Zitat Dezember 2015

Zitat Dezember 2015

Zitat Dezember 2015

"Kein Abenteuer ist so bunt wie das Leben selbst."

Bruno H. Bürgel (1875-1948)

 

Vermutlich wäre Bruno H. Bürgel glücklich mit der Schule in Rathenow, die seinen Namen trägt. Sie hat jüngst, pünktlich zu seinem 140. Geburtstag, den Titel Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage erhalten. Eingebettet in ein Jubiläumsjahr – die im Westhavelland beheimatete Bildungseinrichtung ist seit 20 Jahren Unesco-Projektschule – werden genau die humanistischen Werte verkörpert, für die Bruno H. Bürgel lebte. Werte, die einen Menschen zum Menschen machen.

In seinem Schaffen als Schriftsteller und Astronom vermochte es Bürgel, seine Leser oder Zuhörer mit einer liebenswerten und humorvollen Art zu fesseln. Er hatte die Gabe, auch das Komplizierte für jedermann verständlich zu vermitteln. Noch mehr verstand er es, auch in schweren Zeiten den Blick auf die schönen und hoffnungsvollen Seiten des Lebens nicht zu verlieren. Wie schwer mag das angesichts der Tatsache gewesen sein, zwei Weltkriege in der Blüte des eigenen Lebens hautnah miterlebt zu haben? Terror, soziale Not, politisch verordneter Hass und Intoleranz haben andere gebrochen oder mutlos werden lassen. Bürgel hat womöglich aus den endlosen Weiten seiner astronomischen Forschung eine Kraft gezogen, die oft denen eigen ist, die sich eine bessere Welt erträumen. Er war kein Träumer. Er glaubte daran, den Menschen ein Helfer sein zu können und dass es sich lohnt, für Toleranz und Menschlichkeit einzutreten.

Die Bürgelschule fand vor 20 Jahren ihren didaktischen Einstieg in die interkulturelle Philosophie der Gemeinschaft von Unesco-Projektschulen über die humanistische Lebenseinstellung ihres Namensgebers. Von Beginn an war klar, dass der schulische Alltag begleitet sein soll von Freude und Begeisterung auch für die kleinen scheinbar unbedeutenden Dinge des Lebens. Bürgel gab mit seinen Weisheiten einen unsichtbaren Wegweiser, wonach man auch in stressigen Zeiten ein gehöriges Maß an Gelassenheit wahren muss, um zuerst den inneren Frieden finden zu können und danach die Fähigkeit, mit diesem Optimismus andere mitzureißen. Der Wille für wahren Frieden beginnt in jedem einzelnen Kopf. Mit dieser einfachen Sicht der Dinge kann jedes Abenteuer gesucht werden. Und doch ist bis heute Frieden keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Mächtige in der reichen Welt liefern Waffen, die Menschenleben auslöschen sollen, in Gebiete, wo die Not ohnehin am größten ist. Ohnmächtig im Umgang mit den Folgen sehen die politisch Verantwortlichen zu, wie unsere friedliche Welt ins Wanken gerät. Die Angst vor Terroranschlägen treibt merkwürdige Blüten. 

Die einen suchen die Schuld bei jenen, die Hilfe suchend und verunsichert in unserer Luxuswelt sich an jedem Tag der vergeht nach dem Funken Hoffnung sehnen. Andere verfallen in Aktionismus und ihre Heuchelei ist unerträglich. Wieder andere sind wirklich guten Willens, werden aber in ihrem Bemühen ehrliche Hilfe zu leisten allein gelassen. Alle fleißigen Helfer in der Arbeit mit Flüchtlingen, die Besorgten in Kirchengemeinden und die vielen Freiwilligen haben unseren ungeteilten Respekt verdient. Weniger die Talkshowgäste mit ihren öden Phrasen und im Beamtendeutsch vorgetragenen Durchhalteparolen. Bruno H. Bürgel würde womöglich letztere bedauern, weil sie viel reden, ohne auch nur ansatzweise die Waffenlobby zu erwähnen. Er würde sie vermutlich dennoch nicht verachten. Für ihn hatte auch der Verirrteste eine neue Chance verdient. 

