ von Moritz Felgner in Station/Kapitel 09). Die Ullstein Buchverlag GmbH ist heute wieder ein eigenständiges Unternehmen, das sich in der Tradition des Namens sieht. Ullstein hat heute seinen Sitz in der Friedrichstraße 126 in Berlin Mitte.
Redaktionell verantwortlich: Dr. Uwe Besch, LISUM
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