In all den Jahren als Unesco-Projektschule war ein zentrales Anliegen, die zum Teil traurige gesellschaftliche Wirklichkeit nicht noch unnötig zu verkomplizieren. Wie sonst sollen junge Menschen einen Sinn darin sehen, für andere einzutreten und respektvoll mit jedermann umzugehen, wenn schon der Ansatz dafür unverständlich scheint? Wenn die Botschaft klar ist und wenn sie das eigene Herz berührt, dann kann auch der Verstand einsetzen und Wege zur Umsetzung aufzeigen. Die wesentlichen Säulen der schulischen Ausrichtung sind der Unterricht auf der Basis von Idealen einer Gesamtschule, die Angebote im Ganztag sowie die Unesco-Projektarbeit. Das alles verbindende Element ist das Sportprofil der Schule. In allen Bereichen spiegelt sich die Lust auf Bewegung wider. Bewegung steht aber nicht nur für das Wettkampferlebnis. Im Übertragenen muss man sich bewegen, wenn etwas besser werden soll. Bürgelianer sind nicht nur in Sachen Sport unterwegs, wie alljährlich im Wintersportlager im Allgäu mit morgendlichen Berg-Crossläufen und der Ausbildung in alpinen Disziplinen. Die Freude in dieser ehrgeizigen Gemeinschaft kommt nicht zu kurz. Beim abschließenden Mottoabend wird ausgelassen gefeiert und alle Sportler erhalten ihre Auszeichnungen. Wenn es nach London, Paris, Dublin, Edinburgh, Prag oder St. Petersburg geht, ist zwangsläufig nicht das Schulgebäude der Ort des Unterrichts. Das ist auch im kleinen Städtchen Zsobok in Rumänien so. Im dortigen Kinderheim sind Rathenower bekannt, weil sie Hilfe anbieten, um das Nötigste aufrecht zu erhalten. Zu sehen, wie gut es uns hier geht und auf welch hohem Niveau wir oft zu jammern bereit sind, ist hilfreich im Umgang mit den eigenen Wertvorstellungen. Die Kinderaugen beim jeweiligen Abschied bleiben jedem Projektteilnehmer im Gedächtnis. 

In einem anderen Unesco-Schulprojekt berührt das Schicksal der Kindersoldaten die Bürgelschüler, was Anlass für eine inzwischen über viele Jahre währende Hilfsaktion war. Terre des hommes – Hilfe für Kinder in Not – hat die Schule für die Aktion Rote Hand geehrt. Hier ist das Bemühen gemeint nicht nachzulassen, auf die Unmenschlichkeit im Umgang mit Kindern hinzuweisen, die in den Krieg ziehen müssen. Rote Hände für die Bürgelschule gaben zahlreiche Politiker im Bundestag, im Brandenburger Landtag, der Ministerpräsident, die gesamte Geschäftsstelle und die Profiabteilung samt Mannschaft von Hertha BSC, Kooperationspartner der Schule, Eltern, Mitbürger aus allen Bereichen der Gesellschaft. All jene sind veranlasst, ins Gespräch zu kommen. Ohne die Initiative der Schüler wäre ihnen womöglich gar nicht bewusst, wie nah diese Bilder in einer scheinbar heilen Welt sind. Solange an den Händen der Verantwortlichen das Blut dieser Kinder klebt, muss diese Aktion weltweit fortgesetzt werden.

Den Gollenberg im kleinen Städtchen Stölln nannte einst der Flugpionier Otto Lilienthal sein Zuhause. Für einige Zeit eroberten Bürgelschüler diesen Berg, um für ein ganz besonderes Projekt gut vorbereitet zu sein. Kindern im fernen Uganda sollen selbst angefertigte Unterrichtsmaterialien mitgebracht werden, wenn das Abenteuer in Afrika Wirklichkeit wird. Auf dem Stundenplan steht das physikalische Phänomen des Fliegens. Nicht genug damit, dass tagsüber gelesen, ausgewählt und gebastelt wird. Das Fliegen selbst ist Teil des Projekts. Ausprobieren, um besser Bescheid zu wissen. Abends sitzen die Projektteilnehmer am Lagerfeuer zusammen. Einige spielen Musik. In der alten Herberge versorgen sich die Schüler selbst. Die Älteren aus der Oberstufe kümmern sich um die Jüngeren. Ein Physiklehrer ist nur im Seminarteil am Vormittag anwesend. 

Diese kleine Auswahl unterschiedlicher Modelle ist ein Beleg dafür, Bürgels Wunsch nach Vielfalt und ziviler Normalität auch in unruhigen Zeiten verwirklichen zu können. Kein Abenteuer ist so bunt wie das Leben selbst! Diese Idee ist der Ansatz auf der Suche nach interkulturellen Herausforderungen, die einen direkten Unterrichtsbezug haben und das Ausleben individueller Freiheiten dennoch erlauben. Auf dem Weg dahin soll der Respekt für den Menschen und seine Leistung einen dauerhaften Platz im Kopf bekommen. Die Jugendlichen haben dafür den stärksten Zugang, wenn ihre Alltagsnormalität erhalten bleiben darf und ein feines Gespür dafür, ob die Projektarbeit für sie selbst einen Sinn ergibt oder erwartete gesellschaftliche Notwendigkeiten bedient werden sollen. 

In der Rückschau auf Erlebtes wird nicht selten empfunden, dass Projekte von oder mit Politikern eher zur langweiligen Sorte gehören. Ob es der Zeitdruck ist, der vom ernsthaften und tiefgründigen Verweilen mit den Schülern abhält, lässt sich schwer beurteilen. Bisweilen bleibt einfach der Eindruck, dass ein lästiger Pflichttermin zu erfüllen war. Das Foto für die Presse ist im Kasten und dann schnell zum nächsten Termin. Die wohltuenden Ausnahmen sind leider die Seltenheit. Grundsätzlich muss sich jeder politisch Verantwortliche genau überlegen, ob er sich in Zeiten geschürter Angst die Entfernung von der Lebenswirklichkeit junger Menschen weiterhin leisten will. 

Wenn wir es in diesen Tagen zulassen, dass sich Angst in unseren Köpfen festsetzt, triumphieren jene, die von der Angst profitieren. Unsere Gesellschaft steht vor einer Zerreißprobe. Umso wichtiger ist es, vor allem den jungen Menschen das sichere Gefühl einer zivilen Normalität zu geben. 

Das gelingt vor allem in ihren gewohnten und vertrauten sozialen Strukturen mit einem freudbetonten Herangehen auch an neue Herausforderungen. Schulen können dabei die so wichtige Rolle einnehmen, möglichst unaufgeregt einen normalen Alltag  zu organisieren. Das trägt am ehesten dazu bei, die Ansteckungsgefahr gering zu halten, die von jenen ausgeht, die bei jedem herrenlosen Koffer wegen einer zu vermutenden Terrorgefahr das öffentliche Leben lahm legen wollen. Die Satire lästert über einen recherchefreien Spekulationsjournalismus, der zu allem Übel noch zur allgemeinen Unsicherheit beiträgt.

Als die Bürgelschule vom DFB zum Länderspiel nach Hannover eingeladen wurde, war die Freude natürlich groß. Mit zwölf Sonderbussen war die gesamte Schulgemeinschaft unterwegs. Freikarten für jeden für eine beispielhafte Integrationsarbeit im Sport! Die Schüler nahmen ihre Eltern, Großeltern und kleinen Geschwister mit, Freunde und Partner der Schule und viele Lehrkräfte waren dabei. Es war ein buntes Treiben und ein außergewöhnliches Teamerlebnis. Ausgerechnet Hannover! Zur Beruhigung sei erwähnt, dass es sich nicht um das kurz vor Beginn abgesetzte Spiel handelt, von dem in den Medien zu vernehmen war, dass es den Fußball für immer verändern würde. Nein, es ist lange her und es war ein eher peinlicher Arbeitssieg der deutschen Elf gegen die Färöer Inseln. 

Für viele von uns hat dieser Tag den Fußball tatsächlich für immer verändert. So manche Großmutter war zuvor noch niemals in einem Stadion. Für das fürchterliche Gegröle hatte Omi bis zu diesem Tag so rein gar kein Verständnis. Dann aber hatte das gemeinsame Erleben mit dem Enkelkind plötzlich etwas Magisches. Seither wird sogar bei Ehemaligentreffen davon erzählt und man erinnert sich an ein völlig angstfreies Erlebnis. Weil ich mich auch in Zukunft viel lieber an Spiele erinnern möchte, die wirklich stattgefunden haben, müssen wir den Intoleranten und Zerstörern menschlicher Werte so viel Normalität wie möglich entgegen setzen. Wir dürfen uns ihr Spiel nicht aufzwingen lassen!

Dann wird sich, augenzwinkernd betrachtet, auch der eher hysterische Teil unserer Medienlandschaft wieder den wirklich wichtigen Themen widmen. Schließlich muss lückenlos und in voller Härte aufgeklärt werden, wer Deutschland beim ESC in Stockholm (61. Eurovision Song Contest) vertreten wird. 

 

Michael Hohmann ist Schulleiter der Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe "Bruno H. Bürgel" in Rathenow. Die Schule ist eine Ganztagsschule mit Sportprofil, UNESCO-Projektschule und Partnerschule von Hertha BSC.

Michael Hohmann

  • Jahrgang 1963
  • ist verheiratet, hat eine Tochter
  • ist seit 1986 an der Bruno-H.-Bürgel-Schule in Rathenow beschäftigt 
  • hat alle Stationen von der Lehrkraft über den stellvertretenden Schulleiter und den Oberstufenkoordinator bis zum Schulleiter durchlaufen
  • ist seit 1992 Schulleiter an der Gesamtschule "Bruno H. Bürgel"
  • hat mit dem Aufbau einer Schülerbegegnungsstätte im Senegal 1995-1997 die Unesco-Projektarbeit der Schule begründet

Hinweis

Die dargestellten Meinungsäußerungen in den Kommentaren zu den Zitaten des Monats widerspiegeln die Meinung des jeweiligen Autors und werden nicht vom Bildungsserver Berlin-Brandenburg inhaltlich verantwortet.

Redaktionell verantwortlich: Ralf Dietrich, LISUM